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Wie Stabilisatoren auf Schiffen den Seegang überlisten

Wer sich Sorgen um Seekrankheit auf einer Kreuzfahrt macht, bekommt oft die Antwort: „Keine Sorge, moderne Kreuzfahrtschiffe haben alle Stabilisatoren“. Das stimmt – einerseits. Andererseits können Stabilisatoren weder zaubern, noch und schützen sie automatisch vor Seekrankheit. Wir haben uns etwas näher mit Stabilisatoren auf Kreuzfahrtschiffen beschäftigt und auch etwas in der teils kuriosen Geschichte dieser technischen Wunderwerke gekramt.

Flossen dämpfen Rollbewegungen

Moderne Stabilisatoren sind nichts anderes als seitlich ausfahrbare, bewegliche Flossen etwas in Schiffsmitte im Rumpf ein gutes Stück unterhalb der Wasserlinie. Stabilisatoren mindern das Rollen, nicht aber das Stampfen eines Schiffs. Der Unterschied? Als „Rollen“ bezeichnet man die Seitwärtsbewegung des Schiffs, also eine Drehung um die Längsachse. Rollen wird oft auch als „Schlingern“ bezeichnet. „Stampfen“ hingegen ist das Auf und Ab des Schiffsbugs in den Wellen, also eine Drehung um die Querachse des Schiffs. Rollen und Stampfen tritt oft natürlich gleichzeitig auf, sodass sie in Kombination eine Art kartoffelförmige Bewegung ergeben.

Hydraulik des Blohm+Voss-Stabilisators auf der Allure of the Seas
Hydraulik des Blohm+Voss-Stabilisators auf der Allure of the Seas

Wann der Kapitän die Stabilisatoren ausfährt, hängt von mehreren Faktoren ab, ist aber hauptsächlich eine Abwägung zwischen Wohlbefinden der Passagiere und zusätzlichen Kosten. Denn Stabilisatoren verursachen zusätzlichen Wasserwiderstand, damit höheren Treibstoffverbrauch und führt zu einer etwas reduzierten Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem kommen die Stabilisatoren meist schon bei relativ schwachem Seegang zu Einsatz.

Stabilisierung nach dem Prinzip von Flugzeugflügeln

Moderne Stabilisatoren sind im Schiffsrumpf seitlich versenkt und klappen bei Bedarf wie Flugzeugflügel heraus. Sie sind um ihre Längsachse drehbar, erzeugen also zusammen mit der Fahrströmung des Schiffs einseitig wirkenden Auftrieb beziehungsweise Abtrieb auf der jeweiligen Seite des Schiffs. Elektronisch gesteuert führen die Stabilisatoren also ständig Drehbewegungen aus, die der Bewegung der See entgegenwirken und somit das Rollen des Schiffs stark mindern.

Unbeweglicher Flossen-Stabilisator (Bild: Templar52)
Unbeweglicher Flossen-Stabilisator (Bild: Templar52)

Auch ohne Drehbewegung entfalten Stabilisatoren aber eine gewisse Wirkung, wie die Geschichte der Flügelstabilisatoren zeigt. Die ersten Flossen- oder Flügelstabilisatoren wurden schon 1898 patentiert – damals noch als längt zum Schiffsrumpf verlaufende, starre Flügel. Durchgesetzt hat sich die Technik aber erst ab 1936 mit einer Entwicklung der legendären schottischen Werft William Denny and Brothers Ltd. im schottischen Dumbarton und Brown Bros in Edinburgh. Der Dampfer „Isle of Sark“ war 1936 das erste Schiff mit den neuartigen Stabilisatoren. Der erste Transatlantik-Liner, der mit diesen Denny-Brown-Stabilisatoren ausgerüstet war, ist wohl 1950 die SS Chusan von P&O gewesen.

Schlingertanks und gyroskopische Stabilisatoren

Frühere Systeme zur Stabilisierung von Schiffen verfolgten vor allem zwei Ansätze: Umpumpen von Ballastwasser zwischen Schlingertanks sowie gyroskopische Stabilisatoren.

Das erste recht wirkungsvolle System mit Ballastwasser erfand der deutsche Dr. H. Frahm, der als eines der ersten Schiffe 1921 Cunards RMS Laconia mit seinem System ausrüstete – damals noch ein passives System ohne Pumpen.

Das Umpumpen von Ballastwasser in speziellen Schlingertanks wird übrigens heutzutage noch als Krängungsausgleichssystem eingesetzt, um also Schiffe vor Anker liegend oder angelegt im Hafen in einer aufrechten Position zu halten – vor allem für Frachtschiffe beim Be- und Entladen sehr wichtig.

Bereits im ersten Weltkrieg wurde ein US-Zerstörer und ein U-Boot mit einem gyroskopischen Stabilisator von Sperry Gyroscope Company (heute: Sperry Marine) ausgerüstet. Das Projekt wurde aber nicht weiter verfolgt, weil die US Navy für weitere Schiffe wohl die Investitionen scheute.

In den späten 1920er-Jahren wurde auf der Conte di Savoia als erstem Passagierschiff ein Gyroskop-System zur Stabilisierung eingebaut, das sich aber nur unter bestimmten Bedingungen als effektiv erwies und insgesamt nicht den erhofften Nutzen brachte. Letztlich überzeugte das immerhin 624 Tonnen schwere System aber nicht und wurde nicht weiter entwickelt. Ein kurzes, historisches Video aus den 1920er-Jahren, in dem für das Stabilisator-System auf der Conte di Savoia geworben wird, gibt’s bei British Pathè.

Allerdings kommt die Gyroskop-Technik heute wieder in modernen Flossen-Stabilisatoren zum Einsatz – dort dienen Gyroskope als sehr sensible Messinstrumente für die Schiffsbewegungen. Mithilfe dieser Messwerte kann die Computersteuerung der Stabilisatoren schnell auf Bewegungsänderungen reagieren.

Ein – aus heutige Sicht – kurioseste Stabilisierungs-Versuch: 1875 wurde der Salon des Dampfschiffs Bessemer um die Längsachse drehbar gelagert. So sollten die Passagiere in dem Salon vom Rollen es Schiffs nichts spüren. Offenbar funktionierte die Konstruktion jedoch nicht besonders gut, denn die Technik wurde nicht weiter entwickelt, die Bessemer wurde später zu einem Frachter ohne Stabilisierung umgebaut.

4 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

4 Gedanken zu „Wie Stabilisatoren auf Schiffen den Seegang überlisten“

  1. Also ich habe selbst einmal solche Maschienen sehen dürfen. Es war echt toll und diese Dinger sind in der Relation zum Schiff geradezu winzig. Echte Meisterwerke der Ingenieurskunst. Hat mich echt beeindruckt!

  2. Ich habe gerade noch ein Bild hinzugefügt, das die Hydraulik-Anlage des Flossen-Stabilisators auf der Allure of the Seas zeigt. Ich hatte vor einigen Tagen das Vergnügen einer Führung durch die tiefsten Tiefen des Megaschiffs und dabei konnten wir auch den Stabilisator quasi von innen sehen …

  3. Hallo,

    mal wieder eine Frage an den Spezialisten. Stimmt es – wie uns unlängst gesagt wurde – dass Kreuzfahrtschiffe (2?) Stabilisatoren haben müssen?? Und, kann ich aus irgendeiner für mich einsehbaren Datei entnehmen welches KF-Schiff welche Art / wie gut arbeitende Stabis hat.
    Also welches Schiff hat gute, welches weniger gute? Leistet das irgendeine Technikseite die auch verständlich ist, oder ist das nur ein Wunschtraum von mir?

    ginus

  4. zur Frage 1: Es gibt keine Vorschrift, wonach Schiffe Stabilisatoren haben müssen. Mir ist aber kein modernes Kreuzfahrtschiff bekannt, das keine hat.

    zur Frage 2: Das ist wohl wirklich eher ein Wunschtraum. Ganz grob könnte man sagen, dass die Stabilisatoren moderner Schiffe etwas mehr bewirken, aber die Unterschiede sind da nicht dramatisch. Viel wichtiger ist: Ich würde die Wirkung und Bedeutung von Stabilisatoren nicht überbewerten. Man darf sich einen Stabilisator nicht wie einen Lichtschalter vorstellen – drücken und das Schiff schwebt plötzlich bewegungslos über den Wellen. Ob und wie stark Stabilisatoren wirken, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, sodass sie je nach Situation mehr oder auch weniger viel helfen: Fahrtgeschwindigkeit, Wind und Windrichtung, Wellen und Wellenrichtung, Wellenhöhe, Abstand der Wellen zueinander etc. Stabilisatoren können dem Rollen (Seitwärtsbewegung des Schiffs) entgegenwirken (nicht komplett ausschalten!), nicht aber dem Stampfen (Auf- und Ab-Bewegung von Bug und Heck). Sie sind vor allem aber keine Technik, die Naturgesetze außer Kraft setzen können. Wellen sind Wellen und werden ein Schiff immer in gewisse Roll-, Stampf- oder Schlingerbewegungen versetzen. Stabilisatoren können das nur abmildern.

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