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Meinung: Unternehmenskultur auf Sicherheit optimieren!

In den vergangenen Wochen haben die Reedereien viele neue Sicherheitsmaßnahmen angekündigt, Kreuzfahrtverbände, Politiker und sogar Rechtsanwälte diskutieren über strengere Vorschriften. Das ist gut und oft überfällig. Doch fast alles davon zielt eher auf technische Maßnahmen und soll die Rettungsabläufe verbessern, nachdem ein Unfall bereits passiert ist.

Mit gehörigem Abstand zu dem Unglück spricht man nun aber auch über ein anderes Thema – wohl wegen seiner Komplexität eher leise und in kleinen Runden statt auf der großen Bühne. Ein Thema, das viele für mindestens ein sehr wichtiges bei der Sicherheit in der modernen Kreuzfahrt halten:

Wie lassen sich Schiffsunfälle auf Grund menschlicher Fehlleistungen von vorne herein vermeiden?

Es geht dabei vor allem um die Unternehmenskultur in den Reedereien, um Führungsstrukturen und um den Führungsstil auf Kreuzfahrtschiffen. Viele Reedereien beschäftigen sich schon lange mit diesem Thema und haben gute Konzept und Lösungen entwickelt, andere haben dagegen deutlichen Nachholbedarf.

Kapitän: Veränderte Rolle an Bord

Früher war eine Kreuzfahrt auf vergleichsweise kleinen Schiffen vorwiegend eine Seereise für Passagiere, die sich das einerseits leisten konnten, andererseits eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatten, was eine Schiffsreise bedeutet. Da waren Kreuzfahrtschiff-Kapitäne hauptsächlich Seeleute und konnten sich ganz auf die Seefahrt konzentrieren, garniert mit ein wenig „Sozializing“ mit den Passagieren an Bord. Cocktailempfang, Foto mit dem Kapitän, Captain’s Dinner.

Heute sind Kreuzfahrtschiff-Kapitäne, besonders auf den ganz großen Schiffen, vor allem auch Manager von komplexen und emotionalen Consumer-Produkten in einem wettbewerbsintensiven Markt. Das erfordert nicht nur umfassende zusätzliche Qualifikationen, sondern auch veränderte Charaktereigenschaften und einen deutlich veränderten Führungsstil. Und es geht um eine viel engere Einbindung in Konzernstrukturen und Unternehmensentscheidungen, die weit über das einzelne Kreuzfahrtschiff hinausgehen, bei der Entscheidungen an Bord und an Land in gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen – und oft geht es um viel Geld.

Forderung nach Kontrolle greift zu kurz

Das Thema ist komplex und Lösungswege können je nach Reederei, Unternehmensstruktur und Kultur sehr unterschiedlich sein. Forderungen wie des US-Anwalts John Eaves, der ein deutsches Concordia-Opfer vertritt, beispielsweise nach einem „Marshal“ auf der Brücke jedes Kreuzfahrtschiffs – also einer übergeordnete, unabhängigen Aufsichtsperson – erkennen daher zwar das Problem, gehen aber zugleich am Ziel vorbei, weil sie viel zu kurz greifen. Erkennt eine Reederei nicht selbst Schwächen und Veränderungspotenzial in der Führungsstruktur an Bord und im Unternehmen, kann auch ein Marshal auf der Brücke wenig ausrichten.

Auch darf man nicht vergessen, dass es weltweit vor allem bei Hafeneinfahrten und teils auch in kritischen Küstenabschnitten längst Lotsenpflicht gibt. Dort, wo es gefährlich werden kann, wo viel Verkehr herrscht, wo exakte Ortskenntnis der Gewässer und Strömungen gefragt sind, geht auf allen Kreuzfahrtschiffen ohnehin ein Lotse an Bord. Er hat freilich keine Befehlsgewalt (einzige Ausnahme: im Panama-Kanal), und das ist auch gut so – denn der Kapitän sollte sich nie darauf zurückziehen können, dass er keine Verantwortung für sein Schiff trägt, schon gar nicht in kritischen Phasen.

Komplexe Sicherheitskonzept

Es geht um viel Tiefgreifenderes. Die Reedereien sind sich dessen durchaus sehr bewusst, wie zwei Beispiele zeigen. Wohlgemerkt, diese beiden Beispiele zeigen jeweils nur kleine Puzzleteile der jeweiligen Sicherheitskonzepte und die Auswahl soll nicht suggerieren, dass Ähnliches nicht auch bei anderen Reedereien angewendet wird. Ich will lediglich exemplarisch verdeutlichen, um welche Ansätze es bei einer grundlegenden Verbesserung der Schiffssicherheit gehen kann.

AIDA Cruises führt bei Neueinstellungen von Offizieren und Beförderungen ein psychologisches Assessment durch, bei dem es unter anderem darum geht herauszufinden, wie teamfähig und stressresistent ein Anwärter ist, wie gut er zuhören und mit Kritik umgehen kann. Man prüfe mit diesem Verfahren vor allem Fähigkeit, die in einem normalen Bewerbungsgespräch nicht erkennbar wären, erklärt AIDA-Chef Michael Thamm. Es komme durchaus vor, dass beispielsweise ein Staff Captain, der Kapitän werden will, an diesem Assessment scheitert oder Bewerber auf neue Kapitänsstellen bei AIDA auf Grund dieser Kriterien nicht eingestellt werden.

Adam Goldstein, CEO Royal Caribbean International formuliert: „Sicherheit ist eine Reise, kein Ziel. (…) Wir müssen aus jedem noch so kleinen Zwischenfall lernen und die Ergebnisse sofort flottenweit umsetzen. Das ist ein permanenter Kreislauf.” Richard Fain, CEO Royal Caribbean Cruises, ergänzt: „Es gibt keine perfekte Sicherheit, aber es gibt das perfekte Engagement für Sicherheit.“ Bei den Royal-Caribbean-Töchtern RCI, Celebrity Cruises und Azamara gibt es dafür ein formalisiertes Konzept, das sich „Bridge Management“ nennt – auch andere Reedereien setzen auf solche Ansätze. In der Praxis bedeutet das, sehr vereinfach ausgedrückt – Zitat Goldstein: „Die Mitglieder des Teams auf der Brücke müssen ermutigt werden, in jeder Situation den Mund aufzumachen, in der sie daran zweifeln, dass gerade exakt das Richtige geschieht.“

Probleme in hierarchischen Strukturen

Jede hierarchische Unternehmensstruktur mit linearen Weisungsstrukturen kämpft latent mit einem grundlegenden Problem, das unter anderen daraus entsteht, dass die Führungskräfte zwar noch die großen Strukturen und Abläufe im Blick haben, Details aber nicht sehen und nicht mehr direkt steuern können. Je größer das Unternehmen und je komplexer die Zusammenhänge, desto stärker ist das Phänomen ausgeprägt. Einer hat hier zwar das Sagen, alle anderen führen nur Anweisungen aus, was grundsätzlich nicht falsch ist – beim Militär genauso wie auf einem Schiff, wenn schnelle Entscheidungen getroffen und sofort und ohne langwierige Diskussion ausgeführt werden müssen.

Die Schwierigkeiten setzen ein, wenn es keine funktionierenden, ständig geübten und als selbstverständlich eingespielten Feedback-Mechanismen gibt, die den Manager an der Spitze (auf dem Schiff der Kapitän) in die gelebte Realität einbinden und zugleich einer permanenten Kontrolle unterziehen in der Weise, dass latentes Fehlverhalten, Risiken, aber auch externe Veränderungen wahrgenommen und berücksichtigt werden können.

Charakterliche Eignung von Kapitänen

Wir haben im Laufe der Jahre zahlreiche Kapitäne und Offiziere in Interviews und Gesprächsrunden erlebt. Die meisten davon aufgeschlossen, offen für kritische Fragen, nachdenklich bei Anregungen, sich selbst hinterfragend. Kapitäne, die sich auch nach 50 Jahren Berufserfahrung noch hinterfragen: „War meine Entscheidung wirklich optimal? Hätte ich mit einem anderen Ansatz besser sein können? War die Entscheidung für oder gegen ein Risiko die richtige?“

Aber wir haben auch einen anderen Typ von Schiffsoffizier und Kapitän erlebt: so selbstherrlich und abgehoben, dass er selbst einfache Fragen nicht beantworten konnte – möglicherweise, weil er nicht einmal richtig zugehört hat.

Die einen wie die anderen Charaktereigenschaften eines Kapitäns prägen den Führungsstil und die Zusammenarbeit der Offiziere und dem Kapitän auf einem Schiff nachhaltig und bis hinab in die untersten Ebenen.

Kritikfähigkeit

Wie auch in jedem Unternehmen an Land widerspricht niemand dem Chef, wenn allgemein bekannt ist, dass der Chef nicht mit Kritik umgehen kann, Vorschläge nicht annimmt oder zumindest diskussionsbereit ist und womöglich personelle Konsequenzen für Leute drohen, die sich dem selbstherrlichen Diktat des Chefs nicht bedingungslos unterwerfen. Untergeordnete Mitarbeiter sehen dann zwar die Missstände, Probleme und Risiken, sagen aber nichts – aus Angst vor Degradierung und Mobbing, aber auch weil sie wissen, dass Aufbegehren ohnehin keinen Effekt hätte.

Auf Kreuzfahrtschiffe übertragen bedeutet das zusätzlich, dass eine Reederei von Schiff zu Schiff sehr unterschiedliche Situationen haben kann, je nach Charakter und Eigenarten des jeweiligen Kapitäns – wenn die Reederei nicht Mechanismen etabliert, die einen kooperativen Führungsstil fördern, wenn nicht sogar sanft erzwingen. Es muss zum Kern der Firmenkultur gehört, Abläufe und Verhaltensweise zu hinterfragen und zu optimieren. Das Prinzip muss jeder Mitarbeiter, vom CEO über jeden Kapitän und Offizier bis zum Tellerwäscher auf Deck Null verinnerlicht haben – jeder auf dem Niveau, das seiner Position entspricht. Sonst funktioniert zuverlässige Sicherheit nicht.

Auf welchem Stand die heutigen Reedereien bei diesem Thema sind, lässt sich nur erahnen, wenn man gelegentlich den Umgang der Offiziere und der Crew miteinander beobachten kann. Wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, ob die Freundlichkeit von Crewmitgliedern eher auf Repressalien oder auf einem freundlichen Arbeitsklima basiert. Wenn man erlebt, auf welche Weise beispielsweise an der Rezeption Vorgesetzte mit Fehlern ihrer Mitarbeiter umgehen. Wird der Mitarbeiter in solchen Situationen vor dem Passagier blamiert oder das Problem auf Mobbing-freie Art und Weise geregelt? Das sagt nichts direkt über die Sicherheit an Bord aus, wohl aber über die allgemeine Unternehmenskultur und den Führungsstil.

Sicherheit beginnt beim Vertrauen auf Rückhalt

Zu einer geeigneten Unternehmenskultur gehört insbesondere auch, dass jeder Kapitän, jeder Offizier uneingeschränkt darauf vertrauen können muss, dass die Reederei uneingeschränkt hinter jeder Entscheidung steht, die sich auf die Sicherheit des Schiffs und der Passagiere bezieht – selbst wenn sich hinterher herausstellen sollte, dass die Entscheidung vielleicht etwas übervorsichtig war. Das klingt einfach, doch haben Entscheidungen im Interesse der Sicherheit oft große finanzielle Folgen: Beispielsweise müssen Passagiere für ausgefallene Hafenstopps entschädigt werden, in Ausweichhäfen fallen zusätzliche Lotsen- und Hafengebühren an, womöglich komplette Kreuzfahrten abgesagt werden, Treibstoff muss von einem anderen, teureren Anbieter bezogen werden.

Bei Entscheidungen im Sinne der Sicherheit dürfen Kapitäne auch nicht den Hauch eines Zweifels an der Rückendeckung durch die Reederei haben. Es dürfen weder direkte noch latente Konsequenzen drohen. Passt die Unternehmenskultur nicht zu diesem Prinzip, wird ein Kapitän intern schnell mal hinter vorgehaltener Hand als Feigling oder unangenehmer Kostenverursacher gehandelt. Das darf auf keinen Fall passieren, denn das würde den einen oder anderen Kapitän in kritischen Situationen zu einer Abwägung zwischen Mobbing-Gefahr und Schiffssicherheit bewegen. Ist der Seegang seiner Einschätzung nach zu hoch für einen Hafenstopp, der Wind zu stark für eine bestimmte Route oder hat der Kapitän welche auch immer gearteten Sicherheitsbedenken, dann muss er in seiner Entscheidung völlig frei sein von Überlegungen abseits der Sicherheitsfragen.

Um das noch einmal zu betonen: Das funktioniert nicht durch Richtlinien auf Papier und nicht durch Gesetze, sondern nur durch eine wirklich gelebte und konsequent auf Sicherheit optimierte Unternehmenskultur – von ganz oben initiiert, durch alle Ränge im Unternehmen und auf den Schiffen bis ganz unten durchgelebt.

Unternehmenskultur und Führungsstil entscheidend

Wenn der Fisch stinkt, dann stinkt er – vor allem bei diesem Thema – sprichwörtlich eigentlich immer vom Kopf her. Der entscheidende Kopf ist hier die Unternehmensführung der Reederei und nicht etwa der jeweilige Kapitän. Der trägt zwar die Verantwortung für das jeweilige Schiff, aber Führungsstrukturen und Unternehmenskultur müssen und können nur von ganz oben gesteuert und durchgesetzt werden.

Führungsstil, Unternehmenskultur und konsequente Umsetzung – das ist besonders für lange gewachsene Reedereien mit alten Strukturen ein schwieriges und langwieriges, aber auch spannendes Thema, nicht nur, aber besonders auch in Hinblick auf die Sicherheit der Passagiere. Denn hier lässt sich langfristig und sehr nachhaltig vorbeugen.

Menschliches Fehlverhalte ist auch damit nicht auszuschließen. Aber mit der richtigen Einstellung und dem richtigen Führungsstil fallen latente Risiken viel früher auf und lassen sich dann recht einfach beheben – weil die passenden Mechanismen und Strukturen schon vorhanden sind und gelebt werden.

Ich bin überzeugt, dass sich alle Reedereien mit dieser Frage jetzt noch mehr denn je beschäftigen – vorausgesetzt, die Unternehmensführung verstehen die Bedeutung dieses Faktors; für die Sicherheit der Passagiere, aber auch in allen anderen Bereichen und damit für den langfristigen, wirtschaftlichen Erfolg.

1 Kommentar

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

1 Gedanke zu „Meinung: Unternehmenskultur auf Sicherheit optimieren!“

  1. Ausgezeichneter Beitrag! Endlich mal jemand, der das Problem als „Unternehmenskultur“ klassifiziert. Die Frage wäre auch, welchen Stellenwert die Sicherheit der Passagiere im Wertesystem des Unternehmens hat. Übertriebene Sicherheitsvorkehrungen können hier wie woanders das Urlaubserlebnis einschränken. Zu geringes Sicherheitsbewusstsein ist hier ausführlich angesprochen worden. Das wäre genauso fatal für das Geschäftsmodell des Unternehmens. Schwierig ist hier sicherlich, das richtige Maß zu finden und dies in der Unternehmenskultur zu verankern.

    Grüße
    Julius

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