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Nicht alles ist auf einer Jungfernfahrt so glamourös wie die Begrüßung in den Häfen ...

Mythos Jungfernfahrt: Was Sie wissen sollten, bevor Sie buchen

Die Jungfernfahrt eines Schiffes umweht der Hauch von Mythos und Seefahrer-Romantik. Jeder will zu den ersten gehören, die ihren Fuß auf ein neues Kreuzfahrtschiff setzen. Doch das kann leicht zu einer herben Enttäuschung führen. Was Sie wissen sollten, bevor Sie eine Jungfernfahrt buchen …

Allzu leicht unterläuft vielen beim Gedanken an eine Jungfernfahrt ein fataler, wenn auch naheliegender Fehler: Sie erwarten bei einer Jungfernfahrt eine glamouröse, in allen Belangen perfekte Kreuzfahrt vom Feinsten – und sind dann an Bord oft ziemlich enttäuscht.

Denn von reibungslosem Service ist da womöglich keine Spur, an mehr oder weniger vielen Stellen sind Werftarbeiter mit den letzten Installationen und Ausbesserungen beschäftigt, vielleicht funktioniert die eine oder andere Top-Attraktion, Wasserrutsche oder Sauna am Schiff noch nicht und die groß angekündigte, neue Show im Theater startet erst einige Woche später.

Jungfernfahrt: Faszination des Imperfekten

Aber warum läuft eigentlich gerade auf der so prestigeträchtigen Jungfernfahrt eines Schiffs nicht alles perfekt? Schließlich sollte die Reederei doch gerade auf dieser denkwürdigen Reise alles aufbieten, was sie hat und so richtig glänzen? Die Passagiere sollten Erinnerungs-Geschenke an diese denkwürdige Reise bekommen, mit Champagner begrüßt werden.

Diese Vorstellungen stammen leider aus längst vergangenen Zeiten, in denen sich das Rad der Welt noch viel langsamer drehte, die Schiffe kleiner, die Technik weniger komplex war; als Werftaufenthalte noch Monate und nicht lediglich wenige Tage dauerten; als an neuen Schiffe manchmal mehrere Jahre gebaut wurde statt wie heute kaum noch zwölf Monate (die Planungszeit nicht mitgerechnet).

Heute spielt Schnelligkeit und Geld eine noch größere Rolle als früher. Stellen wir uns ein mittelgroßes Schiff mit 2.500 Passagieren vor und nehmen den durchschnittlichen Tagespreis in der deutschen Kreuzfahrt von etwas über 200 Euro an. Das bedeutet für die Reederei eine halbe Million Euro Umsatz allein aus dem Reisepreis pro Tag.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft: Souvenir-Teller zur Taufreise der Koningsdam
Souvenir-Teller zur Taufreise der Koningsdam

Da wird jede Reederei zusehen, dass sie ein Schiff so schnell wie möglich in den Passagierbetrieb nimmt und nicht auf viele Millionen Euro verzichtet, um noch ein paar Tage Trockenübungen zu machen, bis alles absolut perfekt ist (was es, wenn man ehrlich ist, ohnehin nie zu 100 Prozent sein kann).

Immerhin: Kleine Souvenirs gibt es immer noch bei einigen Reedereien für die Gäste der Jungfernfahrt, manchmal auch auf mehreren der ersten Reisen des Schiffs. Aber der große Glamour ist im Wesentlichen einem routinierten, geschäftigen Kreuzfahrt-Betrieb gewichen. Glamour gibt’s nur noch zur Taufe des Schiffs und daran sind reguläre Passagiere eher selten beteiligt.

Die Katze im Sack

Zugegeben: Bei der Bewerbung der Vorab-Fahrten und Jungfernfahren gehen die Reedereien unterschiedlich ehrlich mit ihren Kunden um. Manche kommunizieren ganz offen, dass es sich bei der ersten Abfahrt eines Schiffs um eine Übungsfahrt für die Crew handelt. Bei einigen kann man zumindest zwischen den Zeilen herauslesen, dass mit kleineren Unzulänglichkeiten zu rechnen ist. Diese Reisen werden gerne mit allerlei Fantasienamen bedacht, um das Wort „Jungfernfahrt“ zu vermeiden.

Oft aber werden die ersten Reisen eines Kreuzfahrtschiffs auch als ganz normale Kreuzfahrten angeboten, ohne weitere Erwähnung, dass es vielleicht noch die eine oder andere Kleinigkeit (oder auch ganz Wesentliches wie eine große Show oder eine Hauptattraktion) zu dem Zeitpunkt noch nicht passen wird.

Bei den ersten Reisen eines neuen Schiffs sollte man also ganz genau hinsehen, um zu wissen, was einen erwartet. Eine perfekte, glamouröse Jungfernfahrt ist es nämlich längst nicht immer. Und manchmal ahnt auch die Reederei selbst nicht, dass die Werft den Zeitplan nicht ganz einhalten wird.

Neue Crew, neue Abläufe und Kinderkrankheiten

Am wichtigsten aber – und das ist auch das wichtigste Argument, einfach etwas nachsichtig zu sein, statt sich aufzuregen: Ein Teil der Crew ist komplett neu und muss sich auf dem Schiff erst zu Recht finden. Natürlich stellt die Reederei den Neulingen auch erfahrene, lang gediente Mitarbeiter zu Seite und trainiert die Neuen vor der ersten Passagierfahrt. Aber Trockentraining beispielsweise für Kellner im Restaurant mit ein paar anderen Crew-Mitgliedern als Gäste ist eben etwas anderes als ein ganzes Schiff voll echter Passagiere.

Es braucht ein paar Tage oder Wochen, bis sich alles eingespielt hat – vor allem, wenn es ein neuer Schiffstyp ist, in dem alles anders angeordnet ist und auch die erfahrenen Mitarbeiter sich erst einleben müssen.

Beim ersten Schiff einer neuen Schiffklasse sind Kinderkrankheiten nie ganz zu vermeiden. Zwar wird ein Kreuzfahrtschiff in allen Details in einem unglaublich komplexen Prozess geplant und alle Eventualitäten bedacht. Dennoch funktioniert am Anfang nicht alles perfekt. Und Manches braucht schon per Definition ein wenig Zeit: intelligente Klimaanlagen zum Beispiel, die aus dem Verhalten der Passagiere lernen. Bis zu einem halben Jahr kann es dauern, bis diese Systeme optimal eingestellt sind. Bis dahin regelt die Crew teils manuell nach, teils gibt es aber eben auch Momente, zu denen es einmal an einer Stelle zu warm oder zu kalt ist.

Faszinierend, aber aus anderen Gründen

Jungfernfahrten sind trotzdem sehr faszinierend, allerdings nicht, weil sie so glamourös wären, wie man sich das vielleicht vorstellt. Vor allem erfahrene Kreuzfahrer lieben den Blick hinter die Kulissen, sind neugierig auf sonst gut versteckte Details, wollen auch den Teil eines Kreuzfahrtschiffs erleben, der Passagieren meist verborgen bleibt und freuen sich wie kleine Kinder darüber, Teil der letzten Phase der Entstehung eines neuen Kreuzfahrtschiffs zu sein.

Weil sich die Werft beim knappen Zeitplan verkalkuliert hat, ist auf den ersten Reisen eines Schiffs längst nicht alles perfekt und immer öfter sind die Bauarbeiten noch nicht vollständig abgeschlossen. Aber genau das gewährt reizvolle Einblicke, die sich nicht mehr bieten, wenn alles einmal so richtig eingespielt ist.

Wer also über die Unzulänglichkeiten lächelnd oder sogar fasziniert hinwegsehen kann, wer nicht gleich einen hochroten Kopf vor Ärger bekommt, wenn vielleicht irgendwo eine halbe Stunde lang Baulärm zu hören ist, der bekommt auf einer Jungfernfahrt tatsächlich ein ganz besonderes Erlebnis und kann für den Rest seines Lebens sagen: „Ich war damals dabei“ und „Ich war als einer der ersten Passagier überhaupt an Bord“.

Mit den richtigen Erwartungen auf Vorab- und Jungfernfahrt

Mit all dem kann man als Passagier nun auf zweierlei Weise umgehen: Sich maßlos aufregen und mit Verweis auf den gezahlten, meist hohen Reisepreis aus den Rezeptions-Tresen hauen und das Unmögliche verlangen – nämlich Perfektion vom ersten Tag an. Wer so eingestellt ist, dem sei dringend von der Buchung einer Jungfernfahrt abgeraten.

Oder man genießt die besondere, wenn auch vielleicht andere als die erwartete Atmosphäre dieser einmaligen Reise, lacht zusammen mit der Crew über Fehler, Probleme und Unzulänglichkeiten, zieht sich bei Baulärm in einer andere Ecke des Schiffs zurück und saugt all diese Erlebnisse neugierig in sich auf. Denn dann wird eine Jungfernfahrt tatsächlich zu einer – im positivsten Sinne – unvergesslichen Kreuzfahrt.

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Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

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