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Landstrom gegen Abgase von Kreuzfahrtschiffen

Landstrom (shore power, cold ironing) kann Kreuzfahrtschiffe mit Energie versorgen, solange sie im Hafen liegen. So lassen sich Schadstoff-Emissionen dort auf Null reduzieren. Was einfach klingt, ist in der Praxis kompliziert. Die Gegenargumente: Landstrom ist teuer und unflexibel. Oft bringt noch nicht einmal einen Vorteil für Gesundheit und Umwelt.

Sehen Sie zu diesem Thema auch unser Video „Landstrom für Kreuzfahrtschiffe„.

Grundsätzlich sind die Maschinen auf den Kreuzfahrtschiffen sehr energieeffizient und produzieren Strom relativ preisgünstig. Der Nachteil ist, dass Emissionen genau dort entstehen, wo das Schiff sich gerade befindet. Und das ist oft mitten im Zentrum einer Stadt, wo die Luft durch Straßenverkehr und Industrie ohnehin schon belastet ist.

Andererseits muss Strom von Kraftwerken an Land transformiert werden, damit er am Schiff genutzt werden kann. Unter anderem haben Schiffsnetze eine Frequenz von 60 Hertz, während Landstrom mit 50 Hertz produziert wird. Die Umwandlungsprozesse können aber bis zu 50 Prozent der Ausgangsenergie kosten. Außerdem benötigen Kreuzfahrtschiffe sehr große Energiemengen, sodass genau in den benötigten Zeitfenstern diese Energie im Landnetz auch zur Verfügung sein muss. Ein mittelgroßes Kreuzfahrtschiff von AIDA oder TUI Cruises beispielsweise benötigt zwischen 4,5 und 7 Megawatt. Ein Schiff der Größe der AIDAnova sogar rund 10 Megawatt.

Schadstoff-Ausstoß lokal reduzieren

Kreuzfahrtschiffe, die mit Landstrom-Technik ausgerüstet sind und an Terminals anlegen, die Landstrom (englisch: „shore power“ oder „cold ironing“ genannt) anbieten, können während der Hafenliegezeiten ihre Motoren (bis auf einen Generator für Notfallbereitschaft) abschalten und so den Schadstoff-Ausstoß reduzieren. Bei Häfen in dicht besiedelten Gebieten spielt dabei neben CO2 vor allem der Ausstoß von Feinstaub und den gesundheitsschädlichen Schwefel- und Stickoxiden eine wichtige Rolle (siehe dazu auch „Abgas-Vorschriften für Kreuzfahrtschiffe“).

Warum sind also nicht längst alle Häfen mit Landstrom ausgerüstet. Und warum nutzen Schiffe vorhandene Einrichtungen nur wenig? Die Umrüstung vorhandener Schiffe mit Landstromanschluss ist teuer: Zwischen 300.000 und 2 Millionen Euro kostet der Umbau. Und der Strom, den die Schiffe dann von Land beziehen sollen, ist deutlich teurer als der selbst an Bord produzierte. Deshalb sind längst nicht alle Schiffe mit dieser Technik ausgestattet. So verfügten beispielsweise von den insgesamt über 100 Schiffen der Marken der Carnival Corp. mit Stand 2015 lediglich 26 über diese Technik.

Auch die Einrichtung eines Landstrom-Anschlusses an einem Kreuzfahrt-Terminal schlägt mit ein bis drei Millionen Euro zu Buche. Immerhin hat sich die Europäische Union 2014 nach jahrelangem Ringen entschlossen, Landstrom-Anschlüsse in wichtigen Häfen finanziell zu fördern und eine entsprechende Richtlinie dazu verabschiedet.

Landstrom bringt nicht überall Verbesserungen

Blendet man den Kostenfaktor einmal aus, klingt die Versorgung von Kreuzfahrtschiffen mit Strom aus Kraftwerken an Land wie ein Allheilmittel für die Zeit, in denen Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen – was je nach Fahrtgebiet bis zu 50 Prozent der Betriebszeit der Schiffe ausmachen kann.

Eine Studie der EU-Kommission von 2009 hat allerdings gezeigt, dass die umweltschonende Energieversorgung von Schiffen mit Landstrom zwar beispielsweise in Nord- und Ostsee ökologisch durchaus sinnvoll ist. Im Mittelmeerraum sind dagegen an Land noch überwiegend Kohlkraftwerke zur Erzeugung von (Land-)Strom in Betrieb, die eine schlechtere Umweltbilanz in Bezug auf Schadstoff-Ausstoß haben als die an Bord moderner Schiffe betriebenen Generatoren. Das gilt insbesondere dann, wenn die Schiffe zunehmend mit Abgasfiltern wie Scrubbern und vereinzelt auch schon Katalysatoren ausgestattet sind.

Eine Studie für die EU-Kommission von 2015 bestätigt das im Prinzip, empfiehlt aber dennoch die Landstrom-Nutzung in Gebiete mit eigentlich schlechterer Schadstoffbilanz. Laut dieser Studie überwiegt der Vorteil, dass die Emissionen aus dicht besiedelten (Hafenstädte) in gering besiedelte Gebiete (Kraftwerk-Standorte) verlagert wird.

Update: Ab 2030 gilt EU-weit eine Pflicht zur Nutzung von Landstrom, für Kreuzfahrtschiffe ebenso wie für Fracht- und Containerschiffe.

Wo gibt es bereits Landstrom-Anschlüsse?

UPDATE: Seit Entstehung dieses Beitrags hat sich einiges getan. Seit etwa 2022/23 nimmt da Thema deutlich Fahrt auf und immer mehr Häfen bieten Landstromanschlüsse für Kreuzfahrtschiffe an. Die Liste mit Landstrom-Häfen weiter unten in diesem Beitrag ist auf dem Stand von Ende 2022 daher inzwischen wahrscheinlich nicht mehr vollständig.

"Strom-Tankstelle" in San Diego (Bild: Port of San Diego, CC BY 2.0)
„Strom-Tankstelle“ in San Diego (Bild: Port of San Diego, CC BY 2.0)

In kalifornischen Häfen ist die Nutzung von Landstrom schon seit 2014 Pflicht und der Anteil der Flotte, der Landstrom nutzen muss, wurde seitdem kontinuierlich gesteigert: Seit 2020 müssen 80 Prozent der jeweiligen Flotte Landstrom im Hafen in Anspruch nehmen. Das zielt zwar vor allem auf die Fracht- und Container-Schifffahrt, gilt aber auch für Kreuzfahrtschiffe. Ab 1. Januar 2023 gilt eine vollständige Landstrom-Pflicht in kalifornischen Häfen.

Entsprechend sind kalifornische Häfen inzwischen auch mit Landstrom-Einrichtungen ausgestattet:

  • San Francisco seit 2010 (Liegeplatz 27)
  • San Diego seit 2010
  • Long Beach seit 2011
  • Los Angeles (San Pedro, Liegeplätze 92 & 93) seit 2011

Vorreiter beim Umweltschutz sind in den USA außerdem regelmäßig die Bundesstaaten im pazifischen Nordwesten, also vor allem Washington und Alaska sowie British Columbia in Kanada. Auch dort habe viele Häfen Landstrom-Anschluss und das schon viel länger als die kalifornischen Kreuzfahrthäfen:

  • Juneau seit 2001
  • Seattle seit 2005
  • Vancouver seit 2009

Landstrom an Kreuzfahrt-Terminals in europäischen Häfen:

  • Hamburg-Altona seit Juni 2016
  • Kristiansand seit 2018
  • Bergen seit 2019 (Erweiterung auf drei Anleger im Mai 2020)
  • Aarhus, Dänemark, seit Herbst 2020
  • Trondheim seit 2022 (am Anleger für Havila und Hurtigruten)
  • Kiel seit 2021 (Ostseekai; Ostufer-Hafen für 2022 geplant)
  • Rostock-Warnemünde ab 10. Mai 2021 im Regelbetrieb
  • Southampton seit April 2022 in Betrieb (Mayflower-Terminal, Horizon-Terminal)
  • Helsinki seit Januar 2023
  • Aarhus seit Juni 2023
  • Valletta, Malta, seit Dezember 2023
  • (Stockholm, ab 2023 und 2024 geplant)
  • (Kopenhagen, ab 2025 geplant)
  • (Marseille, ab 2025 geplant)
  • (Valencia, ab 2025 geplant)

Weitere Kreuzfahrt-Häfen mit Landstrom:

  • Halifax seit 2014
  • Brooklyn seit 2016
  • Montreal seit 2017
  • Shanghai seit 2019

Hamburg plant einen Landstrom-Anschluss für Kreuzfahrtschiffe am Kreuzfahrt-Terminal in Steinwerder für 2022, Kopenhagen will schon 2021 so weit sein. Auch Southampton will 2021 zwei Landstromanschlüsse an zwei Kreuzfahrt-Terminals in Betrieb nehmen. Stockholm plant je eine Landstromanlage für 2023 und 2024. In Hong Kong wurden entsprechende Planungen dagegen Mitte 2015 erst einmal auf Eis gelegt. Eine entsprechende Aufrüstung des Kai-Tak-Terminals erschien trotz der enormen Luftverschmutzungsprobleme dort als zu teuer.

Ansonsten gibt es Landstrom-Versorgung in immer mehr Häfen zumindest für Fähren. Lübeck hat beispielsweise seit August 2008 Landstromanschlüsse für RoRo-Fähren am Nordlandkai-Terminal. In Oslo und Kiel legen die Schiffe der Color Line der Linie Kiel-Oslo an einem eigenen Terminal mit Landstrom-Ausrüstung an. Der Göteborger Hafen versorgt die Stena-Line-Fähren von Land aus seit Ende Januar 2011 mit Strom. Antwerpen und Rotterdam versorgen Binnenschiffe mit Landstrom, in Rotterdam laut Hafenordnung sogar mit Benutzungspflicht für alle Binnenschiffe.

LNG-Barge als Alternative zum statischen Landstrom-Anschluss

Feste Landstrom-Anschlüsse in Kreuzfahrt-Terminals haben etliche Nachteile. Schon immer hatten die Reedereien und Hafenbetreiber beklagt, dass die Aus- beziehungsweise Umrüstung bestehender Schiffe und Terminals zu teuer sei und fest installierte Anlagen zu unflexibel sind.

LNG Hybrid-Power-Barge "Hummel" im Hamburger Hafen (Bild: Becker Marine Systems)
LNG Hybrid-Power-Barge „Hummel“ im Hamburger Hafen (Bild: Becker Marine Systems)

Eine vielversprechende Lösung hat AIDA zusammen mit dem Hersteller Becker Marine Systems in Hamburg umgesetzt und 2015 erstmal auch wirklich eingesetzt: Am 30. Mai 2015 versorgte die LNG-Power-Barge „Hummel“ im Hamburger Hafen zum ersten Mal die AIDAsol mit Energie von außen. Die Barge ist ein kleines, schwimmendes Kraftwerk, das eine Leistung von 7,5 Megawatt bereitstellen kann, die sie aus der Verbrennung von umweltfreundlichem Flüssig-Erdgas (LNG) bezieht.

Die LNG-Barge hat einige Vorteile gegenüber einer fest installierten Landstrom-Versorgung an Land:

  • Sie ist nicht ortsgebunden, kann also Schiffe an beliebiger Stelle im Hafen mit Energie versorgen.
  • Die Investitionen seitens der Hafenbetreiber sind geringer – erst Recht, wenn mehrere Kreuzfahrt-Terminals vorhanden sind, die nicht ständig voll ausgelastet sind.
  • Planung und Umsetzung kosten wesentlich weniger Zeit als der Bau einer landseitigen, fest installierten Stromversorgung im Terminal.
  • Sie ist unabhängig vom Stromnetz an Land – bei den Energiemengen, die ein Kreuzfahrtschiff benötigt, ist das nicht ganz unwichtig.

Andererseits muss die Versorgung mit LNG-Tanks für die Barge sichergestellt sein.

Das weltweite Interesse von Hafenbetreibern an dieser Technik zeigt einen hohen Bedarf an Lösungen für das Emissions-Problem in den Häfen und ist auch ein Indiz dafür, dass diese günstigere, flexiblere und ohne großen Planungsvorlauf einsetzbare Technik zumindest für die nähere Zukunft für eine umweltfreundliche Energieversorgung von Kreuzfahrtschiffen sorgen könnte.

6 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

6 Gedanken zu „Landstrom gegen Abgase von Kreuzfahrtschiffen“

  1. Wenn um 2030 nur noch LNG-Schiffe in Fahrt kommen, werden diese Techniken ab spätestens 2045 ohnehin völlig untergehen und auch unwichtig sein. Aber als, wenn auch teure, Übergangslösung sind Landstromanlagen nicht ganz unbedeutend.

  2. Bis 2030 oder 2045 reden wir vermutlich auch noch übe weitere Treibstoff-Alternativen, denn auch LNG sehe ich eher als Übergangstechnologie, komplett weg von fossilen Brennstoffen. Aber bis dahin ist noch viel technische Entwicklung nötig …

    Landstrom als Übergangslösung sehe ich auch, vermutlich ergänzt oder übernommen von LNG-Barges. Aber wie immer dürfte erst gesetzlicher Zwang dazu führen, dass das wirklich in der Breite eingesetzt wird. Das Gesetz in Kalifornien könnte dazu einen ersten Anstoß geben.

  3. Die Barge ist sicherlich eine vorteilhafte Idee. Allerdings sollte die LNG-Technologie keinesfalls als Umweltfreundlich bezeichnet werden. Erstens basiert sie auf einer fossilen Ressource und zweitens entstehen auch bei der Verbrennung von Erdgas schädliche Stoffe. UmweltfreundlichER wäre meiner Ansicht nach die bessere Wortwahl gewesen.

    Auch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass all diese Maßnahmen, wie Landstrom und LNG-Bargen, nur Symptome bekämpfen. Die Ursachen – ein unverhältnismäßig hoher und ökologisch unverantwortlicher Konsum an Übersee-Gütern und Massen-Cruise-Ship-Tourismus – florieren weiterhin. Hier sollte ein Umdenken in der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft erfolgen, notfalls unterstützt durch entsprechende Gesetzte.

  4. @Claudio: Vollkommen einverstanden. Das Thema ist einfach zu komplex, um alle Aspekte in einen einzelnen Beitrag zu packen. Deshalb habe ich alle Umwelt-Themen hier zusammengestellt: https://www.cruisetricks.de/faq-umweltschutz-und-nachhaltigkeit-in-der-kreuzfahrt/ und auch zu LNG einen eigenen Beitrag, der sich unter anderem auch mit den Nachteilen von LNG beschäftigt: https://www.cruisetricks.de/lng-als-treibstoff-fakten-zu-umweltschutz-und-kosten/

  5. So richtig scheint es weltweit nicht voranzukommen.
    Die Schiffe (zumindest die auf dem deutschen Markt – anscheinend fast alle AIDA Schiffe) scheinen schon sehr weit zu sein, leider die Häfen noch nicht.
    Ist denn die Liste der Häfen mit Landstorm (2022) aktuell?
    Wie sieht es mit Hamburg Steinwerder aus? Hier legen doch die meisten Kreuzfahrtschiffe an, warum dann Altona für den ersten Landstrom Anschluss gewählt worden ist, ist unbegreiflich, da legen doch die wenigsten Schiffe an.
    Vielen Dank für die Infos – Sonst findet man im Internet zum Thema nicht so viel.

  6. @oli: Ja, die Liste oben ist leider aktuell. Es gibt allerdings inzwischen sehr viele Planungen für Landstromanlagen, sodass die Liste in den kommenden zwei, drei Jahren deutlich länger werden dürfte.
    Auch für Steinwerder in Hamburg gibt es inzwischen Landstrom-Pläne. Warum man das dort nicht von Anfang an bei dem neuen Terminalbau berücksichtigt hat, versteht, glaube ich, niemand so richtig. Ein Grund dürften aber sicher auch die hohen Kosten sein, denn so eine Anlage kostet halt gleich mal fünf bis zehn Millionen Euro. In Altona wurde die Anlage geplant schon zu einem Zeitpunkt, wo es Steinwerder als Kreuzfahrtterminal noch gar nicht gab.

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