Wie hat mich die Pandemie als Mensch, vor allem aber als Reisejournalist getroffen, beeinflusst, verändert? Es ist faszinierend, wie tief man in sich selbst hineinblicken kann, indem man die vergangenen Monate auf heutiger Sicht betrachtet – und sich dabei mehr als einmal über sich selbst wundert.
Die nüchterne Meldung der International Society for Infectious Diseases mit dem Betreff „Undiagnosed Pneumonia – China (Hubei)“ am 30. Dezember 2019 war der Beginn von Veränderungen, die wir zuvor selbst als Katastrophenfilm-Szenario als „unrealistischen Quatsch“ eingeordnet hätten. Heute ist es die immer noch schwer fassbare Realität.
Ich blicke am Ende von 2020 auf eine faszinierende, emotionale Entwicklung zurück. Wie die meisten Menschen tue ich mir schwer, solch grundlegende Veränderungen sofort zu verstehen, sie anzunehmen und sich anzupassen. Wir sind Meister im Verdrängen und uns Dinge so Zurechtlegen, dass sie uns nicht überfordern.
Und so beobachte ich im Nachhinein, wie ich von einer Kombination aus kühler, professioneller Distanz einerseits und ängstlichem Rückzug aus dem öffentlichen Leben schrittweise wieder mehr Vertrauen gefasst habe. Was ich nicht für möglich gehalten hätte: Letztlich habe ich seit Juli erstaunliche sieben Reisen unternommen, sechs davon auf Kreuzfahrtschiffen.
Es war – und ist immer noch – eine Entwicklung, ein Prozess der Gewöhnung, der Akzeptanz von Neuem; eine Verschiebung der Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Dinge, die ich selbst steuern kann; ein Akzeptieren dessen, was ich eh‘ nicht ändern kann.
Eine Nacht in der Wüste von Abu Dhabi
Es kommt mir wie die Erinnerung an ein viele Jahre zurückliegendes Ereignis vor, wenn ich meine Fotos von der Orient-Kreuzfahrt im Januar 2020 betrachte. Wir waren über Nacht in einem Wüstencamp, ein paar Stunden von Abu Dhabi entfernt. Selten habe ich mich dort in den Sanddünen der Wüste so frei und unbeschwert gefühlt – ohne zu ahnen, wie viel besonderer diese Momente später im Jahre noch werden sollten.
Noch am 1. März fliege ich nach Chile. Wie die meisten realisiere ich nicht, was da aus China auf uns zurollt. Es ist weit entfernt, man verdrängt es. Covid-19 ist in Deutschland nicht präsent, die Ischgl-Katastrophe kommt erst ein paar Tage später ans Licht. Das Fiebermessen am Flughafen bei der Einreise in das damals noch coronafreie Chile nimmt man eher mit Humor.
Es sind nur wenige Tage in der Abgeschiedenheit der chilenischen Fjorde die große Freiheit in grandioser Natur erleben. Dass es währenddessen auch in Deutschland langsam eng wird mit Corona, nimmt mal als Nachricht wahr, aber es ist sehr weit entfernt. Als ich beim Rückflug beim Zwischenstopp in Madrid am Flughafen viele Menschen mit Masken sehe, fühlt sich das an wie der Sprung vom Paradies in ein Krisengebiet: surreal, unwirklich, fremd.
Einer der letzten Flüge zurück nach Europa
Ich komme am 11. März zurück nach München. Erst danach realisiere ich, dass es einer der letzten regulären Flüge aus Chile nach Europa war. Das war knapp, denn von da an fällt rasant eine Flugverbindung nach der anderen. Menschen beginnen, im Ausland festzusitzen. Am 23. März kommt der erste Lockdown in Deutschland. Für mich ist es eine harte Landung: durch die unbeschwerten Tage in Chile fast ohne Vorbereitung von Hundert auf Null.
2020 sollte ein Jahr werden, in dem mir fremde Menschen regelmäßig Wattestäbchen tief in Nase und Hals stecken und an dessen Ende ich mich mit Maske wohler fühle als ohne. Einen Antikörpertest, drei Antigentests, zehn PCR-Tests absolviere ich in Testzentren, Kliniken, am Flughafen, auf Schiffen. Aber das ahne ich im März natürlich noch nicht.
Am 13. März werden Kreuzfahrten erst einmal komplett abgesagt. „Für eine Weile“, denken alle. „Bald kann es wieder losgehen“, denken die meisten. Was für eine krasse Fehleinschätzung.
Was dann kommt, ist persönliche Abschottung. Ich macht beim Nordic-Walking große Bögen um andere Menschen, gehe nur als dem Haus, wenn es unbedingt nötig ist. Viele trifft das sehr hart. Ich komme gut damit klar, denn ich arbeite schon immer im Home Office. Also kein großer Unterschied, wenn auch emotional seltsam.
Keine Reisen mehr – was nun?
Wie alle Kollegen mache ich mir als Reisejournalist jetzt allerdings Sorgen um meine Arbeit. Reisen wird so schnell nicht mehr wird möglich. „Für ein paar Monate“, denke ich damals. Aber was tue ich als Reisejournalist jetzt? Nun, die Ereignisse geben die Themen vor und so berichte ich wochen- und monatelang fieberhaft über das Schicksal von Kreuzfahrtschiffen, die nirgends mehr anlegen dürfen; über Kreuzfahrt-Absagen, noch mehr Absagen und noch viel mehr Absagen; über rechtliche Fragen für die Menschen, die ihr Geld zurück haben wollen; über den Corona-Ausbruch auf der Artania in Australien, die humanitäre Katastrophe von Holland-America-Line-Schiffen mit sterbenden Menschen an Bord, die in Südamerika nirgendwo an Land dürfen.
Darüber zu berichten, fühlt sich seltsam steril und unwirklich an. Es betrifft nicht mich, ich berichte nur darüber. Trotzdem arbeite ich vermutlich mehr Stunden am Tag als je zuvor in meinem Leben, um ständig ganz aktuell zu sein, um den sich überschlagenden News hinterher zu kommen. Kaum klickt man bei einem Text den Speicher-Button an, hat sich die Situation schon wieder geändert.
Ich befinde mich gerade an meinem letzten Reisetag auf Madeira. Hier bin ich gelandet, nachdem die Kanaren zum Risikogebiet wurden und ich daher eine Alternative finden musste, die mir die Quarantäne erspart. Die geplante Kanarenkreuzfahrt wurde inzwischen sogar komplett gecancelt.
Und was soll ich sagen? War vielleicht doch ganz gut so. Denn hier auf Madeira ist man bei wesentlich niedrigeren Infektionszahlen als in Deutschland, sogar noch niedriger als auf den meisten Kanaren-Inseln. Und ich fühle mich sehr sicher hier, bin nur allein mit dem Mietwagen unterwegs gewesen, habe mich vor Abflug 2x testen lassen und meide jeglichen Nähe zu anderen Menschen. Dennoch spürt man die Gastfreundschaft der Menschen hier, auch auf (ausreichende) Distanz zueinander. Sowohl in den Restaurants als auch im Hotel und sonstigen Orten der Zusammenkunft werden alle Regeln rigoros eingehalten, viele Leute tragen auch im Freien dauerhaft die Maske, auch wenn sie nur dann getragen werden muss, wenn der Mindestabstand nicht gewährleistet werden kann.
Es freut mich für die Leute hier, dass wenigstens noch ein bisschen was läuft im Tourismus, sie geben sich alle große Mühe um sicher zu gehen, dass das auch Anfang 2021 noch möglich sein kann.
Das ist die Botschaft, die Reise in diesen Zeiten auch nach Hause tragen kann: Schaut Euch an, wie andere damit umgehen. Hört auf zu jammern, weil Euch das bisschen Papier vor der Nase lästig ist. Tut, was nötig ist, um die Pandemie einzudämmen. Es war alt auch schon immer so: Reisen erweitert den Horizont, Reisen bildet. Auch in diesen Zeiten trifft das zu. Gute Heimreise, @Patrick Schneider!
Wir waren Anfang des Jahres auf der Westerdam. Mit der DiamondPrincess das erste Schiff, das die Pandemie zu spüren bekommen hat. Wir hatten zum Glück keinerlei Fälle, aber das hat den Irrsinn damals nur bedingt besser gemacht. Während der Reise fanden wir die Situation nicht so toll, heute wünschen wir uns auf das Schiff zurück.
Nach der Reise dachten wir, das wäre eben diese Großeltern/Enkel-Geschichte. Am Ende war es nur der Auftakt in ein verrücktes Jahr und eine kleine persönliche Randgeschichte.
Dank deiner tollen Berichterstattung und unseren erstmaligen Erfahrungen mit 2 Flusskreuzfahrten in diesem Jahr, die gezeigt haben, dass man auch während Corona reisen kann, treten wir hoffentlich (man weiß ja nie, was noch dazwischen kommen kann) nächste Woche eine dreiwöchige Reise mit der Mein Schiff 1 an. Wir haben uns von allen Feiern ferngehalten, sind im Prinzip in Selbstisolation. Wir haben beide keine Bedenken, alles ist gut vorbereitet, übermorgen der PCR- Test am Flughafen, FFP2 Masken sind genügend gebunkert, vor allem für die Flüge. Fürs Schiff auch noch ein paar hübschere Alltagsmasken. Wir gehen die ganze Sache total zuversichtlich an.
Danke mal wieder für einen tollen Bericht von dir, der das Jahr gut zusammen gefasst hat.
Ich wünsche Euch eine wunderschöne Reise, liebe Marita!
Hallo Franz,
vielen Dank für diesen offenen, ehrlichen Rückblick.
Deine “innere Entwicklung” kommt mir sehr bekannt vor :-)