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Warum Ihr Kellner für Sie regelmäßig zum Dieb wird

Der Mangel an dringend benötigtem Material in den Restaurants von Kreuzfahrtschiffen ist ein ernstes Problem – aber nicht aus dem Grund, der einem als erstes in den Sinn kommt. Jeder Kellner hat einen bestimmten Bestand an Besteck und einen zugehörigen Platz im Regal dafür. Genau auf das Besteck zu achten ist (nicht nur) auf Carnival-Schiffen natürlich Pflicht und die Regale sind entsprechend markiert.

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Weil Namen auf einem Schiff mit Crew-Mitgliedern aus 60 Nationen eher verwirrend sind, malen viel Kellner stattdessen kleine Bilder als Markierung. Als einziger Amerikaner unter den Kellnern verwendete ich die US-Flagge als mein Symbol, was vermutlich auch nicht beängstigender wirkte als die schaurigen Fledermäuse, die mein Kollege zeichnete.

Jeder, der dabei erwischt wurde, wie er während der Essenszeiten schmutziges Besteck eines Kellner-Kollegen „borgte“, fing sich eine ernste Rüge ein. Wer gar sauberes Besteck abzweigte, riskierte eine Enthauptung. Am Ende der ersten Essenssitzung brachten die Kellner ihr Besteck eilig zum Geschirrspüler und weigerten sich, dort wegzugehen, bis ihre wertvolle Ladung sauber und nachgezählt war. Wer schlich keine Zeit für diese Vorsichtsmaßnahme hatte, musste sich darauf verlassen, dass ein wohlwollender Spüler Langfinger vom Besteck fernhielt. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass die Spüler für ihr Wohlwollen großzügige Trinkgelder genossen. Als Kellner missgönnten wir den Spülern das Geld nicht, denn selbst unser eigenes Gehalt, das unterhalb des Mindestlohns lag, war noch großzügig verglichen deren Lohn.

Brian David Bruns
cruisetricks.de-Gastautor Brian David Bruns ist der Autor der US-Bestseller-Reihe „Cruise Confidential“ und sorgt mit seinem ungeschminkten Blick hinter die Kulissen von Kreuzfahrtschiffen für Aufsehen.

Zu Anfang war ich empört über die offensichtliche Unfähigkeit von Carnival, ihre Mitarbeiter mit dem nötigen Arbeitsmaterial auszustatten. Jede Station musste eine bestimmte Anzahl an Untertassen, Wassergläsern, Weingläsern, Besteck, Brottellern, Kaffeetassen etc. haben. Und doch gab es von keinem dieser Gegenstände je genug.

Absurderweise wurde jede Nacht eine Bestandsaufnahme verlangt, bei der die Gegenstände offen auf den Tischen ausgebreitet und gezählt werden mussten. Gegenstände, die besonders dringend benötigt wurden, wie beispielsweise Butterdosen (weil auch Gäste auf sie scharf waren), lagen auf diese Weise offen herum und jeder konnte sie „borgen“ (= stehlen). Nach all der harten Arbeit im Service harrten die Kellner quasi als unbezahlte Wachleute an ihren Stationen aus und warteten darauf, dass der für sie zuständige Vorgesetzte ihre Station freigab.

Nach der Freigabe und nachdem die Kellner gegangen waren, bedienten sich andere Kellner wie Diebesbanden an diesen Stationen, um zu sammeln, was sie für die Freigabe ihrer eigenen Stationen benötigten. Um diese Inventur unbeschadet zu überstehen, waren die Kellner regelrecht gezwungen, von anderen zu stehlen, damit sie ihr eigenes Inventar als vermeintlich vollständig präsentieren konnten.

Eine hässliche Konsequenz daraus war, dass die Kellner schon eine Stunde vor Dienstbeginn an ihren Stationen erschienen, um sich ihre Sachen wieder zurück zu holen. Jedenfalls so viel, wie sie finden konnten. Die ganze Situation war bizarr und dem unersättlichen und unrealistischen Anspruch der Reederei an einen perfekten Service reichlich abträglich.

Erst, als ich das Restaurantpersonal eine Weile beobachtet hatte, verstand ich Carnival’s Vorgehen. Die meisten Kellner hatten eine extrem indifferente Einstellung zu Eigentum. Es gab extrem viel zerbrochenes Geschirr, weil sich niemand um die Kosten scherte. Carnival war ein Milliarden Dollar schwerer Konzern – warum sollte also ein überarbeiteter, unterbezahlter Kellner sich Gedanken um eine zertrümmerte Tasse machen? Aber bei 20 zerbrochenen Tassen täglich auf 20 Schiffen kam schnell eine ordentliche Summe zusammen! Indem Carnival verlangte, dass jede Station vollständig ausgestattet sein musste und selbiges jede Nacht kontrollierte, schob Carnival lediglich die Verantwortung für ihr Geschirr an die Kellner zurück. Die Schäden hielten sich dadurch sehr in Grenzen – anders als der Frust der Kellner.

Jeder Kellner, der von allen seinen Gästen ein Trinkgeld haben wollte – sein einziges nennenswertes Einkommen während der gesamten Kreuzfahrt – musste daher sorgsam mit seinem Geschirr umgehen. Wie sonst sollte man 26 Gäste gleichzeitig mit einer Tasse Kaffee zufriedenstellen, wenn man nur zehn Tassen und acht Untertassen hatte? Im laufenden Betrieb lange Finger zu machen, war unausweichlich. Selbst echte, nicht selbst verschuldete Unfälle mit zerbrochenem Geschirr waren keine Garantie dafür, dass man Ersatz für das dringend benötigte Geschirr bekam. Das System war brutal, aber effizient; so wie alle Dinge auf hoher See.

(Mein Buch „Cruise Confidential“ ist übrigens voll mit solchen überraschenden Hinter-den-Kulissen-Geschichten. Ich habe die ganze Skala der Restaurant-Jobs durchlaufen, vom Hilfskellner bis zum Manager und wieder zurück zum Kellner!).

Anmerkung: „Cruise Confidential“-Bestsellerautor Brian David Bruns schreibt regelmäßig Gastbeiträge für cruisetricks.de, in deutscher Übersetzung exklusiv.

1 Kommentar

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

1 Gedanke zu „Warum Ihr Kellner für Sie regelmäßig zum Dieb wird“

  1. Ich sehe das ein wenig analog der Tatsache, daß alle Köche über ihren eigenen Messersatz verfügen. Ich könnte mir vorstellen, daß gute Messer auch gerne Beine bekommen und zudem jede Menge Unfug damit getrieben wird (Dinge, die man nicht selbst beschaffen muß und die einem gestellte werden, behandelt man ja oft nicht mit der gleichen Sorgfalt wie eigene).

    So ist jeder für seine Ausstattung verantwortlich. Ich fänd es zwar als Kellner schikanös – aber einsichtig ist es mir.

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