Deutsche Auswanderer haben in New York City erstaunlich viele Spuren hinterlassen. Ihre Geschichte dort kennen die meisten aber nicht. Wir begeben uns auf die Suche nach Spuren einer der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, die eng mit dem früheren „Little Germany“ verbunden ist. Ein wenig in der deutschen Geschichte von New York vor hundert Jahren zu stöbern, ist unser Ausflugstipp abseits der typischen Sightseeing-Hotspots.
Wer heutzutage New York City besucht, hat zumeist keine Vorstellung davon, wie deutsche Auswanderer diese Stadt einst mitgeprägt haben. Doch die Spuren dieser Zeit sind immer noch da, wenn man weiß, wo man suchen muss.
Auf einigen Häusern finden sich beispielsweise noch deutsche Inschriften. Ganze Straßenzüge des ehemaligen „Little Germany“ an der Lower East Side von Manhattan sind erhalten. Denkmäler und Statuen weisen auf die deutsche Geschichte der Stadt hin. Und auf einem Friedhof in Queens liest man in weiten Teilen fast ausschließlich deutsche Namen auf den Grabsteinen und Denkmälern.
Aber werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf einen Ausschnitt der deutschen Geschichte von New York und auf eines der schrecklichsten Ereignisse nicht nur für die deutsche Gemeinde, sondern für die ganze Stadt New York, von dem heute kaum noch jemand weiß. In unserem Ausflugstipp begeben wir uns anschließend auf Spurensuche zu dieser Katastrophe, die sich im Jahr 1904 ereignet hat.
Themen in diesem Beitrag:
- „Little Germany“ in New York war alles andere als klein …
- Eine Schiffskatastrophe besiegelt den Niedergang von Little Germany
- Die General Slocum
- Das Ende der lutherischen Gemeinde von St. Mark‘s
- Spurensuche am All Faiths Cemetary in Queens
- Das General-Slocum-Memorial
- Kurzer Abstecher zum Grab der Familie von Donald Trump
- Die Markuskirche – St. Mark’s Lutheran Church in Little Germany
- Slocum-Memorial-Brunnen im Tomkins Square Park
- Das ehemalige deutsche Viertel an der Lower East Side
- Mehr Detail zu historischen Gebäuden an der Lower East Side
- Deutsche Auswanderer in New York
„Little Germany“ in New York war alles andere als klein …
Im 19. Jahrhundert waren Deutsche die zweitgrößte Einwanderergruppe in New York, zahlenmäßig nur übertroffen von den Iren. 1855 hatte New York so viele deutschsprachige Einwohner wie sonst nur Berlin und Wien. Schon 1845 war Kleindeutschland insgesamt das bevölkerungsreichste Stadtviertel New Yorks und umfasste rund 400 Straßenblocks.
Little Germany oder Kleindeutschland, von den Nicht-Deutschen „Dutch Town“ genannt, befand sich an der Lower East Side im East Village und in der Gegend um den Tompkins Square Park. Den hübschen Park, den es auch heute noch gibt, nannten die Deutschen „Weißer Garten“.
Auf den Straßen wurde Deutsch gesprochen, es gab deutsche Zeitungen, deutsche Brauereien, Bierhallen und Theater, ein vielfältiges Vereinsleben und lebendige Kirchengemeinden wie vor allem die lutherische Gemeinde der Markuskirche – St. Mark‘s Evangelical Lutheran Church – an der East Sixth Street.
Der große Boom von Kleindeutschland in New York war zur Jahrhundertwende bereits im Abklingen, dennoch lebten um 1900 noch knapp 60.000 Deutsche in dem Stadtviertel.
Eine Schiffskatastrophe besiegelt den Niedergang von Little Germany
Ein anfangs fröhlicher Picknick-Ausflug mit dem Seitenraddampfer „General Slocum“ sollte am 15. Juni 1904 aus einer lebendigen, relativ wohlhabenden Gemeinde einen Ort der Trauer und Verzweiflung machen, von dem sich die deutsche Bevölkerung nicht mehr erholte.
Von einem Tag auf den anderen war im großen, deutschen Viertel von New York nichts mehr wie zuvor. Es war der Tag, ab dem sich die größte zivile Schiffskatastrophe der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ereignete: der Brand des Dampfschiffs „General Slocum“.
Die wohlhabende, deutsche Kirchengemeinde St. Mark‘s Evangelical Lutheran Church an der East Sixth Street hatte die „General Slocum“ für den jährlichen Picknick-Ausflug gechartert. Der Seitenraddampfer sollte die Frauen und Kinder der Gemeinde an diesem sonnigen Sommertag in einer etwa zweistündigen Dampferfahrt nach Long Island bringen. Mit Spielen, Tanz und einem Picknick im Grünen wollten sie den Abschluss des Schuljahres feiern.
Doch kurz nachdem das Schiff morgens um 9 Uhr abgelegt hatte und flussaufwärts dampfte, brach in einem Laderaum ein Feuer aus. „Hell’s Gate“ heißt bezeichnenderweise heißt die Engstelle am East River, an der die Tragödie begann. Ausgelöst hatte das Feuer wahrscheinlich ein achtlos weggeworfenes Zündholz oder eine Zigarette, die Heu im Laderaum des Schiffs entzündete.
Das Feuer griff rasch um sich, Wind und Fahrtwind fachten es zusätzlich an und die desaströs vernachlässigten Sicherheitseinrichtungen an Bord taten ein Übriges: Die Feuerwehrschläuche waren marode. Die Rettungswesten, obwohl kurz zuvor als fehlerfrei zertifiziert, saugten sich mit Wasser voll, statt zu schwimmen. Die Crew hatte keine Brandbekämpfungsübungen absolviert. Der Kapitän hielt das Schiff in der Flussmitte, statt das Ufer anzufahren – teils aus Sorge, dort angesiedelte Holzlager könnten in Brand geraten, teils weil er fürchtete, das Ruder des Schiffs könnte in der starken Strömung von Hell’s Gate brechen.
Viele Menschen sprangen über Bord, obwohl sie nicht schwimmen konnten. Die meisten verbrannten hilflos in der Flammenhölle an Bord der General Slocum. Ihre Leichen wurden zu Hunderten am Ufer des East River angespült. Es müssen schreckliche Szenen gewesen sein. Das Smithsonian Magazine beschreibt die Katastrophe in all ihrem Grauen.
Ein Youtube-Video fasst die Ereignisse zusammen und zeigt historische Fotos und Dokumente:
Die Bilanz des Infernos: Offiziell starben 1.021 Menschen, fast ausschließlich Frauen und Kinder. Wahrscheinlich waren es noch einige mehr, denn Kinder unter zehn Jahren benötigten keine Fahrscheine. An Bord er General Slocum waren mindestens 1.388 Menschen. Nur 321 von ihnen haben die Katastrophe überlebt.
Unter den Überlebenden befand sich auch der Kapitän, William Van Schaick, der mit Brandblasen an den Füßen davonkam. Er wurde zwei Jahre später als einziger von vielen mutmaßlich Mitschuldigen angeklagt, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und vier Jahre später von Präsident Taft begnadigt.
Die General Slocum
Von dem Katastrophen-Schiff selbst ist heute übrigens nahezu nichts mehr erhalten. Selbst Fotos sind rar. Einige wenige Stücke vom Schiff liegen in den Archiven der New-York Historical Society, werden aber derzeit nicht ausgestellt und sind daher kaum zugänglich. Unter anderem liegt hier die Schiffsglocke der General Slocum und eine Hecklaterne.
Das Ende der lutherischen Gemeinde von St. Mark‘s
Nach der Katastrophe auf der General Slocum vom 15. Juni 1904 zerfiel die deutsche Gemeinschaft in Little Germany nach und nach. So mancher verwitweter Ehemann beging verzweifelt Selbstmord. Zahlreiche Familien zogen fort.
Viele deutschstämmige New Yorker siedelten sich im Stadtviertel Yorkville an der Upper East Side an. Dort findet man auch heute noch deutsche Inschriften auf Häusern wie dem historischen „Kolping Haus“ (Kolping New York, 165 East 88th Street) oder der „Deutsche Ev. Kirche von Yorkville“ (Zion-St. Mark’s Evangelical Lutheran Church, 339 East 84th Street)
Spurensuche am All Faiths Cemetary in Queens
1930 lebten die meisten Deutschen bereits jenseits des East Rivers in Queens, nicht zuletzt auch, weil die Deutschenfeindlichkeit in New York während des ersten Weltkriegs sie aus Manhattan vertrieb.
In Queens beginnen wir auch unsere Spurensuche nach sichtbaren Erinnerungen an die deutsche Gemeinschaft in New York. Denn am ehemals lutherischen, heute für alle Konfessionen offenen Friedhof „All Faiths Cemetary“ in Queen findet sich eine von zwei Gedenkstätten zur Feuerkatastrophe auf der General Slocum.
Für den Ausflug nach Queens sollte man sich insgesamt einen halben Tag Zeit nehmen. Der Friedhofseingang liegt nur ein paar Schritte entfernt von der Endstation der Linie M in Queens (Station „Middle Village – Metropolitan Avenue“), wenn man am Bahnsteig vorne aussteigt. Der Friedhof ist weitläufig und lohnt eine genauere Erkundung.
Tipps: Auch wenn Queens einen eher zweifelhaften Ruf hat, ist die Fahrt dorthin mit der Metro sicher. Weil die Metro stark klimatisiert ist, schadet es nicht, eine dünne Jacke dabei zu haben. Metro-Tickets gibt es an Automaten in den Stationen, eine Metro-Card kostet zehn Dollar, die dann neun Dollar Guthaben aufweist, die man entsprechend abfahren und an den Automaten auch wieder aufladen kann – die Karte also nicht wegwerfen.
Das General-Slocum-Memorial
Der weitläufige Friedhof hat einen Nord- und einen Südteil. Das General-Slocum-Mahnmal befindet sich im südlichen Teil gut 500 Meter Luftlinie vom Friedhofseingang entfernt.
Die meisten Grabmale sind über 100 Jahre alt, teils opulent verziert und stehen in einer parkartigen, hügeligen Landschaft. Auf einem Großteil der alten Grabsteine finden sich deutsche Inschriften und deutsche Namen die erahnen lassen, dass sich viele Deutsche einen gewissen Wohlstand in der Neuen Welt erarbeitet hatten.
„Seien wir nicht umsonst gestorben“ ist am Zugang zum General Slocum Disaster Memorial in Stein gemeißelt. Es wurde hier 1905 von der „Organization of the General Slocum Survivors“ zum Gedenken an die 61 nicht identifizierten Opfer des Unglücks errichtet, die an dieser Stelle beerdigt sind.
Links und rechts vom Slocum-Denkmal befinden sich zwei etwas kleinere Denkmäler, Statuen von Engeln mit einer Trompete beziehungsweise einem kleinen Kind.
Wer sich übrigens fragt, woher der Name des Unglücksschiffs stammt: Es ist nach einem Nordstaaten-General im amerikanischen Bürgerkrieg, Henry Warner Slocum, benannt. Er hatte unter anderem in der Schlacht von Gettysburg eine wichtige Rolle gespielt.
Kurzer Abstecher zum Grab der Familie von Donald Trump
Über eine Reportage in der Esquire aus dem Oktober 2016 bin ich auf ein Grab am All Faiths Cemetary aufmerksam geworden, das ich mir ebenfalls kurz ansehen wollte, wenn ich schon einmal hier bin. Die Reporterin hatte das Familiengrab von Donald Trump gesucht – und nicht gefunden, was meinen Entdeckergeist herausforderte.
Es wäre doch gelacht, wenn man dieses Grab nicht finden könnte. Tatsächlich war das sogar recht einfach. Denn es gibt im Internet Fotos des Grabsteins. Darauf ist die Grabnummer eingraviert: Nummer 14876. Und auf der Website des Friedhofs gibt es einen Gräberplan.
Die Grabnummer war auf den Fotos nicht ganz eindeutig zu entziffern, sodass ich zuerst nach einer falschen Nummer an der falschen Stelle suchte. Doch schließlich wurden wir fündig – gleich um die Ecke zum General-Slocum-Memorial. Immerhin war die Rasenfläche vor dem Grabstein gemäht, anders als bei den meisten anderen Gräbern hier. Ansonsten aber ist es einfach ein ganz normales Grab – nichts Besonders, wenn man nicht weiß, zu welcher Familie es gehört.
Beerdigt sind hier Donald Trumps deutsche Großeltern Friedrich und Elisabeth Trump, seine Eltern Mary Anne MacLeod Trump und Frederick Christ Trump sowie sein Bruder Frederick Christ „Fred“ Trump.
Die Markuskirche – St. Mark’s Lutheran Church in Little Germany
Zurück in Manhattan, besuchen wir die frühere Markuskirche, deren Gemeinde so grausam von der General-Slocum-Katastrophe betroffen war.
Die Kirche steht heute noch und ist schon seit 1940 eine orthodoxe Synagoge, die Community Synagogue Max D. Raiskin Center (329 East 6th Street). Am Eisenzaun zu dem Gebäude hängt eine Gedenktafel, die 2004 ziemlich genau 100 Jahre nach dem Unglück vom Maritime Industry Museum in Erinnerung an das Feuer hier angebracht wurde.
Slocum-Memorial-Brunnen im Tomkins Square Park
Im Tompkins Square Park, von der deutschen Gemeinde damals „Weißer Garten“ genannt, steht zur Erinnerung an die Schiffskatastrophe ein Marmor-Brunnen des Bildhauers Bruno Louis Zimm, der Slocum Memorial Fountain. Die Sympathy Society of German Ladies stiftete diesen Brunnen bereits 1906.
Oberhalb des Ausgusses in Löwenkopf-Form zeigt der Brunnen ein Flachrelief mit zwei seewärts blickenden Kindern und gedenkt damit vor allem der vielen Kinder, die bei dem Unglück ihr Leben verloren haben.
Das ehemalige deutsche Viertel an der Lower East Side
Angrenzend an den Tompkins Square Park finden sich zahlreiche Häuser und ganze Straßenzüge, die aus der damaligen Zeit erhalten sind, als das Viertel noch als „Little Germany“ bekannt war.
Denkt man sich die modernen Autos weg, vermittelt das einen ganz guten Eindruck davon, wie Little Germany um 1900 herum ausgesehen haben mag.
Auf der Suche nach alten, deutschen Inschriften wird man an diesen Häusern immer wieder fündig. Lohnenswert ist ein Besuch bei der ehemaligen „Deutsch-Amerikanische Schützengesellschaft“ ( 12 St Mark’s Place), dem Clubhaus für damals nicht weniger als 24 deutsch-amerikanische Schützenvereine. Das Motto „Einigkeit macht stark“ findet sich in dem großen Relief an der Außenwand des Gebäudes im dritten Stock.
Die „Freie Bibliothek und Lesehalle“ (135 Second Avenue) dient auch heute noch als Bibliothek und beherbergt eine Zweigstelle der New York Public Library. Wie die deutsche Klinik nebenan wurde die Bibliothek 1883-1884 von William Schickel in italienischem Neo-Renaissance-Stil erbaut. Gestiftet wurden die beiden Gebäude von Anna und Oswald Ottendorfer, Herausgeber der „Staats-Zeitung“.
Die benachbarte Klinik „Deutsches Dispensary“ (137 Second Avenue) wurde später zum Stuyvesant Polyclinic Hospital und beherbergt heute einen Coworking-Space für Frauen. Die Klinik diente ursprünglich zur kostenlosen Behandlung von Menschen, die sich das Honorar für einen Arzt nicht leisten konnten.
Auf der Fassade wurden hier in Relief-Skulpturen berühmte Ärzte und Wissenschaftler verewigt: Galenius, Asklepius, Celsius und Hippokrates auf dem Portal sowie unter dem Sims William Harvey, Carl von Linnen, Alexander von Humboldt und Christoph Wilhelm Hufeland.
Mehr Detail zu historischen Gebäuden an der Lower East Side
Erwähnenswert ist die Lower East Side Preservation Initiative, kurz LESPI, die sich heute um den Erhalt der historischen Architektur in diesem Stadtviertel bemüht. LESPI unterhält unter anderem einen Stadtplan, auf dem kulturell wichtige Orte in der Lower East Side verzeichnet sind. Und auch zur bewegten Geschichte des Tompkins Square Parks gibt es auf deren Website einen ausführlichen Beitrag.
Auf einer interaktiven Karte der NYC Landmarks Preservation Commission sind zahlreiche historische Gebäude in ganz New York verzeichnet, aus der sich unter anderen Baujahr, Baustil, Verwendung und Eigentümer ablesen lassen.
Deutsche Auswanderer in New York
Natürlich gibt es in New York noch sehr viel mehr zur Geschichte deutscher Auswanderer zu entdecken. Aber darüber könnte man ein ganzes, dickes Buch schreiben – und viele Tage lang durch die Straßen der Stadt streifen und immer neues entdecken.
Eines der vielen Beispiele sind die Büsten von Friedrich Schiller und Alexander von Humboldt im Central Park. Auch sie stehen dort natürlich nicht zufällig: Ein Großteil der rund 20.000 Arbeiter, die den Park ab 1857 erbauten, waren deutschstämmige Gärtner, Maurer und Tagelöhner.
Die Erkundungstour in diesem Beitrag orientiert sich eng an der Schiffskatastrophe der General Slocum. Ich hoffe, Sie ein wenig zu inspirieren, abseits der üblichen Touristenpfade in New York zu wandeln. Besonders faszinierend ist diese Entdeckertour sicherlich, wenn man gerade mit dem Kreuzfahrtschiff über den Atlantik gefahren ist und damit das Gefühl der deutschen Auswanderer von damals noch besser nachempfinden kann.
Sehr geehrter Herr Neumeier,
vielen Dank für den sehr interessanten Artikel. Heute morgen habe ich das erste Mal von der Slocum Katastrophe gelesen. Da ein Teil meiner Vorfahren im 18. Jahrhundert nach New York ausgewandert sind, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, wie ich die Namensliste der Toten einsehen kann.
Viele Grüße aus Hamburg, Dörmer
Ich fürchte, da muss ich passen, eine Liste ist mir dazu nicht bekannt, allerdings habe ich auch nicht gezielt danach recherchiert. Aufschluss könnte vielleicht eine Recherche in Tageszeitungsarchiven aus dieser Zeit geben (teils auch online verfügbar) und vielleicht kann auch der im Beitrag erwähnte Friedhof helfen.