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Bordseelsorger Edgar Hasse auf der Mein Schiff 2 mit Gastgeberin Tatjana Gerber und Cruise Director Martin Schwarz (Bild: Nicole Zaddach)

Bordseelsorger: Kreuzfahrt im Auftrag der Kirche

Sonne, Wind, Meer, Traumurlaub – das klingt nicht nach einer Umgebung, in der Menschen einen Seelsorger brauchen. Doch der Schein trügt. Vor allem zu Festtagen wie Ostern suchen Passagiere immer wieder das Gespräch, hoffen auf Hilfe oder Trost. Auf einigen Schiffen sind daher bei Kreuzfahrten rund um die Feiertage oft Pastoren, Priester oder Theologen mit an Bord. Als Bordseelsorger kümmern sie sich um die Sorgen und Nöte der Passagiere oder halten Gottesdienste und Andachten für Gäste und Crew.

Cruisetricks.de hat sich mit Edgar S. Hasse unterhalten, der regelmäßig bei TUI Cruises als Bordseelsorger mit der Mein Schiff 1 und 2 in See sticht. Edgar Hasse ist Theologe und arbeitet im Hauptberuf als Redakteur bei der „Welt“ und „Welt am Sonntag“. Wir haben ihn als Journalisten-Kollegen auf einer gemeinsam Kreuzfahrt kennengerlernt, die Gelegenheit genutzt und ihm gleich nach der Reise ein paar Fragen zu seiner spannenden Arbeit als Bordseelsorger gestellt.

Was genau machst Du als Bordseelsorger auf einem Schiff?

Bei TUI Cruises, wo ich als ehrenamtlicher Bordseelsorger mit Sondergenehmigung durch die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche engagiert bin, wird diese Tätigkeit unter „Edutainment“ geführt. Die Bordseelsorge ist damit an den großen kirchlichen Feiertagen Teil des Bordprogramms.

Einmal geht es um Vorträge zu ausgewählten, aktuellen religiösen Themen. Außerdem geht es um das traditionelle Angebot von Gottesdiensten. Und schließlich um das direkte Gespräch mit interessierten Passagieren über Gott und die Welt. Das ist Urlauberseelsorge, und insofern ein Stück Alltagsseelsorge, die sich en passant auf dem Deck ereignen kann. Also in einer Situation, in der die Gäste weitgehend frei sind von Zeit- und Termindruck. Die Seeluft setzt neue Potenziale in der Seele frei.

Bei der Osterreise in wenigen Tagen auf der Mein Schiff 1 biete ich den traditionellen ökumenischen Ostergottesdienst an. Nach der großen Resonanz im vergangenen Jahr steht auch eine so genannte Agape-Feier auf dem Programm. Diese Form geht auf die ersten Christen zurück und hat in der Kirchentagsbewegung von heute einen neuen ökumenischen Stellenwert, weil daran Katholiken genauso teilnehmen können wie Protestanten. Und weil wir Ostern unterwegs sind, halte ich einen Vortrag über die „Auferstehung Jesu“ und – vor unserem Aufenthalt in Rom – einen Vortrag über das „Imperium der Päpste“.

Gottesdienste an Weihnachten gibt es übrigens nicht nur für die Passagiere, sondern auch für die Besatzung. Bei der Weihnachtsreise 2011 auf der Mein Schiff 2 in der Karibik haben das vor allem die Philippinos mit großer Dankbarkeit und Freude genutzt. Die katholischen Philippinos treffen sich auf der Mein Schiff 2 regelmäßig zu einem Bibelkreis. Für die seelsorgerliche Betreuung einzelner Crewmitglieder bin ich nicht zuständig.

Ist es für die Leute eher eine Erleichterung, dass sie sich einem völlig Fremden anvertrauen können, oder muss Du häufig erst Hürden überwinden helfen und Vertrauen schaffen?

Auf einem Schiff mit rund 2.000 Passagieren an Bord sind – wie an Land – Christen in der Minderheit. Und auch einer, der den christlichen Glauben weitergeben will wie ich, sollte bedenken, dass die meisten Gäste lieber entspannt ihren Urlaub genießen wollen als sich mit tief schürfenden Sinnfragen zu befassen. Aber bei einer Reihe von Passagieren hat das seelische Gepäck deutliches Übergewicht. Ihre Fragen an das Leben, ihre Probleme und Traumata bringen sie mir gegenüber zur Sprache – entweder in festgelegten Sprechstunden in einem geschützten, ruhigen Raum. Oder nach meinen Vorträgen und Gottesdiensten. Oder bei den Begegnungen auf den Decks, in den Restaurants oder Bars. Innerhalb von wenigen Minuten sind sie bei ihrem gegenwärtigen Lebensthema. Weil ich weder nach ihrem Namen frage noch nach sonstigen Personaldaten, sind die Hürden außerordentlich niedrig. Zugute kommt mir, dass ich zugleich Kreuzfahrtjournalist bin. Da gibt es in den Gesprächen viele Anknüpfungspunkte. Alle, die ich bisher gesprochen habe, sind dankbar dafür, dass die Reederei das Angebot der Bordseelsorge bereithält.

Ohne riskieren zu wollen, dass sich hier jemand wiedererkennt: Kannst Du kurz ein paar Beispiele nennen, mit welchen Sorgen und Nöten Passagiere zu Dir kommen?

Der Tod eines geliebten Menschen steht an erster Stelle. Da ist der Sohn, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Das Baby, was bei der Geburt durch einen ärztlichen Fehler starb. Die Frau, die innerhalb kurzer Zeit ihren Vater und zudem noch ihren Ehemann verloren hat. Es spielen aber auch Erziehungs- und Partnerschaftsfragen und berufliche Probleme eine Rolle. Inzwischen kenne ich einige Passagiere von früheren Kreuzfahrten – und so können vorher begonnene Gespräche bei der nächsten Reise wieder fortgesetzt werden.

Beim „ZDF Traumschiff“ spielt ja sogar der Kapitän immer wieder mal den Seelsorger und kümmert sich aktiv um das Glück seiner Passagiere. Wenn Du ahnst, dass ein Passagier einsam oder unglücklich ist – sprichst ihn oder sie auch mal aktiv von Dir aus an?

Das ist eine schwierige Frage. Je größer das Schiff, umso stärker kann die Distanz auf dem ersten Blick sein. Bislang ist es meine Strategie, eher zurückhaltend mit dem direkten Ansprechen sein. Ein Gespräch kann sich ergeben, wenn man den Einstieg mit relativen Banalitäten wie das Wetter beginnt. Ansonsten gilt: Mit dem Angebot der Bordseelsorge sollte niemand auf dem Schiff bedrängt werden.

Wie kann man sich denn ein Seelsorge-Gespräch vorstellen? Trifft man sich dazu auf einen Kaffee an der Bar?

Es gibt, allerdings nicht auf jeder Reise, feste Sprechzeiten in einem ruhigen abgeschlossenen Raum. Je geschützter die Atmosphäre ist, umso mehr zeigen die Gäste ihre Emotionen. Oft fließen Tränen der Trauer, und die Frage, wie Gott ein solches Schicksal zulassen konnte, bleibt unbeantwortet, anklagend, fragend, aber immer betend im Raum. Denn am Ende eines solchen Gespräches biete ich dem Gast an, dass ich für ihn beziehungsweise für sie ein Gebet spreche, das die Situation vor Gott zur Sprache bringt. Damit wird das Lebensproblem in die Perspektive des christlichen Glaubens gestellt. Die Gespräche am Pooldeck oder in den Bars sind demgegenüber nicht so stark emotionalisiert, aber durchaus von der Bereitschaft der betreffenden Gäste geprägt, ihre Lebensgeschichte und ihr aktuelles Lebensthema zu erzählen. Ich selbst verstehe meine Rolle als ein Zuhörender; ich will ganz bei den Menschen und ihrer Lebensgeschichte sein.

Vielleicht eine typisch katholische Frage, aber spielt es für Dich eigentlich eine Rolle, welcher Konfession die Leute angehören, die zu Dir kommen?

Überhaupt nicht. Einige sind sogar keine Kirchenmitglieder mehr, andere erklärte Atheisten. Aber ihre Fragen an den Ozean des Lebens bleiben trotzdem. Dafür bin ich da. Aber nicht um ihnen Antworten zu geben, sondern um ihnen dabei zu helfen, dass ihre Fragen selbst zu Antworten werden.

Hältst Du auch nach der Kreuzfahrt gelegentlich Kontakt zu Menschen, die an Bord den Kontakt zu Dir gesucht haben, oder gibt es da eine harte Trennung zwischen Bordleben und Landleben?

Es ist eine beglückende Erfahrung, dass ich nach dem Ende der Reise sehr liebe und freundliche Mails als Dank erhalte und einige Kontakte, mehr oder weniger, über einen längeren Zeitraum andauern.

Du trägst unter Umständen viel Leid und Sorgen der Menschen an Bord mit Dir herum und kannst als Seelsorger mit niemandem darüber reden. Wie lange am Stück kannst Du am Schiff bleiben, ohne selbst zu leiden und wer hilft Dir, wenn Du Dich mal aussprechen musst?

Durch die Sondergenehmigung der nordelbischen Kirche bin ich der Bischöfin des Sprengels Hamburg/Lübeck zugeordnet. Dort kann ich Supervision in Anspruch nehmen. Ansonsten gehen mir die Geschichten einiger Gäste sehr nahe. Nicht zuletzt das Meer, die Atmosphäre an Bord, hilft den Passagieren und mir als ihrem Gesprächspartner die schönen Dinge des Lebens dankbar zu genießen – und Abstand zu gewinnen.

Ist Dir ein besonders schönes Erlebnis in Erinnerung geblieben, ein großes Happy End, eine Situation, in der Du besonders gut helfen konntest?

Schön war es zu sehen, wie verliebt ein älteres Paar, das sich in den späten Jahren seines Lebens gefunden hat, Händchen haltend über das Pooldeck der Mein Schiff 1 spazierte. Vorher hatten wir über ihre Partnerschaft gesprochen. Schön war es zu sehen, wie ich eine Frau ein Jahr später auf dem Schiff wieder traf, deren Partner gestorben war. Sie hatte wieder neue Freude am Leben gefunden. Aber das ist nun wirklich nicht mein Verdienst. Und nach einer Christmette am Heiligen Abend kam ein über 80 Jahre alter Herr zu mir und sagte: „Das haben Sie toll gemacht. Dieser Gottesdienst war der erste, in dem ich meine Frau geküsst habe.“ Unvergesslich ist mir auch, mit welcher Begeisterung vor allem die Philippinos die Christmette in der Karibik mitgefeiert haben und wie sie die Freude über das Kommen Gottes zu den Menschen mit Beifall ausgedrückt haben.

Vielen Dank, Edgar Hasse, für diese Einblicke in ein spannendes Kreuzfahrt-Thema, mit dem so mancher Passagier sonst kaum in Berührung kommt. 

Edgar S. Hasse, 51, ist ehrenamtlicher Bordseelsorger bei TUI Cruises mit Sondergenehmigung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Der promovierte evangelische Theologe arbeitet im Hauptberuf seit mehr als 15 Jahren als Redakteur bei der WELT und WELT am SONNTAG in Hamburg und schreibt dort unter anderem über Kreuzfahrten und andere maritime Themen. Zudem ist er als Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald und an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie in Hamburg tätig. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Feiertage des Kirchenjahres und medienwissenschaftliche Themen. In seiner Promotion an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald befasste er sich mit dem Thema „Weihnachten in der Presse“. Edgar Hasse schreib außerdem sein eigenes Blog „Aus Seefahrt + Religion“.

Bordseelsorge: Fakten und Infos

Bordseelsorger trifft man unter anderem auf Schiffen von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, Phoenix Reisen, Transocean oder TUI Cruises. Die Pastoren der Evangelischen Bordseelsorge mit Sitz in Hamburg betreuen zwischen 500 und 1.200 Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen wie der Europa, der Albatros oder eben der Mein Schiff 1 und 1. Im Jahr 2012 werden nach EKD-Angaben 49 evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen 51 Kreuzfahrten auf fünf Schiffen begleiten. Mehr als 20.000 Passagiere nehmen dann voraussichtlich an den Gottesdiensten und Andachten an Bord teil.

Katholische Bordseelsorge gibt es bei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, Phoenix Reisen und Transocean. Laut der Auslandsseelsorger der Deutschen Bischofskonferenz, die für die Bordseelsorge zuständig ist, werden jährlich rund 50 Kreuzfahrten von Bordpfarrern begleitet.

Übrigens: Bordseelsorger werden an Bord in der Regel als Passagier geführt. Kost und Logis sind frei, ein Honorar gibt aber es nicht. Edgar Hasse erzählte uns, dass seine Frau ihn nicht auf die Reisen zu den Feiertagen Weihnachten und Ostern begleitet, damit er voll und ganz für die Gäste da sein kann.

Schade findet Bordseelsorger Edgar Hasse, wenn Reedereien ihren Passagieren gar keine Seelsorge an Bord anbieten: „Wenn Statistiken über Kirchenmitgliedschaft und Kirchenbesuch an hohen kirchlichen Feiertagen zugrunde gelegt werden, ist davon auszugehen, dass von 2.000 Passagieren zwischen 300 bis 400 den Wunsch haben, Heilig Abend an Bord die Christversper oder -mette zu besuchen.“ So müßten beispielsweise die Passagiere von Aida Cruises, aber auch vieler internationaler Reedereien auf die traditionellen Gottesdienste an Weihnachten und Ostern verzichten.

1 Kommentar

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

1 Gedanke zu „Bordseelsorger: Kreuzfahrt im Auftrag der Kirche“

  1. Es sollte bei jedem Kreuzfahrtangebot erkenntlich sein, ob ein Seelsorger an Bord ist und Gottesdienste abgehalten werden.

    Schande für die Reedereien, dass sie auf dem Ozean unsere christliche Tradition vergessen und völlig ausser Acht lassen, selbst an Hochfesten wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten!!! Party und whirlpool sind nicht alles!!!

    Dr. Schmitz

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