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Neue Studie: Niedrige Schwefel-Grenzwerte in der Schifffahrt wahrscheinlich Hauptursache für Meereserwärmung seit 2020

Es ist paradox, aber die als großer Fortschritt gefeierten, niedrigen Schwefel-Grenzwerte in der Schifffahrt von 2020 sind wahrscheinlich die Hauptursache für die aktuell drastisch ansteigenden Temperaturen der Meere. Eine neue Studie hat das erstmals anhand von konkreten Fakten berechnet. Aber was bedeutet das für den Klimaschutz und die Vorschriften in der Schifffahrt?

Die neue Studie zeigt erneut, wie komplex es ist, die Zusammenhänge und Wirkungen von Maßnahmen im Klimaschutz zu verstehen. Sie zeigt auch, dass Maßnahmen zum Klimaschutz – scheinbar oder tatsächlich – in Widerspruch zu Gesundheits- und Umweltschutzmaßnahmen stehen können. 80 Prozent der aktuell beobachteten Meereserwärmung seit 2020 schreibt die Studie den seitdem um 80 Prozent reduzierten Schwefeloxid-Emissionen zu.

Nachzulesen ist die aktuelle Studie, erstellt unter Leitung von Tiangle Yuan, im Originaltext unter dem Titel „Abrupt reduction in shipping emission as an inadvertent geoengineering termination shock produces substantial radiative warming“ („Abrupte Verringerung der Schifffahrtsemissionen als unbeabsichtigter Schock bei der Beendigung des Geo-Engineerings führt zu einer erheblichen Erwärmung der Erdatmosphäre“).

„Fehlgeschlagenes Geo-Engineering-Projekt“?

Die Studie heizt auch die Diskussion um mögliches Geo-Engineering weiter an – also den direkten Eingriff in die Natur, um die Erderwärmung zu bremsen. Die aktuelle Studie spricht bei der Senkung der Schwefel-Grenzwerte für die Schifffahrt sogar von einem unfreiwilligen Geo-Engineering-Experiment, das offensichtlich schiefgegangen ist.

Für diese Deutung und den Zusammenhang mit Geo-Engineering muss die Studie daher aus Wissenschaftskreisen auch einige Kritik einstecken – nicht aber für die Forschungsergebnisse als solche, die weitgehend als plausibel und substanziell betrachtet werden, wie aus den Stellungnahmen und Meinungen andere Forscher zu entnehmen ist, die das Science Media Center zu den Studienergebnissen zusammengetragen hat.

Diese Experten halten die Studie weit überwiegend für plausibel und merken an, dass die Ergebnisse zu Erkenntnissen von Forschungsergebnissen aus anderen Bereichen der Klimaforschung passen.

Die seit 2020 geltenden Schwefel-Grenzwerte in der Schifffahrt

Seit 1. Januar 2020 gelten weltweit auf allen Meeren neue Vorschriften der International Maritime Organisation (IMO) zur Reduzierung der Schwefelemissionen beziehungsweise des Schwefelgehalts von Schiffstreibstoff von 3,5 auf 0,5 Prozent.

Im Beitrag „Niedriger Schwefelanteil in Schiffstreibstoffen fördert die Erwärmung der Ozeane“ haben wir darüber schon einmal ausführlich berichtet. Die nun vorliegende, neue Studie zu diesem Thema hat die Auswirkungen der Schwefelemissionsgrenzwerte erstmals quantitativ berechnet – und damit die schon in früheren Studien aufgestellten Theorien recht klar bestätigt.

Die Oberflächentemperatur der Meere weltweit hat in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommen. Unter anderem ist eine massive, weltweite Korallenbleiche die direkte Folge. Aber Forscher befürchten auch Auswirkungen auf globale Meeresströmungen, die maßgeblich das Klima in weiten Teilen der Welt beeinflussen.

Welche Auswirkungen könnte die neue Studie auf die Schifffahrt haben?

Kritisiert wird an der Studie teilweise die in der Überschrift implizierte Deutung. Nicht die Senkung der Schwefelgrenzwerte im Jahr 2020 sei das eigentliche Problem, sondern die klimaschädliche Wirkung der weltweiten Schifffahrt insgesamt. Die hohen Schwefelemissionen hätten lediglich einen Teil der klimaschädlichen Wirkung überdeckt, indem sie einen gegenläufigen Effekt bewirkt hätten.

Durch die strengeren Vorschriften ab 2020 ist dieser Effekt schlagartig entfallen. Der Wegfall von 80 Prozent der Schwefelemissionen aus der Schifffahrt seien also nur der momentane Auslöser der Meereserwärmung, das Problem liege aber viel tiefer. Das bestreitet die Studie aber auch gar nicht. Sie hat sich eben nur auf darauf fokussiert, die momentanen Auswirkungen der geringeren Schwefelemissionen zu quantifizieren.

Unter den Stimmen, die Science Media Center zur Studie zusammengetragen hat, findet sich auch eine recht klappt, aber markante Stellungnahme von Dr. Shaun Fitzgerald, Direktor des Centre for Climate Repair in Cambridge. Er fordert ein intensiveres Nachdenken darüber, wie man das Klima nachhaltig stabilisieren kann.

Denn, so Fitzgerald, die Auswirkungen der fehlenden Schwefeloxid-Emissionen (SOx) würde ja eigentlich nur zeigen, dass die Langzeitschäden durch die CO₂-Emissionen der Schifffahrt lediglich von deren SOx-Emissionen überdeckt worden seien. Er weist darauf hin, dass selbst die radikale Umweltschutzorganisation Extinction Rebellion ein Überdenken der IMO-Regeln zu SOx-Emissionen gefordert habe, weil die starke Reduktion der Emissionen zu einer Erwärmung der Ozeane führen werde.

Möglicherweise müsse noch einmal über die Schwefel-Emissionen in der Schifffahrt – und damit auch in der Kreuzfahrt – nachgedacht und die Regeln verändert werden, ist auch in den Meinungen anderer Experten ist zu lesen. Zu den Vorschlägen gehört, die Schwefel-Emissionen nur in Küstennähe so deutlich zu beschränken, wie es aktuell weltweit der Fall ist und wieder höhere Emissionen auf hoher See zuzulassen – also das unfreiwillige Geo-Engineering der Vergangenheit durch die SOx-Emissionen wieder aufzunehmen.

Konflikt-Thema Geo-Engineering

Die wissenschaftliche und politische Diskussion um Geo-Engineering-Projekte mit Schwefeloxid läuft aber auch ganz unabhängig von der Schifffahrt bereits seit einiger Zeit. Denn die künstliche Einbringung beispielsweise von Schwefeloxiden oder auch Salzpartikeln in die Atmosphäre fördert die Wolkenbildung und damit eine stärkere Reflexion von Sonnenenergie und daraus resultierend eine geringere Erwärmung der Erdatmosphäre. Mit Salzpartikel gab es bereits kleinere Versuchsprojekte, die aus technischer Sicht positiv verlaufen sind.

Solche Ansätze stoßen aber auf heftige Kritik seitens der Geo-Engineering-Gegner. Kritisch müsste man eine solche Entwicklung auch aus Sicht der technischen Entwicklung von klimaneutralen Antriebstechniken und Schiffstreibstoffen sehen, die für einen nachhaltigen Klimaschutz essenziell sind. Denn würden wieder höhere Schwefel-Emissionen auf hoher See zugelassen, würde das auch herkömmliche, schwefelhaltige und damit billige fossile Treibstoffe – vor allem Schweröl – wieder attraktiver machen.

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Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

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