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„Reisen ist Arbeit. Ich habe aufgehört, Leuten zu erklären, was ich eigentlich mache.“

Neben der Planung im Büro, in Meetings und am Computer sind Karsten Schmitz und Volker Frenz bei der Umsetzung an Bord aktiv – in der Werft, im Trockendock, wenn der Innenausbau stattfindet. Im zweiten Teil des crusietricks.de-Interviews berichten sie, unter welchen Zeitdruck diese Arbeiten stattfinden und was man dabei alles erleben kann.

Zum Beispiel ein Auftrag, bei der Renovierung eines Kreuzfahrtschiffs von Disney Cruise Line in der Grand Bahamas Shipyard die Balkonbrüstungen zu modernisieren …

Volker Frenz: Wir hatten vorab einen Termin zum Aufmessen an Bord. Ein Flug über den Atlantik, ohne Übernachtung hin und zurück, einfach nur rüberfliegen, aufmessen und wieder heim, weil wir ja nur das kurze Zeitfenster an einem Passagierwechseltag hatten. Da braucht man dann auch kein Hotel mehr.

Wir sind mit Rucksack und Kamera bewaffnet im Laufschritt unterwegs gewesen: Kabine rein, Kabine raus, so haben wir das Schiff abgefrühstückt, über sechs oder sieben Stunden zu Dritt.

Karsten Schmitz: Ich weiß noch: Foto rechts, Foto links, Kabinennummer, ...

Karsten Schmitz: Ich weiß noch: Foto rechts, Foto links, Kabinennummer, ...

Karsten Schmitz: Ich weiß noch: Foto rechts, Foto links, Kabinennummer, dann schon in die nächste Kabine während der Kollege misst. Das sind 900 Balkone. Da haben wir dann schnell festgestellt, dass das nicht zu schaffen ist in der Zeit. Also wir haben ein Konzept gemacht: Ein Deck komplett exakt aufgemessen werden, auf den anderen Decks haben wir dann nur noch auf Unregelmäßigkeiten geprüft.

Volker Frenz: Du musst halt merken, wenn ein Balkon aus der Reihe tanzt.

Karsten Schmitz: Wir haben es geschafft, 900 Kabinen zu kontrollieren und nur sechs von knapp 7000 Scheiben haben am Ende nicht gepasst.

Für den Fall hatten wir dann (Anm.: beim Einbau in der Trockendock-Phase) Plexiglas dabei, um das temporär zuzuschneiden. ESG (Anm.: Einscheiben-Sicherheitsglas) kann man nicht schneiden, also muss man etwas haben, das sich schneiden lässt. Die richtigen Scheiben haben wir dann nachgeordert.

Das waren anstrengende Touren: Von hier mit dem Zug nach Frankfurt, von dort nach Orlando, schnell nach Port Canaveral runterfahren, ausmessen, zurück in den Flieger und wieder heimfliegen. Das also genau am Passagierwechseltag. Komischerweise können die Passagiere es ja kaum erwarten, wieder runter zu kommen vom Schiff. Die warten ja auch schon um 7 Uhr morgens in der Schlange, dass sie endlich los dürfen. Das war für uns ganz gut, dann konnten wir früher in die Kabinen.

Karsten Schmitz: Das waren schon immer so Trips, um die haben wir uns nicht gestritten. Aber notwendig. Ohne Aufmaß zu produzieren, wäre Wahnsinn. Sie können ja nicht gegensteuern. Wenn es nicht passt, sind sie geliefert. Wir hatten auf den Bahamas im Trockendock 18 Tage Zeit für 900 Balkon. Das sind 6.800 Glasscheiben auszutauschen, 32.000 Muttern.

Volker Frenz: Wir hatten einen Montage-Trupp mit 70 Mann gestellt bekommen, von denen wir vorher keinen Mann kannten. Aus Ecuador, aus Honduras, Griechenland und der Ukraine.

Karsten Schmitz: Deine erste Frage ist dann: ‚Wer spricht Englisch?‘ Antworten: ‚Ja, der kann Englisch, der kann etwas und der kennt jemanden, der Englisch kann.‘ Dann war die große Frage: Wie erklären wir den Arbeitern, was sie machen sollen? Wir haben dann mit unserem Zeichenprogramm Montage-Comics gemacht und den Leuten gezeigt, wo sie hingehen sollen. Da war dann ein Schema mit Pfeilen, Aufkleber und Montagetütchen vorbereitet, wo noch einmal draufstand, wie es zusammengesteckt wird. Wir haben einen kleinen Film gemacht, wie das zusammengesetzt werden muss. Und dann sind wir los.

Restaurant 'Jamie's Italian' der Quantum of the Seas
Restaurant ‚Jamie’s Italian‘ der Quantum of the Seas

Wir waren dann an Bord, haben die Transportwege überprüft: Wie groß kann unser Wagen sein? Wir brauchen zwölf Teams, also brauchen wir zwölf Trolleys. In jeden Trolley muss reinpassen: zwölfmal diese Scheibe, dreimal dieser Pfosten, achtmal das Aluminium-Rohr und so weiter. Das muss genau sitzen, es muss gepolstert sein, darf nicht klappern, muss über Teppich fahren können. Und das, was wir ausbauen, muss umgekehrt wieder mit in die Entsorgungscontainer.

Der Wagen sollte ursprünglich nur so groß sein, dass er in die Kabine passt, was eigentlich unmöglich ist, weil die Türen zu schmal, Bett und Schrank im Weg sind. Also muss er im Korridor stehen bleiben. Wenn der im Korridor steht, dann darf er nicht zu breit sein, damit die anderen Monteure noch vorbeilaufen können. Das haben wir alles bei unseren Besuchen dort überprüft und berücksichtigt.

Wenn man da eine Kleinigkeit übersieht, gehört man der Katz‘.

Volker Frenz: Ja. Oder man versucht, sich vor Ort zu helfen. Dazu muss man seine Konstruktion aber exakt kennen. Bei solchen Stückzahlen und einem so kurzen Zeitfenster hat man wenig Spielraum.

Karsten Schmitz: Worst Case wäre gewesen ...

Karsten Schmitz: Worst Case wäre gewesen ...

Karsten Schmitz: Ein schlimmer Fall wäre gewesen, wenn der Trolley nicht um die Kurve in den Korridor kommt. Und das bei 6.800 Scheiben. Die Leute würden wahnsinnig werden, die müssten die Scheiben tragen. Die Gänge zwischen zwei Feuerzonen, das wissen Sie selbst, sind endlos lang. Wenn man dann noch Material trägt von Früh bis Spät, kostet das Reserven.

Die größten Probleme haben die Monteure, die in der Decke Kabel nachziehen. Die brauchen immer eine Leiter im Korridor und andere müssen vorbeilaufen oder kommen mit einem Trolley voller Glasscheiben.

Der oben schimpft und der, der vorbei muss, bleibt mit seinem Werkzeug hängen. Bei so einer Renovierung ist das schon knackig. Da kommen 600 See-Container neu, 1.200 Müll-Container weg, 2.500 Arbeiter und das alles in 18 Tagen.

Sugar Cane Mojito Bar auf der Norwegian Bliss
Sugar Cane Mojito Bar auf der Norwegian Bliss

Das ist wie ein Puzzle, bei dem man die Tüte aufmacht, man wirft es hin und es muss passen. Ohne sortieren.

Auf den Bahamas waren wir früher fertig, da sind wir noch einen Tag im Hotel geblieben, einmal Füße ins Wasser und einen Mai-Tai trinken.

Aber das war der längste Tag überhaupt, da hat man dann auch überhaupt keine Lust mehr. Du bist einfach durch. Wenn die Nase mal frei ist von dem ganzen Staub, dann will man einfach nur heim und eine Leberkäs-Semmel essen.

 

Volker Frenz: Wenn du das Freunden erzählst, hörst du immer: ‚Oh, Du hast einen tollen Job! Erst Bahamas, dann Helsinki.‘ Viel Reisen ist anstrengend. Vor allem, wenn du dann noch einen Papenburg-Trip dazwischen hast unter der Woche oder sowas. Da weiß ich schon, woher die grauen Haare kommen.

Reisen ist Arbeit. Ich hätte mir am Anfang meiner Karriere auch nicht gedacht, wie viel Energie das zieht, wenn man wirklich so unterwegs ist. Du bist ja nicht entspannt, sondern Du hast den Kopf voll, Du musst schauen, was Du noch schnell nebenher erledigen kannst. Der Kopf ist immer mit Projekten voll.

Ich habe aufgehört, Leuten zu erklären, was ich eigentlich mache …

Was passiert, wenn auf einer Baustelle einmal etwas nicht so läuft wie geplant?

„Wenn Sie in einer solchen Situation sind: Sie glauben nicht, wie viel Kreativität in Ihnen steckt.“ – Wie das in der Praxis konkret aussieht und warum ein maritimes Ingenieur-Büro seinen Firmensitz ausgerechnet in Dietenheim bei Illertissen hat, lesen Sie in Teil drei des crusietricks.de-Interviews mit Karsten Schmitz und Volker Frenz.

Weitere Teile der Serie "Interview mit den Innenausbau-Spezialisten Karsten Schmitz und Volker Frenz":

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Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

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