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Seemannsgarn, gesponnen auf der MS Albatros

Es ist faszinierend, die ARD-Doku-Soap „Verrückt nach Meer“ mit der MS Albatros anzusehen. Noch faszinierender ist aber zu hören, welch offensichtliches Seemannsgarn dort gesponnen und wie Realitäten verdreht werden. Teils vom Kommentator, teils von den interviewten Darsteller-Passagieren. Für die Aussagen von Interviewpartnern kann der Sender natürlich nichts, aber man kann die gröbsten Schnitzer ja auch hinterher herausschneiden.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Für eine Unterhaltungssendung hat die Truppe um Kapitän Morten Hansens ein erfrischend höheres Niveau als der Dokusoap-Irrsinn der meisten privaten Sender und wenn man sich nicht einbildet, „Verrückt nach Meer“ zeige die Realität auf diesem Kreuzfahrtschiff, macht das Zuschauen Spaß. Aber ein paar Spitzfindigkeiten kann ich mir einfach verkneifen.

Ein 40 Knoten schnelles Kreuzfahrtschiff?

Das Folgende hätte man vielleicht besser nicht gesendet. Es blamiert Capt. Hansen, obwohl er es sicherlich besser weiß … Als die Queen Mary 2 im Hafen von Sydney einläuft, schwärmt Hansen davon, dass die QM2 über 40 Knoten schnell fahren könne. In Wirklichkeit liegt die Höchstgeschwindigkeit der QM2 bei knapp 30 Knoten. Das schnellste Kreuzfahrtschiff aller Zeiten und Inhaber des Blauen Bandes für die schnellste Atlantiküberquerung in beide Richtungen ist die SS United States. Ihre offizielle Höchstgeschwindigkeit war 38 Knoten, angeblich soll sie bei Testfahrten bis zu 43 Knoten geschafft haben, was aber nicht bewiesen ist.

Der Lotse steuert das Schiff?

Unterhaltsam ist auch immer wieder die Bemerkung, dass der Lotse (!) die Weiße Lady sicher aus einem Hafen steuert. Fakt ist aber, dass der Lotse prinzipiell kein Steuer anfasst und der Kapitän immer die gesamte Verantwortung trägt – egal ob er dem Ratschlag des Lotsen folgt oder nicht. Der Lotse ist immer nur ein ortskundiger Berater.

Hochzeit? Oder doch nur romantischer Klamauk?

Heiraten auf der Albatros – geht rechtskräftig überhaupt nicht. Trotzdem wird viele Folgen lang suggeriert, dass das Paar bald vom Kapitän getraut wird. Es plant den Junggesellenabschied, kümmert sich um Brautkleid und Ringe. Lediglich in der Folge, in der die „Hochzeit“ tatsächlich stattfindet, wird nebenbei erwähnt, dass die „Trauung“ juristisch unwirksam ist. Einfach nur Klamauk fürs Fernsehen also – und weiter den Irrglauben so kräftig wie möglich schüren, dass ein Schiffskapitän den Standesbeamten spielen darf. Heiraten auf einem Kreuzfahrtschiff geht aber de facto nur dann, wenn selbiges unter der Flagge von Malta oder den Bermudas fährt. Siehe „Heiraten am Kreuzfahrtschiff“.

Alter Bekannter als „Neuer Praktikant“

Den Wünschen des Drehbuchautors ist vermutlich geschuldet, dass der aktuelle Praktikant Arno keineswegs zum ersten Mal auf dem Schiff ist, so wie im Film behauptet. Passagiere berichten, Arno auf früheren Kreuzfahrten unter anderem bei einer Nordlandreise 2009 bereits an Bord gesehen zu haben. Ein Mitglied des Kreuzfahrten-Treff.de lästert über die Doku-Soap – in anderem Zusammenhang: „Wobei Doku sich auf die zwei, drei Luftaufnahmen der Albatros bezieht und Soap auf den Rest der Sendung„.

Mysteriöse Stürze im Treppenhaus

Eine besonders tragische und traurige Situation ist der Todesfall eines Musikers während der Dreharbeiten im Januar 2010 gewesen. Die genauen Umstände – und dafür bringe ich sogar ein gewisses Verständnis auf – wurden verschwiegen. Tage zuvor war eine Passagierin übers Treppengeländer abgestürzt und hatte sich wie durch ein Wunder nur relativ leicht verletzt. Der verunglückte Musiker war allerdings – verstehe ich den Bericht der amerikanischen Küstenwache richtig (USCG Maritime Information Exchange – im Feld „Involved Vessel“ nach „Albatros“ suchen) – ebenfalls im Treppenhaus abgestürzt. Von wo aus der Mann stürzte, ist unklar, Zeugen haben jedoch seinen Fall und den Sturz auf den Boden auf Deck 3 beobachtet. Anders als die Passagierin zuvor, deren Fall wohl durch die Treppengeländer immer wieder abgebremst wurde, hatte er kein Glück und kam bei dem Sturz ums Leben. Die in der Serie gezeigten, eilig angebrachten Stoffbahnen zur Absicherung des Treppenhauses waren in späteren Folgen der TV-Serie bereits wieder abgebaut.

Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen des Musikers. Und unser Respekt für Phoenix Reisen und die ARD, dass diese Vorfälle in dem Film nicht gänzlich unter den Teppich gekehrt wurden, obwohl das bei einer Unterhaltungs-Serie durchaus vertretbar gewesen wäre. Hier wurde zur Abwechslung mal nur sehr wenig Seemannsgarn gesponnen.

Peinliches zur Hygiene-Inspektion der CDC in Honululu

Viele schräge Geschichten sind dagegen rund um die Inspektion der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC kolportiert worden. Erstaunlich anders als die Realität wurde das Ergebnis der Inspektion dargestellt, die das Schiff im Interesse einer ungestörten Weiterfahrt erfreulicherweise erst auf der letzten USA-Station in Honolulu erwischte.

Moderne amerikanische Kreuzfahrtschiffe schaffen bei dieser extrem strengen Inspektion der CDC inzwischen meist die volle Punktzahl von 100 oder liegen knapp darunter. Die Albatros schnitt mit nur 69 Punkten dagegen sehr dürftig ab. Trotzdem rühmte sich der Küchenchef im Film mit einer makellos weißen Weste. Die teils wirklich bedenklichen Mängel wurden großzügig unerwähnt gelassen oder schon im Vorfeld als unsinnig und typisch amerikanisch abgetan. Nachzulesen sind die teils gar nicht so harmlosen Details im Bericht der US-Gesundheitsbehörde CDC.

Laut CDC wurde schon der im Film gezeigte, hektisch von Capt. Hansen noch schnell 24 Stunden vor Ankunft in San Diego abgesendeter Vorabbericht, eben doch nicht rechtzeitig eingereicht. Eine Formalie, aber im Film anders dargestellt. Die Liste der festgestellten Mängel umfasst 37 Punkte – von nicht bruchsicheren Glühbirnen in der Bar über zu niedrige Temperaturen und zu niedrigen Druck im Geschirrspüler sowie in offene Obst-Aufbewahrungskisten tropfendes Kondenswasser bis hin zu offenen Ritzen und Spalten in der Kücheneinrichtung, in denen sich bevorzugt Verunreinigungen ansammeln können. Im Film wurde genau dazu demonstrativ gezeigt, wie ein kleiner Kratzer in einer Arbeitsplatte ausgebessert wurde, was wohl eher ein Tropfen auf den heißen Stein als eine Problemlösung war.

Natürlich kann man über die strengen amerikanischen Vorschriften streiten und einige davon mögen aus deutscher Sicht auch unsinnig sein. Zudem haben ältere Schiffe eigentlich gar keine Chance, alle Anforderungen vollständig zu erfüllen. Aber ein Punktewert von 69 aus 100 ist dann doch ein ziemlich herber Schlag angesichts der – zumindest im Film suggerierten – massiven Anstrengungen der Crew, das Schiff auf die Inspektion vorzubereiten.

Zum Vergleich die AIDAaura schnitt im September 2009 beispielsweise mit 100 Punkten ab, die Amadea Ende 2010 mit 91 Punkten, die MS Deutschland im Januar 2011 mit 93 Punkten. Die Grenze, oberhalb derer die CDC ein Inspektionsergebnis als „satisfactory“, also zufriedenstellend bezeichnet, liegt übrigens bei 85 Punkten.

Zur Ehrenrettung der Albatros sei gesagt: Vor der Kreuzfahrt lief bei einem Werftaufenthalt wohl einiges schief, sodass einige der Mängel darauf zurückzuführen sind und auf dem Schiff keineswegs zum Normalzustand gehören. Und bei einer weiter zurückliegenden CDC-Inspektion hatte die Albatros den Test durchaus bestanden.

Fan-Links

Mehr Details zu „Verrückt auf Meer“ und die Protagonisten der Doku-Soap gibt’s im Internet. Wir haben ein paar wichtige Links zusammengestellt:

Vermutlich haben wir noch jede Menge Seemannsgarn übersehen und überhört. Aber dafür gibt’s ja die Kommentar-Funktion unter diesem Beitrag. Bitte einfach ergänzen :-)

8 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

8 Gedanken zu „Seemannsgarn, gesponnen auf der MS Albatros“

  1. Dennoch: Die Serie ist gar nicht so schlecht – und macht vor allem Lust auf die nächste Kreuzfahrt. Das ist doch das Wichtigste…

  2. @Dirk: Wenn man’s mit dem „Traumschiff“ vergleicht, geht’s bei „Verrückt nach Meer“ sogar richtig realistisch zu. Ich glaub‘ nicht, dass die Schnitzer absichtlich eingebaut werden. Das ist zum Teil einfach Unkenntnis und zum anderen Teil gibt’s halt bestimmte Knöpfe, die man beim Publikum drücken muss, um eine solche Sendung erfolgreich zu machen. Die Hochzeits-Romantik ist eines dieser Dinge, ebenso wie Heimweh des Praktikanten und die herzzerreißende Lebensgeschichte eines Passagiers etc.

    @Konstantin: Ich hoffe nicht, dass der Beitrag klingt, als fände ich die Serie nicht gut. Vor allem die Bilder von den Hafenstopps machen schon wirklich sehr viel Appetit. Aber wenig Lästern muss halt sein. Vor allem, wenn die Serie solche Steilvorlagen gibt ;-)

  3. Interessant zu lesen! Hab die Doku selbst nicht gesehen, wundere mich aber, dass dort so grobe Schnitzer eingebaut wurden. Danke für die Richtigstellung.

  4. Also so schlimm ist es nicht aber ich finde bei sowas sollte man lieber einmal öfter kontrollieren weil es auch ainfach ärgerlich ist wenn was nicht ganz richtig ist. Aber interessant und sehenswert ist es trotzdem.

  5. ich habe alle 3 staffeln gesehen .und war eigendlich sehr zufrieden .so habe ich im jahr 2012 mit der ms albatross selbst eine mittelmeer reise gemacht.
    aber jezt komts bei dieser reise war nicht ein einziger bekannter aus der serie auf dem schiff.das einzige was echt war ist der kapitän hannsen und der hatte gerade heimat urlaub, so habe ich mal beim bayrischen rundfunk in münchen angerufen und gefragt ob das wie bei rtl und so fake sendungen mit no name darstellern sind .das wuste mann da nicht obwohl der B R die sendung produziert

  6. Bin auch jetzt erst durch Zufall über diesen Thread gestossen .
    Habe die Sachen der Vorstaffeln nur jetzt als Wiederholung gesehen. Dabei sind mir die angesprochenen Sachen auch aufgefallen wegen Putztage und so, die Verharmlosung des Küchenchefs wegen verbeulter Sachen , Ausfall von Kühlräumen.
    Den erwähnten Tod des Bordmusikert habe ich nicht mit dem Treppenhaus in Beziehung gebracht aber auch registriert , dass die vom Bordschneider gefertigten Sicherungsachen schnell weg waren.
    KLar ist das alles zu über 50% Soap.
    Und denke auch teilweise mit Laiendarstellern und denke auch rein rechtlich müsste es als Dauerwerbesendung zugunsten Phönix gekennzeichnet sein !

  7. Unterhaltungssendung hin, Unterhaltungssendung her:
    Der BR behauptet offenbar immer noch es sei eine klassische Dokumentation, das mag vielleicht auch mal der ursprüngliche Gedanke gewesen sein, heute ist es nur noch eine zusammenmontierte und gescriptede Angelegenheit. Wobei da der BR vielleicht ein Problem hat, ich war selbst mal zufällig bei einem Biergartentest des BR dabei, mit einem Riesenscript und ganz offensichtlich gestellten Sachen: Wenn der Wirt der sich sonst nicht blicken lässt auf einmal im Biergarten auftaucht um dem dürstenden Hund persönlich den Wassernapf zu reichen …. nur dumm wenn der Hund keinen Durst hat… und der nächste Hund auch nicht …. und der dritte Hund erst das Wasser probiert. Also ich sehe gespricptete Formate nicht als Aufgabe des ÖRTV an, und Werbesendungen schon überhaupt nicht. Bei Verrückt nach Meer ist das über die Jahre wohl auch immer schlimmer geworden.

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