Wenn der Kapitän nur noch kontrolliert, aber nicht mehr selbst steuert: Shipping Technology, Retina und Scylla melden die nach eigenen Angaben weltweit erste vollständig autonome Fahrt eines Flusskreuzfahrtschiffs. Nahe Rotterdam fuhr das neueste Skylla-Flosskreuzfahrtschiff, die Lumière, eine komplette Strecke von Ablegen bis zum Anlegen ohne menschliches Eingreifen. Die beteiligten Unternehmen feiern die Live-Demonstration ihrer Technik als Meilenstein in der Binnenschifffahrt.
Die Lumiere fuhr in den Niederlanden von Hardinxveld-Giessendam bis Gorinchem, eine Strecke von etwa zehn Kilometern, vollständig autonom: Ablegen, Fahren und Anlegen unter realen Bedingungen. Nicht einmal Seitenwind mit Windstärke 8 habe den Kurs des Schiffs beeinträchtigt, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung.
Die Demonstration habe man das Manövriersystem „M-Pilot“ von Retina mit der „ST BRAIN“ und dem Autonomous Lane Assist (ST Sailing) von Shipping Technology kombiniert. Die Unternehmen betonen aber, dass der Kapitän während der gesamten Fahrt die Verantwortung und Aufsicht behalten habe, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Bei der neuen Technik gehe es nicht darum, den Kapitän zu ersetzen, sondern ihm intelligentere Werkzeuge für sicheres, effizientes und kraftstoffsparendes Navigieren an die Hand zu geben, schreibt David Woudenberg, Head of Product Development bei Shipping Technology, in der Pressemitteilung.
Demnach steuerte während der Vorführung der M-Pilot sowohl die Thruster als auch die Motoren des Schiffes und habe dabei eng mit der „ST BRAIN“ und der „ALA“ von Shipping Technology zusammengearbeitet. Gemeinsam hätten die Systeme die optimale Route von A nach B und regelten Ruder- und Pod-Bewegungen automatisch und präzise bestimmt.
Das System messe zehnmal pro Sekunde, was passiert, und ermögliche dadurch kontrolliertes und sicheres Manövrieren. Erfahrene Kapitäne würden mehr Zeit für andere Aufgaben gewinnen, während weniger erfahrene Besatzungen besser unterstützt würden.
Verlässliche Daten seien dabei, aber der Mensch müsse immer die Kontrolle behalten, kommentiert Tom Panjer, Gründer von Retina BV.
Der Autopilot berücksichtige kontinuierlich Faktoren wie Beladung, Motordrehzahl und gewünschte Drehbeschleunigung, um die effizienteste Steuerreaktion zu berechnen. Durch die direkte Anbindung an das Antriebssystem eröffne die Technologie außerdem den Weg zu „Just-in-Time Sailing“: weniger Kraftstoffverbrauch und geringere Emissionen.
„In der Branche wird viel über autonomes Fahren gesprochen, aber nur selten etwas wirklich demonstriert – und meist handelt es sich dabei um ferngesteuerte Navigation“, schreibt Panjer. „Deshalb ist diese Vorführung so wichtig. Normalerweise deaktiviert der Kapitän den Track-Pilot beim An- oder Ablegen – jetzt kann auch dieser Vorgang automatisiert werden, wobei der Kapitän die volle Kontrolle behält. Das bedeutet: mehr Fokus auf die Navigation, weniger manuelle Steuerung – und ein großer Schritt hin zu praktischer Autonomie.“




