Ein Passagier eines Kreuzfahrtschiffs pinkelt in aller Öffentlichkeit in einer Bar in ein Erdnussglas und stellt es auf den Tisch zurück. Der Kapitän findet das – wie andere Passagiere auch – derart ungebührlich und abstoßend, dass er den Passagier und seine zwei Begleiter nach Hause schickt – allerdings erst drei Tage später. Zu Unrecht, urteilt gut ein Jahr später das Landgericht Düsseldorf.
Das bereits mehrere Monate alte Urteil macht jetzt Schlagzeilen in den Medien, es in einer reiserechtlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde und die Presseagentur DPA das Thema aufgriff.
Was hinter diesem zunächst irritierenden Urteil steckt und warum das Gericht so urteilte, analysieren und bewerten wir in diesem Beitrag. Denn es ist wie so oft in der Juristerei: Es kommt immer darauf an – in diesem Fall auf viele Details. Was ich persönlich von dem Urteil halte, lesen Sie in meinem Fazit am Ende des Beitrags.
Drecksau sein allein reicht nicht aus für einen Bordverweis
Eine – mit Verlaub – ekelige Drecksau zu sein, reicht allein noch nicht aus, um vom Kreuzfahrtschiff verwiesen zu werden. Das ist jedenfalls das Fazit aus einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf zu einem Zwischenfall in einer Bar eines Kreuzfahrtschiffs einer deutschen Reederei am 8. Juni 2023.
Man muss einschränken: wenn der Vorfall so stattgefunden hat, wie laut Reederei von Zeugen geschildert. Denn das urteilende Gericht hat erst gar keine Beweisaufnahme gemacht. Es schreibt in der Urteilsbegründung, dass, selbst wenn man den Vorfall als wahr annimmt, der Bordverweis dennoch nicht gerechtfertigt gewesen sei. Beweisaufnahme also überflüssig.
Der Passagier selbst bestreitet den Vorfall. In dem Verfahren ist er der Kläger, weil er – größerenteils erfolgreich – die Erstattung des Reisepreises, Schadensersatz und eine Entschädigung von der Reederei fordert.
Nach einem ekelerregenden Vorfall in der Bar eines ihrer Kreuzfahrtschiffe hatte eine deutsche Reederei drei Passagiere an Land gesetzt. Das Landgericht Düsseldorf musste urteilen, ob dieser Verweis gerechtfertigt war. Mit dem Ergebnis: Nein, der Bordverweis sei nicht okay gewesen. Mutmaßlich ist dem Gericht diese Entscheidung nicht leichtgefallen.
Was genau ist auf dem Kreuzfahrtschiff – möglicherweise – passiert?
Hier ein Zitat aus dem Urteil, mit dem das Gericht zusammenfasst, wie die Reederei die fragliche Situation schildert: „Die Beklagte (=Reederei) behauptet, der Kläger (=Passagier) und seine beiden Mitreisenden seien an dem Abend des 08.06.2023 durch lautes Lachen und übermütige Stimmung auffällig gewesen. Einer der Reisenden, der in der Mitte gesessen habe, habe zunächst ein Erdnussglas zwischen seine mit kurzen Shorts bekleideten Beine gehalten und anschließend die aufgefangene Flüssigkeit unter den Tisch geschüttet. Anschließend habe er leicht vorgebeugt auf seinem Stuhl gesessen, den Blick in seinen Schritt gerichtet und das Glas wieder zwischen seine Beine gehalten. Kurz darauf habe er ein mit gelber Flüssigkeit gefülltes Erdnussglas in der Hand gehalten und dieses auf den Tisch gestellt. Die beiden anderen Reisenden hätten geschmunzelt und sich weiter unterhalten, aber ihre Blicke mehrfach auf den Schritt des in der Mitte sitzenden Mannes gerichtet. Zwei Reisende, die dies beobachtet hätten, hätten den Kellner herbeigerufen und ihm das Gesehene auf Englisch geschildert. Kurz darauf sei ein ranghöheres Crewmitglied in Uniform erschienen und habe sich alles nochmals auf Deutsch schildern lassen. Dieser habe sodann veranlasst, dass das besagte Glas von einem Kellner mit Handschuhen vom Tisch entfernt worden sei. Der Kellner sei noch während des Gesprächs mit dem Crewmitglied erschienen und habe bestätigt, dass der Inhalt des Glases tatsächlich Urin gewesen sei. (…)“
Ob sich der mutmaßliche Vorfall im Innenbereich der Bar oder unter freiem Himmel stattfand, ist aus dem Urteilstext nicht zu entnehmen. Die fragliche Bar hat sowohl einen Innen- als auch einen Außenbereich. Die nächste Toilette jedenfalls befindet sich nur wenige Meter entfernt von dieser Bar. Auch ein „akuter Notfall“ würde sich also eher nicht als Ausrede für das Verhalten eignen.
Was das Gericht dazu sagt
Was zunächst überrascht: Das Gericht wollte nicht feststellen, ob der beschriebene Vorfall sich tatsächlich so zugetragen hat. Denn selbst unter der Annahme, dass der vom Betroffenen bestrittene Vorwurf zutreffen würde, sei der Verweis vom Schiff unverhältnismäßig gewesen, so die Richter. Der Betroffene hätte also auch an Bord bleiben und seine Kreuzfahrt fortsetzen dürfen, selbst wenn er tatsächlich in das Glas uriniert hat.
Das Gericht kam zu diesem Ergebnis, weil mehrere Details dagegensprachen, dass sich das Verhalten des Passagiers wiederholen oder eine Gefahr darstellen könnte. Daneben geht es in dem Urteil auch um – durchaus nicht unwichtige – Spitzfindigkeiten aus dem Reiserecht und um die Zuständigkeit des Düsseldorfer Gerichts.
Das Gericht schreibt in dem Urteil beispielsweise: „Schließlich handelte es sich um ein einmaliges Fehlverhalten, welches sich in den weiteren drei Tagen, an denen die Reisenden an Bord waren, nicht wiederholte.“
Was das Gericht der Reederei hierbei vorhält ist, dass der betreffende Passagier nicht umgehend im nächsten Hafen an Land gesetzt wurde, sondern damit nach dem Vorfall noch drei Tage wartete. Demnach sei eine Fortsetzung der Reise für die Reederei ja wohl offenbar nicht so unzumutbar gewesen. Der erste Landtag wäre zwei Tage später am 10. Juni in Malaga gewesen, der betreffende Passagier und seine zwei Begleiter seien aber erst nach dem Landgang am 11. Juni in Cadiz nicht mehr zurück an Bord gelassen und nach Hause geschickt worden.
Auch nach normalem Rechtsempfinden ein wenig überzogen war sicherlich, nicht nur den mutmaßliche „Pinkler“ selbst von Bord zu verweisen, sondern auch seine beiden Begleiter, die – wenn es den Vorfall denn so gab – lediglich zugeschaut und „geschmunzelt“ haben. Das Verhalten des Dritten in der Gruppe könne den beiden nicht zugerechnet werden, stellt das Gericht fest. Man kann nur annehmen, dass da an Bord noch mehr vorgefallen war, als vor Gericht vorgetragen wurde.
Weiter schreibt das Gericht in seinem Urteil: „Es handelt sich dabei (…) nicht um ein gewalttätiges, diskriminierendes, grobes oder verbal ausfallendes Verhalten im Sinne (…) der Reisebedingungen der Beklagten, welches gegebenenfalls zu einem Verweis von Bord durch den Kapitän führen kann.“
Die Reisebedingungen der Reederei sind demnach also nicht präzise genug für diese Situation formuliert. Denn „Urinieren in ein Erdnussglas“ ist dort natürlich nicht explizit als verboten aufgeführt. Es gibt aber auch keine pauschalere Formulierung wie „grob unangemessenes Verhalten“, selbige ein Gericht allerdings wohl wiederum in der Luft zerreißen würde, weil sie zu pauschal wäre. Das ist jedenfalls meine persönliche Rechtsauffassung zu diesem Aspekt.
Das korrekte Aktenzeichen des Urteils beim LG Düsseldorf lautet übrigens 22 O 131/23 und nicht 22 O 131/24 wie fälschlicherweise in anderen Medien genannt, mutmaßlich aus einer Meldung der Presseagentur DPA übernommen.
Das Urteil ist rechtskräftig, die Reederei hat auf ein Berufungsverfahren verzichtet. Man würde bei vergleichbaren Fällen künftig aber ähnlich verfahren, heißt es. Solche Kunden werde man auch weiterhin von Bord verweisen, die Rückzahlung des anteiligen Reisepreises im Interesse des Anstands und zum Schutz der übrigen Passagiere in Kauf nehmen.
Meine persönliche Meinung zu dem Urteil
Das Urteil ist aus juristischer Sicht durchaus nachvollziehbar, widerspricht aber jedem gesunden Empfinden für Anstand.
Das Gericht hätte den Bordverweis durchaus als gerechtfertigt beurteilen können, wenn es die in den Reisebedingungen ausgeführte Bordordnung nicht nur eng wörtlich, sondern in etwas weiterem Sinne ausgelegt hätte. Denn dort sind schon weit weniger problematische Vorkommnisse aufgeführt, die (gegebenenfalls nach vorausgegangener Abmahnung) zu einem Bordverweis durch den Kapitän führen können. Beispielsweise unangemessene Bekleidung in den Restaurants, das Reservieren von Sonnenliegen am Pooldeck oder Belästigung von Mitreisenden durch „Audiogeräte mit Lautsprechern“. „Verbal ausfallendes Verhalten“ wird ausdrücklich als möglicher Grund für einen Bordverweis genannt, wenn die Ordnung an Bord gefährdet ist. Für vergleichbares, nonverbales Verhalten sollte dasselbe gelten.
Allerdings hätte das Gericht dann auch inhaltlich klären müssen, ob der Vorfall sich überhaupt so zugetragen hat, wie von der Reederei berichtet. Zeugen hätte es gegeben: die beobachtenden Passagiere, den Kellner, der die Sauerei beseitigen musste, die involvierten Offiziere. Zeugen hätten vielleicht auch aufklären können, warum der Bordverweis erst nach drei Tagen erfolgte und nicht – wie das Gericht es erwartet hätte – schon einen Tag früher.
Was mich wirklich an dem Urteil stört, ist ein Aspekt in der Begründung, der sinngemäß sagt: „alles halb so schlimm, hat ja kaum jemand gemerkt“, weil den Vorfall möglicherweise nur zwei Zeugen überhaupt wahrgenommen haben. Ist eine Tat weniger schlimm, wenn sie keiner sieht? Wie viele Mitreisende und Crewmitglieder das widerliche Schauspiel gesehen haben, ändert doch nichts daran, wie ekelig das Ganze war. Es fand in der (begrenzten) Öffentlichkeit statt und hatte damit zumindest das Potenzial, auch von mehr Menschen unfreiwillig gesehen zu werden. Das allein sollte meinem Empfinden für Anstand und Ordnung nach für die Beurteilung – und Verurteilung – der Situation ausreichen.
Vielen Dank für ihr Fazit, Herr Neumeier! Ich sehe das ganz genauso und das Urteil ist in meinen Augen einfach nur lächerlich!!
Naja, ich für meinen Teil würde nicht so weit gehen, das Urteil als lächerlich zu bezeichnen. In diesem Fall treffen gesunder Menschenverstand und juristische Gegebenheiten nur besonders hart aufeinander. Richter müssen sich an die Gesetzeslage halten, auch wenn sie vielleicht in einzelnen Fällen wie hier falsch und unsinnig erscheint. Aus juristischer Sicht ist das Urteil durchaus nachvollziehbar und vertretbar, wenn man die Ausführungen des Gerichts in der Urteilsbegründung liest. Was ich nur denke ist, dass es – ohne selbst Jurist zu sein – möglich gewesen wäre, dennoch eine Begründung zu finden, die ein anderes Urteil möglich gemacht hätte. Denn ich bin mir sicher, dass auch die Richter diesen Vorfall als widerlich und ekelhaft empfinden.
Auch ich kann Ihrem Fazit nur zustimmen:das ist ein widerliches und unwürdiges Benehmen aif einem Kreuzfahrtschiff. Unsbhängig von der juristischen Beurteilung „vor Grricht und auf hoher See…“ ist es fatal, dem „Bieselnden“ auch noch Recht zu geben. Wie schön, wenn einer zukünftig in der Bar ins Erdnussglas bieselt, kann er bei Verweis vom Schiff mit der Entschuldigung der Reederei und der Rückzahlung aller Kosten rechnen. So ein wertvoller Stoff ist das. Heilige Justitia…….
;-) Die Reederei lernt daraus und wird das alles eindeutiger dokumentieren, solche Menschen sofort mit dem Kapitän, einer Abmahnung oder sofortigem Rauswurf konfrontieren und insbesondere mit dem Rauswurf nicht drei Tage warten, was wohl ein wesentlicher Grund für das Gericht war, dem Kläger weitgehend recht zu geben. Insofern kann ein „Nachahmer“ künftig wohl eher nicht mit „Milde“ rechnen.
Das Gericht hat völlig richtig geurteilt.
1. Bei diesem einmaligen, ungefährlichen Vorfall hätte eine Abmahnung mit der Androhung der Verweisung im Wiederholungsfall völlig genügt.
2. Wenn der Vorfall so schlimm war, daß eine Weiterbeförderung nicht mehr zumutbar war, dann hätte der Rausschmiß sofort erfolgen müssen, also in Malaga.
3. Unbeteiligte mit rauszuschmeißen geht gar nicht, die haben nichts getan außer zu grinsen.
Grinsen ist nicht verboten…
Ich stimme allen zu! Speziell zu Werner Wöhrle möchte ich noch Punkt 4 hinzufügen:
Die Richter hätten emotional sicher gerne anders geurteilt, konnten es rechtlich aber nicht.
Warum sie in Malaga nicht von Board gehen mussten, ist nicht erklärbar. Die beiden Freunde haben jedenfalls nichts angestellt.
Stimme dir, Franz, auch zu. Da ist wahrscheinlich noch mehr vorgefallen und das war der berühmte Tropfen. Leider hält der einzelne Tropfen aber vor Gericht nicht.
Scheint ja wohl die deutsche Reederei mit den 4 Buchstaben gewesen zu sein. Das Publikum dort ist nicht immer von der feinsten Sorte. Muss man wissen wenn man auf die Schiffe geht. – Das Verhalten ist trotzdem nicht akzeptiertbar und ein Rausschmiss im nächsten Hafen wäre richtig gewesen. – Hat man versäumt, darum ist das Urteil nachvollziehbar.