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Passagiere der Norwegian Encore in Alaska gestrandet – was kann man daraus lernen?

Kreuzfahrtschiff lässt neunköpfige Familie im Hafen von Ketchikan zurück: Ein solches Thema ist immer gut für emotionale Schlagzeilen. Bereits am 12. Juli 2024 war das. Anders als in früheren, ähnlichen Fällen können die Passagiere diesmal nicht einmal etwas dafür. Sie haben eigentlich alles richtig gemacht. Was steckt hinter der Geschichte mit der Norwegian Encore in Alaska?

Um den aktuellen Fall einordnen zu können, muss man ein paar Details kennen:

  • Ketchikan ist der zweitgrößte Kreuzfahrt-Hafen in Alaska, eines der Top-Destinationen für amerikanische Kreuzfahrt-Fans. 1,4 Millionen Kreuzfahrt-Touristen werden hier für 2024 erwartet. Nicht selten legen hier fünf oder sechs große Schiffe an einem Tag an. Es gibt also eine gute Infrastruktur, um dem Schiff in den nächsten Hafen nachreisen zu können.
  • Kreuzfahrtschiffe unter nicht-amerikanische Flagge, die von Seattle aus nach Alaska fahren, müssen unterwegs einen kanadischen Hafen anlaufen (typischerweise Victoria). Denn ein antiquiertes Gesetz in den USA, der Passenger Vessel Service Act, verbietet eine rein nationale Beförderung von Passagieren zwischen US-Häfen. Verstöße gegen diese Vorschrift kosten aktuell knapp 1.000 Dollar Strafe – pro Passagier.
  • Die Fahrtstrecke von Ketchikan nach Victoria in Kanada ist recht lang, sodass Kreuzfahrtschiffe auf dem Rückweg nach Seattle kaum auf fehlende Passagiere warten können. Manchmal – nicht in diesem Fall – ist der Anleger in Ketchikan am selben Tag auch noch ein zweites Mal belegt, sodass ein Schiff Platz für das nächste machen muss.
  • Und im konkreten Fall auch relevant: Norwegian Cruise Line hat in Ketchikan einen eigenen Anleger abseits des überfüllten Hafens direkt in Ketchikan: Ward Cove, etwa elf Kilometer außerhalb, verbunden mit Shuttle-Bussen. Ohne Transferbus kommt man dort kaum hin, schnell verfügbare Taxis gibt es in Ketchikan so gut wie nicht.
  • Reedereien versuchen in solchen Fällen, in der Kabine der Passagiere soweit möglich essenzielle Dinge wie Kreditkarten und Reisepässe zu finden und dem Hafenagenten zu übergeben, damit der sie an die zurückgelassenen Passagiere weiterreichen kann.

Neun Passagiere der Norwegian Encore stranden in Ketchikan, Alaska

Die Ereignisse selbst sind schnell erzählt: Die Familie bucht über die Reederei den Besuch der Holzfäller-Show in Ketchikan, eine der Top-Touristenattraktionen dort. Nach der Show ist nur wenig Zeit, um pünktlich zurück zur Abfahrt der Norwegian Encore zu gelangen. Zu den Leistungen des Landausflugs gehört ein Bustransfer zurück zum Hafen in Ward Cove.

Statt einen eigenen Bus für die Teilnehmer des Ausflugs einzusetzen, schickt der Veranstalter die Passagiere mit dem allgemeinen Shuttle-Bus – und hier nimmt die Geschichte ihren negativen Verlauf: Der Shuttle-Bus ist voll, auch weil Passagiere der Luxus-Schwesterreederei Regent Seven Seas Cruises mitfahren dürfen, deren Schiff erst später ablegt. Die Familie wird auf den nächsten Bus vertröstet, aber der kommt nicht.

Als die Familie den Veranstalter kontaktiert und selbiger einen separaten Bus schickt, ist es schon zu spät. Das Schiff legt ohne die sechs Kinder, Vater, Mutter und Großmutter ab. Der Hafenagent von Norwegian Cruise Line kümmert sich um die Familie – wie intensiv, ist nicht ganz klar, aber wohl zumindest ausreichend.

Ketchikan hat einen Flughafen. Dem Schiff nach Victoria, dem nächsten Hafenstopp der Norwegian Encore hinterher zu reisen, ist eigentlich kein großes Problem. Wenn nicht für mindestens eines der Familienmitglieder kein Reisepass vorgelegen hätte. Somit war die Einreise nach Kanada nicht möglich. Übrig bleibt nur ein Rückflug an das letzte Ziel des Schiffs und Ausstiegshafen Seattle.

Und hier greift dann der erwähnte Passenger Vessel Service Act: Nachdem die Familie auf ihrer Reise in keinem ausländischen Hafen war, wird das zum Gesetzesverstoß – die Reederei muss neunmal 971 Dollar Strafe zahlen, insgesamt rund 8.700 Dollar. Und weil die Reederei diese Kosten an Passagiere weiterberechnet, die das Schiff aus eigener Schuld verpassen, was fast immer der Fall ist, wir zu allem Überfluss die hinterlegte Kreditkarte der Familie erst einmal mit diesem Betrag belastet. Dieser Aspekt wird zum großen Aufreger in den Medien, auch wenn NCL den Betrag erstattet, wie schnell klar ist – und auch alle sonstigen Kosten trägt und der Familie auch eine Entschädigung in Form eines Rabatts auf eine künftige Kreuzfahrt anbietet.

Damit es eine emotionale Schlagzeile wird …

Damit nun aus diesen Ereignissen eine tränenreiche und emotionale Schlagzeile wird, muss man die Story ein wenig biegen, drehen und vermeintliche Spannung aufbauen, indem man wichtige Aspekte erst ganz am Ende erwähnt – insbesondere, dass die Familie die 8.700 Dollar Strafe aus dem Passenger Vessel Service Act natürlich nicht bezahlen muss.

Würde man das gleich erwähnen, wäre natürlich viel Spannung aus der Geschichte raus. Und vor allem würde das Schema „böses, großes Kreuzfahrtschiff contra arme, hilflose Familie“ nicht mehr so richtig funktionieren. Denn anders als bei früheren Fällen, bei denen die Passagiere aus eigener Schuld nicht rechtzeitig im Hafen waren, können zwar die Passagiere im aktuellen Fall nichts für die schwierige und durchaus nervenaufreibende Situation. Sie haben eigentlich alles richtig gemacht.

Aber auch die Reederei trifft eben bestenfalls eine sehr indirekte Schuld. Denn die Situation eskalierte offenbar wegen der schlechten Organisation des Ausflugsveranstalters in Ketchikan. Der Reederei könnte man bestenfalls vorwerfen, mit diesem Veranstalter zusammenzuarbeiten. Aber um daraus einen ernsthaften Vorwurf zu machen – was die Medienberichterstattung in diesem Fall übrigens auch nicht macht – fehlen Informationen, inwieweit der Veranstalter möglicherweise bereits früher unzuverlässig war.

Sollte man Ausflüge über die Reederei buchen?

So hart es für die betroffene Familie ist: Im Massenbetrieb einer Alaska-Kreuzfahrt in einem der passagierreichsten Kreuzfahrthäfen der Sommersaison passiert so etwas schonmal. Nur sind solche Situationen die seltenen Ausnahmen. Wesentlich häufiger kommt es vor, dass Passagiere die Abfahrt aus eigener Schuld verpassen.

Welche Lehre kann man für sich als Kreuzfahrer aus der Geschichte ziehen?

  1. Oft lautet der Rat: Buche Landausflüge über die Reederei, dann bist Du auf der sicheren Seite. Stellt der aktuelle Fall diesen Rat in Frage? Nein. Denn grundsätzlich bleibt es dabei, dass die Reederei dafür verantwortlich, einen rechtzeitig zurück zum Schiff zu bringen – oder eben alle Kosten tragen muss, die durch das Verpassen des Schiffs entstehen. Im aktuellen Fall mit der Norwegian Encore in Ketchikan trifft die Reederei zwar keine direkte Schuld, denn offenbar war schlechte Organisation beim lokalen Ausflugsveranstalter das Problem. Dennoch ist das Ganze – zumindest finanziell – nicht das Problem der betroffenen Passagiere. Den Ärger und persönlichen Aufwand haben sie dennoch, daran ist nichts zu ändern.
  2. Aber noch etwas kann man aus dem aktuellen Fall lernen: Das Verpassen des Kreuzfahrtschiffs kann in manchen Situationen – nämlich wenn der Passenger Vessel Service Act greift – noch einmal knapp 1.000 Dollar unerwartete, zusätzliche Kosten verursachen. Verpasst man das Schiff aus eigenem Verschulden, berechnet die Reederei diese Strafgebühr nämlich an die Passagiere weiter.
  3. Immer eine oder mehrere Kreditkarten mit möglichst hohem Verfügungsrahmen beziehungsweise bei Debit-Karten mit entsprechendem Kontoguthaben dabei haben, um die teils erst einmal selbst auszulegenden Kosten vorzustrecken, die für Flüge, Hotels, Transfers und mögliche Strafgebühren erheblich sein können.

3 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

3 Gedanken zu „Passagiere der Norwegian Encore in Alaska gestrandet – was kann man daraus lernen?“

  1. Danke für die spannende interessante Geschichte und die sehr gute Aufbereitung. Letzten Herbst haben wir mit der Norwegian Epic im Mittelmeer auch sehr negative Erfahrungen gemacht. Norwegian war dramatisch schlecht organisiert, das Schiff in einem sehr schlechten Zustand und wir wurden am Flughafen mit Lotsenstreik abgesetzt ohne eine Information vorab hier rüber. Obwohl wir An- und Abreise über die Reederei gebucht haben, hatte sich niemand dafür interessiert. Ebenso wollte man uns 20% zusätzliche Steuern auf unser vorab bezahltes Free at Sea Getränkepaket aufgrund einer Gesetzesänderung belasten. Das hatte eine revoltierendes Schiff an der Rezeption zur Folge. Nur ein paar Beispiele für eine sehr negative Kreuzfahrt mit Norwegian. Ich persönlich schreibe diese Zeilen nach 28 Kreuzfahrten gerade von Bord der Celebrity Silhouette wo alles, wie immer, wunderbar ist. Mich wundert diese Geschichte nicht bei der schlechten Führung und Geldnot die bei Norwegian vermutlicherweise gerade der Fall ist. Dies begünstigt kaskadierendes Chaos nunmal und das wird sich bei dem aktuellen Norwegian Kurs wahrscheinlich fortsetzen…

  2. Danke für die Aufarbeitung des Falles. Was ich nicht in Ordnung finde ist, dass NCL hier Kosten belastet ohne zu prüfen ob die Belastung richtig ist. Ist ja nicht 2,50 $. Bei so einer Summe sollte schon genauer geprüft werden ob die in Rechnung Stellung korrekt ist.
    Ausserdem frage ich mich, ob ich es richtig versteh, dass die Kosten übernommen werden, aber die Reise an sich bezahlt werden muss? Zumindest ich fände das nicht angemessen.

  3. @Michael: Ich glaube, da ist viel Aufregung um das, was in den ersten Stunden geschehen ist. Letztlich muss man bei einer solchen Situation vor Ort ja erst einmal sehr schnell reagieren, da bleibt erstmal wenig Spielraum für umfangreichere Prüfung, sodass erst einmal routinemässig Standardvorgehen zur Anwendung kommen. Letztlich klärt man das dann hinterher in Ruhe. Und auch eine teilweise Reisepreiserstattung wird es sicherlich geben. Notfallsmuss mam die als Passagier halt nachträglich juristisch durchsetzen, abet Reedereien machen in solchen Fällen eigentlich immer faire Angebote von sich aus.

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