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EU beschließt Landstrompflicht in der Schifffahrt und forciert Einsatz nicht-fossiler Kraftstoffe

Innerhalb der Europäischen Union wird es ab 2030 eine Pflicht zur Abnahme von Landstrom geben. Außerdem verpflichtet die EU die Schifffahrt zu einer schrittweisen Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen ab 2025 durch Verwendung von alternativen Treibstoffen. Die neuen Regeln und Grenzwerte gelten für die gesamte Schifffahrt, also auch für Kreuzfahrtschiffe.

Die neuen Vorschriften enthalten zwei Kernpunkte: Landstrompflicht und schrittweise Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen in der Schifffahrt. Abgedeckt sind davon auch Fahrten von außerhalb in die EU und von der EU in andere Häfen, oder genauer EU und EEA. Dadurch sind auch Grönland, Norwegen, die Azoren, die Kanaren und Madeira abgedeckt, ebenso wie die für Karibik-Kreuzfahrten relevanten Inseln Guadeloupe, Martinique und Saint Matin – was dann auch US-Kreuzfahrtreedereien betrifft.

Bemerkenswert ist, dass die EU bei den alternativen Treibstoffen, die zur Erfüllung der Vorschriften zunehmend eingesetzt werden müssen, der „well-to-wake“-Ansatz zum Tragen kommt. Es zählen also nicht nur die Emissionen direkt bei der Verbrennung der Treibstoffe, sondern auch diejenigen, die bei Herstellung und Transport entstehen.

Bei Fahrten in die EU hinein oder aus der EU heraus gilt übrigens 50 Prozent der Stecke als Maßstab für die Berechnungen bei den Treibhausgas-Emissionen.

Die sogenannte „FuelEU Maritime“-Initiative wurde im Juli 2021 von der EU-Kommission eingebracht, im EU-Parlament behandelt und zuletzt vom Rat der Europäischen Union akzeptiert. Die neuen Regularien treten nach der noch ausstehenden, formellen Bekanntmachung im Amtsblatt, dem „Official Journal“ der Europäischen Union, in Kraft. Die Initiative ist Teil des Programms „2030 Climate and Energy Fit for 55“, wobei „55“ für das Ziel einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 gegenüber den Werten von 1990 steht.

Landstrompflicht, auch für Kreuzfahrtschiffe

Ab 2030 verpflichtet die EU alle Fracht- und Kreuzfahrtschiffe zur Abnahme von Landstrom in Häfen des Trans-European Transport Networks (TEN-T), für alte anderen EU-/EEA-Häfen ab 2035.

Zum „TEN-T“-Network werden 2030 bereits knapp 90 Häfen gehören, darunter auch viele größere Kreuzfahrt-Häfen von Hamburg, Kiel, Bremerhaven, Amsterdam und Kopenhagen bis Rom, Neapel, Livorno, Palma de Mallorca und Barcelona.

Ausnahmen von der Landstrom-Pflicht gelten in Häfen, die keinen oder keinen technisch passenden Landstrom bereitstellen, sowie für Schiffe mit „zero-emission technology“. Als emissionsfreie Schiffe in diesem Sinne gelten solche mit Technik, die bei der Energieerzeugung nicht zur Freisetzung von Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Schwefeloxide (SOx), Stickstoffoxide (NOx) oder Feinstaub (PM) führt.

Die EU definiert „zero-emission“ aktuell als Wind- oder Solarkraft, Brennstoffzellen sowie Akkus, wobei es bei Akkus lediglich darauf ankommt, dass im Hafen keine Emissionen entstehen. Aufgeladen werden dürften die Akkus jedoch zuvor auf See beispielsweise durch die Generatoren an Bord der Schiffe.

Forcierung von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Kraftstoffen

Das deutlich komplexere Ziel der „FuelEU Maritime“-Initiative ist die Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen in der Schifffahrt.

Als Grundziel definiert die EU dabei die „Erhöhung den Anteil erneuerbarer und kohlenstoffarmer Kraftstoffe im Kraftstoffmix der internationalen Schifffahrt zu erhöhen, ohne dabei Hindernisse für den Binnenmarkt zu schaffen.“

Mit einer Begrenzung der Treibhausgasintensität der Energie, die an Bord eines Schiffes eingesetzt wird, soll die Verwendung von nachhaltigen Schiffskraftstoffe und emissionsfreier Technologien forciert werden: Bio-Treibstoffe, Bio-Gas, Energie aus recycelten, fossilen Kraftstoffen sowie – mit besonderem Schwerpunkt – sogenannte RFNBOs, „renewable liquid and gaseous fuels of non-biological origin“, also erneuerbare flüssige oder gasförmige Kraftstoffe nicht-organischer Herkunft, oder vereinfacht ausgedrückt: synthetische Kraftstoffe.

Weil die EU diese RFNBOs besonders voranbringen will, werden sie bei Ende 2033 bei der Berechnung der Energieintensität bevorzugt behandelt: Einsparungen, die aus dem Einsatz dieser Kraftstoffe resultieren, bis dahin doppelt. Das soll einen Anreiz schaffen, möglichst schnell neue Infrastruktur und Produktionskapazität für synthetische Kraftstoffe aufzubauen, weil deren Nutzung für die Reedereien besonders attraktiv ist.

Interessant: Die EU sortiert beispielsweise Bio-Treibstoffe, die aus gezieltem Anbau von Biomasse entstehen, aus dem System aus und bewertet sie so schlecht wie fossile Kraftstoffe. Der Einsatz solcher Kraftstoffe hilft Reedereien also nicht, die Grenzwerte zu erreichen, sodass ihre Produktion dadurch für die Anbieter unattraktiv wird.

Konkrete Vorgaben für reduzierte Treibhausgas-Emissionen

Die EU legt konkrete Obergrenzen für die Treibhausgas-Intensität der auf einem Schiff verwendeten Kraftstoffe im Jahresdurchschnitt fest. Die Berechnungen sind ein wenig kompliziert, abgedeckt sind von der Regulierung aber jedenfalls die Treibhausgase von Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O).

Als Basis gilt der Durchschnitt der Schifffahrtsbranche des Jahres 2020: Laut EU sind das 91,16 Gramm CO2-Äquivalente pro Megajoule. Darauf basieren die folgenden, verpflichtenden prozentualen Reduzierungen:

  • 2 Prozent ab 2025
  • 6 Prozent ab 2030
  • 14,5 Prozent ab 2035
  • 31 Prozent ab 2040
  • 62 Prozent ab 2045
  • 80 Prozent ab 2050

Idealerweise sollte es dazu aber im Laufe der Zeit noch Nachbesserungen geben, denn das eigentliche Ziel, Klimaneutralität bis spätestens 2050, wird damit noch nicht erreicht.

Zugleich will die EU aber auch „den reibungslosen Ablauf des Seeverkehrs gewährleisten, Rechtssicherheit für die Einführung von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Kraftstoffen und nachhaltige Technologien schaffen und Verzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden.“

Für die Kreuzfahrt ist zu erwarten, dass die jetzt definierten Emissionsziele deutlich früher erreicht werden – für Neubauten ohnehin. Einige Reedereien haben sich bereits zum Ziel bekannt, schon 2030 das erste klimaneutrale Kreuzfahrtschiff in Dienst zu stellen. Ansätze sind bereits erkennbar, etwa mit Brennstoffzellen-Technik, die aktuell an der Schwelle zum Einsatz in größerem Umfang steht.

Vorab Kritik, jetzt Lob vom Kreuzfahrt-Branchenverband Clia

Noch im März hatte der Kreuzfahrt-Branchenverband Clia in einem gemeinsamen Statement mit der European Community Shipowners’ Association (ECSA) Kritik an den neuen Regularien geübt. Die beiden Organisationen bemängelten, dass es bei der Pflicht zur Nutzung von alternativen Treibstoffen keine äquivalente Pflicht zur Bereitstellung solcher Kraftstoffe gebe. Ohne bindende Ziele auf der Zulieferseite und zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen sei nicht sichergestellt, dass die geforderten Kraftstoffe überhaupt verfügbar seien. Nach heutigem Stand seien solche Kraftstoffe im Schifffahrtssektor aber nahezu nicht existent.

Aktuell schreibt die Clia nun auf Nachfrage von cruisetricks.de: „Nach Verabschiedung der Regularien begrüßt die Clia die EU-Initiative nun ausdrücklich. Die Kreuzfahrtunternehmen haben die Forderung von FuelEU maritime nach der Nutzung von Landstrom auf Schiffen bereits vorweggenommen. Etwa 40 Prozent der CLIA-Flottenkapazität ist heute in der Lage, sich an die Landstromversorgung anzuschließen. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren etwa 75 % unserer Flottenkapazität für die Nutzung von OPS geeignet sein werden.“ Und unter Bezugnahme auf die Treibhausgas-Grenzwerte: „Die CLIA-Mitglieder haben bereits vor einigen Jahren damit begonnen, einen Kurs in diese Richtung einzuschlagen, indem sie energieeffizientere Schiffe bauen, neue Arten von Kraftstoffen verwenden und die Schiffe mit einem Landstromanschluss ausstatten. Mit Blick auf die Zukunft setzt sich die CLIA weiterhin für die langfristigen Ziele der EU ein.“

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Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

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