Der Brückeneinsturz in Baltimore ist verstörend: Ein Blackout auf einem Containerschiff, wie er gelegentlich vorkommt, führt zu gewaltigem Schaden und reißt sechs Menschen in den Tod. Könnte ein solcher Unfall auch mit einem Kreuzfahrtschiff passieren? Wir sehen uns die Umstände und Fakten genauer an.
Zunächst einmal: Auch Kreuzfahrtschiffe haben die Francis Scott Key Bridge in Baltimore regelmäßig passiert. Weltweit gibt es zahlreiche Brücken, unter denen Fracht- und Containerschiffe, Tanker und eben auch Kreuzfahrtschiffe hindurchfahren. Ein grundsätzliches Risiko ist also gegeben.
Ein ganz wesentlicher Aspekt macht einen ähnlichen Fall wie in Baltimore insgesamt aber sehr unwahrscheinlich – nicht nur für Kreuzfahrtschiffe. Denn Brücken – sofern deren Pfeiler überhaupt in erreichbarer Nähe zur Fahrrinne stehen – sind meist besser abgesichert als die Francis Scott Key Bridge in Baltimore. Sie haben massive Abweiser aus Felsblöcken oder Beton, die Schiffe abbremsen oder aufhalten, bevor sie die Brückenpfeiler überhaupt erreichen würden.
Wie die New York Times für die USA untersucht hat, gibt es zwar neben der eingestürzten Brücke in Baltimore durchaus weitere Brücken, die wenig oder gar nicht vor großen Schiffen geschützt sind. Keine der in dem Artikel genannten Brücken wird jedoch von Kreuzfahrtschiffen passiert.
Blackout auf Kreuzfahrtschiffen und „Safe Return to Port“
Blackouts – also der komplette Zusammenbruch der Energieversorgung an Bord – kommen auch auf Kreuzfahrtschiffen vor, wenn auch relativ selten und noch seltener in kritischen Situationen. Denn Kreuzfahrtschiffe sind sehr betriebssicher ausgelegt. Wenn Blackouts auftreten, dann meist durch ein Feuer im Maschinenraum. Der ist zwar schnell gelöscht, doch bis die Energieversorgung anschließend wieder hergestellt ist, kann einige Zeit vergehen – zwischen Minuten und vielen Stunden.
Für Kreuzfahrtschiffe, deren Kiellegung nach dem 1. Juli 2010 stattfand, gelten erhöhte Anforderungen, die sogenannten „Safe Return to Port“-Vorschriften der IMO. Sie stellen sicher, dass die Energieversorgung (und einiges andere) an Bord nach einem Blackout relativ schnell wieder hergestellt werden kann. Klassifizierungsgesellschaften definieren dafür eine Frist von einer Stunde. Das Ziel dabei ist vor allem die Sicherheit und das Wohlbefinden der Passagiere.
Doch für die besondere Situation des Unfalls in Baltimore „Safe Return to Port“ (SRtP) weitgehend irrelevant. Denn in solchen Situationen geht es um nur wenige Minuten. Zwar reduzieren zwei getrennte Maschinenräume, wie in SRtP vorgeschrieben, die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls der Energieversorgung ein wenig. Aber dieses Konzept legt die Priorität eben nicht auf eine sekunden- oder minutenschnelle Lösung des Problems.
Notstromversorgung
Bei einem Blackout können Notstromaggregate in weniger als einer Minute einspringen, noch schneller gegebenenfalls USV-Batterien. Allerdings sind solche Systeme nicht darauf ausgelegt, den Antrieb des Schiffs zu übernehmen. Sie versorgen beispielsweise die Aufzüge, Notbeleuchtung und vor allem die Brücke mit Strom, sodass dort alle Instrumente weiter funktionsfähig bleiben. Verfügt das Schiff über feststehende Propeller und separate Ruder, sind auch diese damit für eine gewisse Zeit weiter bedienbar, wie der weiter unten erwähnte Fall der MSC Opera in Venedig zeigt.
Ob das ausreicht, um ein Kreuzfahrtschiff auf Kurs zu halten oder eine Kollision zu vermeiden, hängt aber von der konkreten Situation ab. Denn die Manövrierfähigkeit des Schiffs hängt nicht nur vom Vortrieb durch Propeller ab, sondern vor allem auch von Strömungen und Wind. Ruder bewirken nur dann eine Richtungsänderung, wenn sich das Schiff relativ zum Wasser vor- oder rückwärts bewegt. Ansonsten treibt es unkontrollierbar mit der Strömung.
Ist noch Energie für die Bugstrahlruder verfügbar, was bei einem kompletten Blackout eher nicht der Fall ist, könnten sie immerhin auch ohne Vortrieb für eine gewisse Richtungsänderung genutzt werden.
Schlepper-Assistenz, redundanter Antrieb
In Situationen wie in Baltimore würde aber vor allem etwas anderes helfen: entsprechende Schutzmaßnahmen an den Brücken und eine Absicherung mit Schleppern – also beispielsweise eine Schlepper-Pflicht an kritischen Stellen wie etwa Brücken. Wie der Fall der MSC Opera (siehe weiter unten) zeigt, ist aber auch das keine Garantie, trägt aber zumindest zur Schadensbegrenzung bei.
Gelegentlich in der Diskussion sind für Kreuzfahrtschiffe auch redundante Antriebssysteme, also zwei vollständig voneinander unabhängige Systeme, die sicherstellen, dass bei Ausfall des Antriebs ein zweites System einspringen kann. Der Aufwand sowohl bei den Kosten als auch dem Platzbedarf an Bord wäre aber wohl unverhältnismäßig in Relation zur (Un-)Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einer Situation kommt, in der ein so schnell verfügbares Ersatzsystem nötig ist, insbesondere wenn das Schiff für andere, weniger eilige Fälle bereits für „Safe Return to Port“ ausgestattet ist.
Immerhin haben Klassifizierungsgesellschaften schon Standards für redundante Antriebssysteme definiert. DNV beispielsweise bietet in diesem Zusammenhang zwei freiwillige Zertifizierungen an: Operational Reliability (OR) und Redundant Propulsion (RP).
Unfälle von Kreuzfahrtschiffen mit Brücken oder wegen Blackouts
Bei unseren Recherchen haben wir lediglich zwei Fälle gefunden, bei denen in jüngerer Zeit ein Kreuzfahrtschiff Berührung mit einer Brücke hatte:
Die Viking Star schrammte im Oktober 2016 unter der Buzzard-Bay-Eisenbahnbrücke im Cape Cod Canal nahe Boston hindurch. Ein Mast mit einer Leuchte am Schiff wurde beschädigt, an der Brücke etwas Farbe abgekratzt.
Die Mingzhu No. 7 verlor im Mai 2012 bei der Überführungsfahrt aus der Werft bei der Durchfahrt unter einer Brücke im chinesischen Wenzhou ihren Schornstein und verursachte wohl auch einen gewissen Schaden an der Brücke.
In beiden Fällen war die Ursache aber kein Blackout oder Manövrierunfähigkeit des Schiffs, sondern eine Fehleinschätzung der Durchfahrtshöhe der Brücke. Zwischenfälle mit einem Blackout oder einer ähnlichen Ursache haben wir drei gefunden:
Die MSC Opera rammte im Juni 2019 in Venedig einen Pier und das Flusskreuzfahrtschiff River Countess, als sie kurzzeitig manövrierunfähig war. Die Ursache war kein Blackout. Vielmehr hatten die Offiziere auf der Brücke ignoriert, dass die Rudersteuerung bereits seit einiger Zeit auf Notstrom statt über die Hauptenergieversorgung lief. Als der Notfallstrom erschöpft war, konnten sie das Schiff nicht mehr steuern. Zwei Schlepper, die am Bug und am Heck mit der MSC Opera verbunden waren, milderten den Aufprall nur ab, konnten ihn aber nicht komplett verhindern.
Auf der Coral Princess gab es im August 2019 einen Blackout, kurz nachdem das Kreuzfahrtschiff die Pier von Juneau in Alaska verlassen hatte. Sie driftete auf die nebenan liegende Seven Seas Mariner zu. Acht Minuten nach Beginn des Blackouts war die Coral Princess wieder manövrierfähig und konnte einen Zusammenstoß verhindern.
Am dramatischsten war die Situation für die Viking Sky im März 2019, als sie in Norwegen bei einem schweren Sturm wegen eines Maschinenausfalls in Seenot geriet und beinahe auf ein Riff getrieben wurde. Das Schiff erlitt zwar keinen Blackout, war wegen des Ausfalls der Maschinen aber lange Zeit manövrierunfähig.
Wesentlich häufiger sind kleinere Kollisionen – mit dennoch teils erheblichem Schaden – von Kreuzfahrtschiffen mit Anlegern und Piers, gelegentlich auch mit anderen Schiffen im Hafen. Ursache sind dafür typischerweise keine Blackouts oder Manövrierunfähigkeit der Schiffe, sondern ungünstige Wetterbedingungen, vor allem starke Winde, oder auch mal menschliche Fehler auf der Brücke.