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Problematische Brandschutz-Paneele auf Kreuzfahrtschiffen: Was wir bislang darüber wissen

Brandschutz-Paneele, die ihre Zertifizierung verloren haben, sorgen in der Kreuzfahrt für Aufregung und Verunsicherung. Die Explora I konnte deshalb Anfang Juli 2023 von der Werft nicht ausgeliefert werden. Von bis zu 45 betroffenen Schiffen ist die Rede. Vielleicht sind es aber auch nur drei oder vier. Möglicherweise betroffene Reedereien, zwei der drei großen Werften sowie der Hersteller hüllen sich weitgehend in Schweigen. Wir fassen zusammen, was bislang bekannt ist und zeigen Hintergründe auf.

Mangels konkreter Informationen seitens der meisten Reedereien, Werften und des Herstellers der Paneele, Paroc, wird in den Medien und im Internet viel spekuliert: Auf welchen weiteren Kreuzfahrtschiffen sind die problematischen Brandschutz-Paneele verbaut? Wie hoch ist das Risiko beim Einsatz dieser Paneele? Müssen betroffene Schiffe das Material austauschen – und wenn ja, wann? Wie stark wird sich das Problem letztlich auf einzelne Schiffe und die ganze Branche auswirken?

Obwohl die meisten Informationen nur aus einer Quelle stammen, oft aus zweiter Hand und damit nicht wirklich gesichert sind, versuchen wir in diesem Beitrag zusammenzustellen, was bislang bekannt ist und ordnen die Informationen ein.

Welche Kreuzfahrtschiffe sind betroffen?

Auf welchen Kreuzfahrtschiffen die problematischen Paneele des Herstellers Paroc verbaut sind, ist nur sehr begrenzt bekannt. Der Financial-Times-Bericht spricht von 45 Schiffen, allerdings ist klar, dass es sich dabei nicht nur um Kreuzfahrtschiffe handelt – die Brandschutzvorschriften der Solas-Regularien gelten auch für alle anderen Schiffe. Gesichert ist bislang nur, dass neben der Explora I mindestens drei Kreuzfahrtschiffe mit den problematischen Paneelen ausgestattet sind.

Klar ist, dass die Explora I von Explora Journeys, derzeit noch bei Fincantieri in Monfalcone bei Triest, betroffen ist – siehe unser Beitrag „Verlust von Brandschutz-Zertifikaten bestimmter Paneele stellt Reedereien und Werften vor größere Probleme“.

Exploras Muttergesellschaft, die MSC Group, hat ebenfalls eingeräumt, dass die betroffenen Paneele von der französischen Werft Chantiers de l’Atlantique auch auf der MSC Euribia verbaut wurden.

Es soll laut dem ursprünglichen Financial-Times-Bericht auch ein weiteres, nicht mit Namen genanntes Schiff von MSC Cruises betroffen sein, dass bei Fincantieri in Italien gebaut wurde. Dort hat MSC Cruises lediglich die Seaside-Klasse bauen lassen, zuletzt die MSC Seashore (2021) und MSC Sescape (2022). MSC Cruises äußerte sich konkret dazu bislang nicht.

Des Weiteren geht es um ein ebenfalls nicht mit Namen benanntes Kreuzfahrtschiff aus dem Reederei-Unternehmen Carnival Corp. Das Unternehmen nennt nicht den Namen des Schiffs, betont aber, dass die Paneele zum Zeitpunkt des Einbaus die nötige Zertifizierung gehabt habe. Bei Carnival sind aus betroffenen Werften lediglich die Discovery Princess (2022, Fincantieri) und die Rotterdam (2021, Fincantieri) in der fraglichen Zeit in Dienst gegangen sowie – unwahrscheinlicher, da bereits 2020 ausgeliefert – Costa Firenze (Fincantieri) und Enchanted Princess (Fincantieri)

Darüber hinaus ist nicht bekannt, welche weiteren Schiffe betroffen sind und um wie viele Kreuzfahrtschiffe es sich überhaupt handelt. Von Reedereien gibt es zu möglicherweise betroffenen Schiffen keine näheren Informationen. Auch Fincantieri und Chantiers de l’Atlantique äußern sich nicht zu dieser Frage. Paroc selbst äußert sich ebenfalls nicht und hat auch auf eine konkrete Anfrage von cruisetricks.de nicht geantwortet.

Lediglich die Meyer-Werft sagt eindeutig, dass auf Kreuzfahrtschiffen, die in Papenburg oder Turku gebaut wurden, die betreffenden Paroc-Paneele nicht verbaut worden seien.

Spekulationen vor allem auf amerikanischen Websites zu betroffenen Kreuzfahrtschiffen laufen aber überwiegend schon deshalb ins Leere, weil über Schiffe spekuliert wird, die vor 2020 und damit vor der Zertifizierung der problematischen Paneele in Dienst gingen. Diese Spekulationen basieren lediglich auf Listen von Schiffen und Reedereien, die Paroc in Unternehmenspräsentationen als Kunden nennt – und auf diesen Listen stehen so ziemlich alle namhaften Reedereien und die meisten Schiffe, die in den vergangenen Jahren in Dienst gegangen sind.

Da Paroc aber ein renommierter und vielseitiger Lieferant im Schiffsbau agiert, beziehen sich diese Listen nicht auf konkret diese Paneele, sondern ganz allgemein auf das Angebotssortiment von Paroc.

Was ist eine „A-60“-Brandschutz-Isolierung?

Genau genommen ist nicht einmal ganz klar, um welche Isolier-Paneele es sich bei den problematischen Paneelen genau handelt. Jedenfalls geht es wohl nur um einen, möglicherweise zwei ganz bestimmte Paneel-Typen des renommierten Herstellers Paroc. Klar ist wohl, dass dieser spezielle Typ von Paneelen zunächst 2020 als den Regeln entsprechend zertifiziert wurde, diese Zertifizierung aber irgendwann im Frühjahr 2023 widerrufen wurde. Dazu später noch mehr.

Carnival Corp. spricht in einem Statement gegenüber Seatrade Cruise News von A-60-Isolierung. Das gibt deutliche Hinweise darauf, wo auf den Schiffen diese Paneele zum Einsatz kommen und widerspricht Spekulationen darüber, in welchen Bereichen der Schiffe solche Paneele gegebenenfalls ausgetauscht werden müssen.

Klasse-A-Isolierung und die Stufe „A-60“ sind in den internationalen Sicherheitsvorschriften für die Schifffahrt in den Solas-74-Regularien Kapitel II-2, Regulation 3 definiert.

Eine Isolierung dieser Art muss auf Passagierschiffen vor allem eingesetzt werden, um das Schiff in vertikale Brandschutzzonen aufzuteilen und besonders gefährliche Bereiche abzuschirmen. Zu letzteren zählen beispielsweise Bereiche wie Saunas, Chemikalien-Lager oder Küchen.

Klasse A bedeutet, dass solche Wände mindestens 60 Minuten lang Flammen und Rauch vollständig blockieren müssen.

Die Untergruppierung „A-60“ ist die höchste Stufe innerhalb der Klasse A und bedeutet, dass zusätzlich die Oberflächentemperatur auf der von der Hitzequelle abgewandten Seite mindestens 60 Minuten lang um nicht mehr als 140 Grad in Relation zur normalen Temperatur ansteigen darf.

Alle Details der Brandschutzvorschriften für Schiffe kann man in den Solas-Regularien nachlesen, zum Beispiel in der konsolidierten Solas-Fassung von 2018 (PDF-Link). Eine gute und übersichtliche Zusammenfassung der Klassifizierung der verschiedenen Brandschutz-Stufen findet sich bei Bright Mariner.

Lösungsweg „Solas-equivalenter“ Brandschutz?

Möglicherweise gibt es neben dem aufwendigen Austausch betroffener Paneele auf den Kreuzfahrtschiffen – soweit das auf bereit in Dienst befindlichen Schiffen überhaupt nötig ist – eine alternative Lösung. Die Website Shipping Italy spricht von „Solas-äquivalenten“ Maßnahmen, mit denen die Einhaltung der Brandschutzvorschriften nachgewiesen werden könnten.

Diesem Bericht zufolge hat das Werftunternehmen Fincantieri und die italienische Klassifikationsgesellschaft Rina gemeinsam Tests durchgeführt, um für die Explora I einen gleichwertigen Brandschutz zu den Solas-Bestimmungen nachzuweisen. Demnach soll in der Werft in originalgetreu nachgebauten Räumen der Expora I und echtem Feuer überprüft worden sein, ob die Isolierung dieser Bereich in ihrer Gesamtheit die Solas-Bestimmungen erfüllen.

Wie diese Tests ausgefallen sind, ist bislang nicht bekannt. Auf einen positiven Ausgang deutet hin, dass Explora Journeys weiter an einem baldigen Indienststellungstermin festhält, der kaum zu halten sein würde, müssten die Paneele wirklich komplett ausgetauscht werden.

Um ein Solas-äquivalenter Brandschutz aber letztlich akzeptabel ist, darüber entscheidet letztlich die Klassifikationsgesellschaft sowie der Flaggenstaat – im Falle der Explora I ist das Malta. Beide müssen dabei die Solas-Vorschriften beziehungsweise entsprechende nationale Gesetze berücksichtigen.

Warum wurde die Zertifizierung überhaupt widerrufen?

Gewöhnlich finden genau definierte Tests für da Brandschutz-Niveau von Materialien und Bauelementen für Schiffe statt, die bei zufriedenstellendem Ausgang zu einer Zertifizierung von fünf Jahren führt. Die fraglichen Paroc-Paneele wurden offenbar 2020 zertifiziert. Dennoch sind sie nun erneut getestet worden.

Ebenfalls in dem Bericht von Shipping Italy ist zu lesen, dass die erneut durchgeführten Tests an den Paroc-Paneelen von einem dänischen Konkurrenzunternehmen veranlasst worden seien, die dann zum Entzug der Zertifizierung geführt hätten. Bei diesen neuerlichen Tests der Paroc-Paneele habe das Material lediglich 43 oder 50 Minuten statt der vorgeschriebenen 60 Minuten durchgehalten.

Die Paroc-Paneele sind offenbar nennenswert leichter als die der Konkurrenz. Niedrigeres Gewicht bedeutet im Schiffbau einen wichtigen Wettbewerbsvorteil.

Was bedeutet der Zertifikatsverlust für bereits in Dienst befindliche Kreuzfahrtschiffe?

Völlig unklar ist, welche Konsequenzen der Entzug der Zertifizierung für die betreffenden Paneele für bereits fahrende Kreuzfahrtschiffe hat, auf denen dieses Material verbaut ist.

Carnival Corp. hat bereits klargestellt, dass die Paneele zum Zeitpunkt der Indienststellung des einen Schiffs, auf dem diese Paneele laut Carnival verbaut sind, den Vorschriften entsprochen hätten und sie die nötige Zertifizierung besessen hätten. Ähnlich äußert sich die MSC Group.

MSC schreibt dazu in einem Statement zur Situation der MSC Euribia aber dann doch etwas vorsichtig: „Bereits fahrende Schiffe mit den gleichen Paneelen sind nicht automatisch betroffen. Dennoch arbeitet unser anderer Schiffbauer, Chantiers de l’Atlantique, mit der Klassifikationsgesellschaft und Experten aus der maritimen Industrie zusammen, um die Situation der MSC Euribia im Detail zu analysieren und die erforderlichen Tests durchzuführen. Anschließend werden wir, falls nötig, einen entsprechenden Aktionsplan entwickeln.“

Zu berücksichtigen ist bei diesem Aspekt, dass auf Kreuzfahrtschiffen regelmäßig Materialien und Bauteile verbaut sind, die zum Zeitpunkt des Einbaus allen Vorschriften entsprechen und zertifiziert sind, die aber nach einiger Zeit aber über keine Zertifizierung mehr verfügen. Sofern nach der typischen Laufzeit von fünf Jahren die Zertifikate nicht erneuert werden, sind also zahlreiche Materialien und Bauteile dann formell nicht mehr zertifiziert. Ausgetauscht werden müssen sie deshalb aber nicht.

Inwieweit das nun auch für diese spezielle und sehr ungewöhnliche Situation gilt, in der die Zertifizierung schon nach recht kurzer Zeit widerrufen wird, müssen wohl Reedereien, Werften, Zertifizierungsgesellschaften und Flaggenstaaten erst noch ausdiskutieren und juristisch prüfen.

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Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

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