Nachhaltigkeit bei der Lebensmittelbeschaffung, aber auch Probleme in der weltweiten Containerlogistik verändern die Kreuzfahrt gerade grundlegend. Im cruisetricks.de-Interview erklärt Michael Stendebach, Vice President Food, Beverage & Guest Services, warum sich Holland America Line von der Container-Belieferung der Kreuzfahrtschiffe verabschiedet und fast nur noch lokal im jeweiligen Fahrtgebiet einkauft.
Bisher erschien es zumindest für große Schiffe als unausweichlich, dass Reedereien einen Großteil der Lebensmittel zentral einkauften und per Container um die ganze Welt zu den Schiffen brachten. Als Gründe dafür nannten die Reedereien den Anspruch der Passagier an hohe, überall gleichbleibende Qualität, Preisvorteile bei zentralem Einkauf großer Mengen, je nach Fahrtgebiet auch der Mangel an lokalen Lieferanten, die in der benötigten Menge liefern konnten.
Im Podcast-Gespräch mit cruisetricks.de sagt Michael Stendebach nun aber einen knappen, aber sehr überraschenden Satz: „Ja, wir fahren das komplett herunter.“ Wie konsequent Holland America Line das anpackt, wie sich die komplexe Logistik dabei in den Griff bekommen lässt und welche überraschenden Vorteile sich daraus für die Reederei und die Passagiere ergibt, erklärt Michael Stendebach im cruisetricks.de-Interview.
Das komplette Gespräch mit Michael Stendebach mit weiteren spannenden Themen aus dem Bereich Food & Beverage in der Kreuzfahrt und bei Holland America Line können Sie in unserer Podcast-Episode zu diesem Thema nachhören.
Lebensmittel zentral einkaufen und per Container zu den Schiffen bringen, galt früher als nahezu alternativlos. Warum geht es jetzt dennoch anders?
Das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist die Nachhaltigkeit. Dieser Aspekt hat uns eigentlich dazu gebracht, in die Destination hineinzuschauen. Es hat uns gezeigt, dass das Operieren mit lokaler Ware einfacher ist, als die Containerlogistik, wo du drei Monate im Voraus planen musst, wie viel Gäste du an Bord hast, was der Gäste-Mix ist an Bord, welche Nationalitäten an Bord sind und so weiter. Somit kriegst du auch mehr Flexibilität, weil du nur zwei Wochen vorher bestellen musst, was du brauchst.
„Das Operieren mit lokaler Ware ist einfacher als die Containerlogistik, wo du drei Monate im Voraus planen musst.“
Natürlich schließen wir zum Anfang der Saison Verträge mit den Hauptpartnern, gerade was Fleisch, Fisch und Geflügel betrifft. Das heißt also, die Partner haben das Volumen, das wir brauchen. Aber danach reicht es wirklich, zwei Wochen vorher Bescheid zu geben, was wir wirklich brauchen.
Der zweite Grund ist, dass im Augenblick die Container-Laufzeiten viel, viel zu lange sind. Es gibt Staus in Häfen, dann kommt der Container nicht und dann bist du wirklich auf dich alleine gestellt.
Da haben also auch die Folgen der Pandemie etwas verändert?
Definitiv. Man hat gemerkt, wie abhängig man von der Containerlogistik ist. Ich glaube, jede Reederei hat ihre Erfahrungen gemacht, sodass man sich überlegt, ob das wirklich ein zukunftsträchtiges Konzept ist. Die Planung war in der Vergangenheit so, dass man beispielsweise für Australien ein Jahr im Voraus die Speisekarte geschrieben und dann dem Einkauf ein Zettel gegeben und gesagt hat: Das kannst du mir im Container da runterschicken, das brauche ich da.
Das hat sich komplett geändert. Heute fliegst du da runter, guckst dir das an und machst die Speisekarte aus dem, was lokal angeboten wird. Und ganz ehrlich: Diese Flexibilität macht sich bemerkbar. Das Gäste-Feedback, was wir gerade kriegen, ist wirklich unglaublich.
Man kann viel schneller reagieren, wenn man merkt, okay, da war unser Gedanke für die Gäste nicht ganz so gut, lass‘ uns das rausnehmen und durch ein anderes Gericht ersetzen. Das kann ich heute innerhalb von einer Reise machen, wofür ich früher drei Monate gebraucht habe.
Gibt es Destinationen, die Ihr nicht anfahren könnte, weil die lokale Versorgung dort nicht möglich ist?
„Da gibt es für uns keinen Stopp. Wir finden auch einen Weg, Schiffe am Amazonas lokal zu beliefern.“
Nein, also ganz ehrlich, da finden wir einen Weg, um das möglich zu machen. Die Welt ist da, um erkundet zu werden. Es ist wichtig, dass man die Routen auch immer wieder neu durchdenkt. Wir fahren jetzt das erste Mal von der Arktis in die Antarktis. Diese Route ist vom Zeitaufwand her länger als eine Weltreise. Aber das sind die Aspekte, die die Kreuzfahrt so einzigartig machen.
Da gibt es für uns keinen Stopp. Wir finden auch einen Weg, Schiffe am Amazonas lokal zu beliefern. Das ist schon witzig: Da fahren wir mit einem Plattformschiff an das Schiff heran und kriegen die lokale Ware auf diesem Weg, denn da gibt es kein Pier, was eigentlich ein Showstopper wäre. Aber für uns ist wichtig, auch dort lokal die unterstützen und die Ware lokal frisch zu bekommen.
Reedereien mit Schiffen, die monatelang immer die gleiche Route im Mittelmeer oder in der Karibik fahren, tun sich da leichter.
Ja, wer alle sieben Tage von Miami nach Miami fährt, da hat die Reederei natürlich einen großen Vorteil. Die wissen ganz genau, was das komplette Jahr passiert. Wenn du als Reederei über den kompletten Erdball deine Häfen hast und, ich glaube, Holland America Line läuft 2.400 Häfen an, dann muss man sich schon überlegen: Wie kriege ich das logistisch zusammen und wie baue ich mir da eine Struktur auf. Wie surft man quasi immer vor der Welle und schreibt vorab im Zielgebiet die Speisekarten, die unsere Gäste wollen.
Ein besonderes Programm, dass Holland America Line 2023 gestartet hat, ist das „Fresh Fish Program“. Das klingt spannend, aber auch sehr ambitioniert.
Weltweit sourcen wir lokal frischen Fisch, in 60 verschiedene Häfen insgesamt 80 verschiedene Sorten an Fisch, die wir lokal frisch zukaufen und die innerhalb von 48 Stunden aus dem Hafen auf dem Teller unserer Gäste landen. Damit haben wir in Alaska angefangen und hatten da Masaharu Morimoto, einen der Top-Chefköche aus den USA, mit dabei und haben da eine Zertifizierung mit dem Alaska Seafood Marketing Institute gemacht. Derzeit arbeiten wir mit MSC …
… dem Marine Stewardship Council zur Zertifizierung nachhaltiger Fischerei …
„Der nächste Schritt muss sein, dass die Versorgung der Schiffe zum größten Teil nur noch lokal stattfindet.“
… ja, also diejenigen, die wirklich auf Nachhaltigkeit von Fisch achten, damit wir das Fresh Fish Program global spielen können. Denn ich glaube, Kreuzfahrtreedereien versuchen immer weiter in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen, was total super ist. Ich finde, alle Reedereien sind da extrem engagiert, bei Antriebstechnik, Reduzieren von Plastik und ich glaube, der nächste Schritt muss sein, dass die Versorgung der Schiffe zum größten Teil nur noch lokal stattfindet.
Es geht darum, die lokalen Communities zu unterstützen durch den Zukauf, den man dort tätig. Die Nachhaltigkeit ist beim lokalen Einkauf natürlich viel, viel größer als in der Container-Belieferung für ein Schiff. Das ist für mich eine der größten Prioritäten.
Wie lässt sich das „Fresh Fisch Program“ für relativ große Schiffe auch abseits der gängigen Fahrtgebiete umsetzen? Ich stelle mir das sehr komplex und aufwendig vor.
Zuerst haben wir wirklich alle Destinationen bereist und uns alle Partner angeguckt, mit denen wir in den verschiedenen Regionen der Welt zusammenarbeiten wollen. Das haben wir aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Unsere Leute für den Einkauf, für Nachhaltigkeit waren dabei und auch der Küchenchef, der im Endeffekt verantwortlich zeichnet für das Schiff und die Qualität, die er abliefert. Wir haben uns die Betriebe angeguckt und haben ein riesiges Netzwerk in allen Destinationen aufgebaut, in denen wir vertreten sind und haben dort unsere Partner gefunden.
Bringt das auch mehr Regionalität in die Speisekarten an Bord?
Ja. Ein Seiteneffekt für mich war, wieder mit Partnern in Kontakt zu kommen und miteinander zu reden. Also: Warum ist ein Fisch, sagen wir mal der Grouper in Mexiko, eigentlich einer der Hauptfische dort? Die Fischer haben da alle ihre Geschichten zu erzählen, aus denen wir dazulernen können. Da haben wir beispielsweise Rezepturen für den Fisch bekommen, etwa das beste Rezept für einen Grouper. Das können wir in unsere Speisekarte mit aufnehmen.
„Dadurch bringt man auch die Destinationen wieder mehr mit an Bord. “
Dadurch bringt man auch die Destinationen wieder mehr mit an Bord. Man kann also nicht nur schöne Exkursion in der jeweiligen Region erleben, sondern auch das Essen, das dort traditionell angeboten wird. Und den frisch eingekauften Fisch servieren wir eben auch im Hauptrestaurant.
Man muss da eine duale Strategie fahren und natürlich die Klassiker mit auf der Karte haben, die jeder Gast erwartet. Aber auf der anderen Seite ist es, glaube ich, extrem wichtig, dass man immer wieder auch den Einfluss aus der Destination mit auf den Teller bringt.
Hallo Franz, ein toller Bericht über die Nachhaltigkeit bei Holland American. wir sind ja gerade zum 1. mal auf der Nieuw Statendam und HAL und bin begeistert, dass man Nachhaltigkeit hier sehr groß geschrieben und betrachtet wird. Respekt. ich bemerke auf dieser Kreuzfahrt schon, dass viele neue Fischgerichte gibt.