Die litauische Stadt Klaipeda (Memel) ist der Ausgangspunkt für unsere E-Bike-Radwanderung zur Kurischen Nehrung: auf der einen Seite die Ostsee, auf der anderen das Kurische Haff, dazwischen ein 98 Kilometer langer Landstreifen aus Dünen, Sand und Waldstücken.
Bevor wir die Kurische Nehrung per E-Bike-Tour erkunden, sehen wir uns vormittags ein wenig in Klaipeda um. Die Altstadt hält keine sensationellen, touristischen Attraktionen bereit und wirkt eher verschlafen.
Der Charme Klaipedas liegt eher in Details, etwa die vielen kleineren und größeren Skulpturen, die man auf dem Weg durch die Stadt entdecken kann – wie etwa die Maus und die Katze, die nur ein paar Hausecken entfernt voneinander stehen.
Restaurants und Cafés finden sich vor allem entlang des kleinen Flusses Dane, auf dem auch da ehemalige Segelschulschiff und heutige Restaurantschiff Meridianas liegt.
Auf jeden Fall sollte man den historischen Theaterplatz besuchen, wo auch der Simon-Dach-Brunnen mit einer Figur des Ännchen von Tharau aus Dachs bekanntem Volkslied zu sehen ist – allerdings eine Nachbildung, weil das Original nach dem Zweiten Weltkrieg verschwunden war.
Mit dem E-Bike über die Kurische Nehrung
Viele Besucher kommen nach Klaipeda vor allem wegen der Kurische Nehrung. Seit 1991 ist diese einmalige Halbinsel aus Wald und Dünenlandschaft ein Nationalpark, seit 2000 Unesco-Welterbe. Der Touristenstrom wird hier geschickt unter Kontrolle gehalten, die Einheimischen schätzen die Kurische Nehrung als ruhigen Rückzugsort.
Ohnehin kommt man von litauischer Seite nur per Fähre dorthin, nämlich von Klaipeda (Memel) aus. Von russischer Seite gelangt man auf dem Landweg von Königsberg aus auf die Halbinsel. Etwas weniger als die Hälfte der Kurischen Nehrung ist russisches Gebiet.
Mit der Fähre von Klaipeda setzen wir mit unseren E-Bikes in einer kurzen, fünfminütigen Fahrt auf die Kurische Nehrung über. An der schmalsten Stelle ist die Nehrung gerade einmal 380 Meter breit, an der breitesten 3,8 Kilometer. Auf unserem Weg fahren wir durch Wald, der teils noch von Ludwig Hagen angelegt worden ist. Der Ingenieur Ludwig Hagen (1797-1884) hat viel zum Erhalt dieser einmaligen Dünenlandschaft beigetragen hat.
Jenseits der hohen Dünen zur Ostsee hin genießen wir bei einer Fahrradpause den Strand und lassen uns das Meerwasser um die Füße spülen. Wir passieren das Fort Nerija, eine sechseckige Festung aus dem 19. Jahrhundert, die heute als das Litauische Schifffahrtsmuseum und Aquarium dient. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Festung weitgehend zerstört, 1979 aber neu aufgebaut.
Ohne dass ich es genau erklären kann, hat die Kurische Nehrung für mich ein fast schon mystisches Flair. Vielleicht sind es die langgezogenen, riesige Sanddünen, die nahezu unberührt wirken und die Vorstellung, dass diese Sandmassen ständig in Bewegung sind. Vielleicht ist es das Wissen, dass Thomas Mann hier in Nida (Nidden) ein Sommerhaus hatte und ich mir schon bevor ich in den 1990er-Jahren zum ersten Mal hier war, die Umgebung von Thomas Mann genauso vorgestellt hatte: weitläufig bis zum Horizont, die Farben pastellig und hell, alle ein wenig weichgezeichnet, keine harten oder scharfen Formen, der tiefblaue Himmel als einzige intensive Farbe.
Drei Sommer, von 1930 bis 1932, verbrachte Mann hier, kehrte jedoch, nachdem er Deutschland 1933 verlassen musste, nie wieder hierher zurück. So sehr Thomas Mann mir Venedig durch seinen „Tod in Venedig“ für lange Zeit vermiest hat, bevor ich die Stadt lieben lernte, so positiv prägte er meine Vorstellung von der Kurische Nehrung.