Tradition und Aberglaube spielen beim Bau von Schiffen eine große Rolle. Wie wichtig besondere Zeremonien sind und welche historische Bedeutung ihnen zukommt, erklärt Berndt Lönnberg von Meyer Turku anlässlich des Aufschwimmens der Mein Schiff 5 am 15. Januar 2016 in Turku im cruisetricks.de-Interview.
Trotz modernster Technik, komplizierter Logistik und aller wissenschaftlicher Erkenntnisse: Traditionen haben zu bestimmten Anlässen ihren festen Platz. Sogar alter Aberglaube hat sich erhalten, auch wenn das heute niemand mehr ganz so todernst nimmt wie noch vor hundert Jahren. Wir haben uns beim Aufschwimmen der Mein Schiff 5 in der Werft Meyer Turku ausführlich mit Berndt Lönnberg unterhalten, der als Project Engineer für Sound & Vibration an der Mein Schiff 5 mitarbeitet und sich mit Traditionen und Aberglaube bestens auskennt.
Sind sie hier im eher pragmatisch-nüchternen Finnland genauso abergläubisch wie etwa die Italiener, wenn es um bestimmte Traditionen geht?
Das ist überall in der Welt ähnlich, vor allem weil Schiffe schon immer ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft waren, in der sie genutzt wurden. Ob Fischerboote oder für den Transport über einen Fluss oder so. Sie waren extrem wichtig im Alltag und die Gemeinschaft war abhängig von ihnen. Und Seefahrer lebten damals ja Monate wenn nicht gar Jahre auf den Schiffen, sie waren also auch ihr Zuhause, weit weg vom eigentlichen Zuhause. Die typischen Zeremonien stehen damit in Verbindung.
Einige davon sind aber auch ganz formell in Hinblick auf die Behörden in modernen und auch früheren Zeiten wichtig. Heute wird ein Schiff quasi geboren, wenn es mehr als 50 Tonnen wiegt. Das ist die heutige Definition. Dann kann man formell von einer Kiellegung sprechen, wofür man ein Zertifikat von der Klassifizierungsgesellschaft bekommt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Schiff geboren, es bekommt eine IMO-Nummer. Logischerweise hat das Schiff schon zuvor eine Neubau-Nummer, aber mit der formellen Kiellegung taucht das Schiff auch in den offiziellen Archiven auf. Diese formale Kiellegung kann heute einfach in einer Bauhalle stattfinden. Man stellt fest, dass das Schiff 50 Tonnen erreicht hat und unterschreibt ein Dokument.
Aber die Kiellegung wird ja meist auch in größerem Rahmen gefeiert …
Ja, dann gibt es die Zeremonie der Kiellegung, was in der Vergangenheit die reale Kiellegung war, wo man begann, das Schiff zusammenzubauen, indem man den Kiel legte, auf den man aufbaute. Heute haben wir eine Kiellegung-Zeremonie. Und diese Zeremonie ist für den Schiffseigner natürlich eine gute Gelegenheit in modernen Zeiten, das Schiff bekannt zu machen, die Presse einzuladen und so weiter.
Emotional und traditionell ist eine kleine Zeremonie, die mit der Kiellegung verbunden ist, wo man Münzen auf einen Kiel-Block unter den Kiel legt. Diese Münzen holen wir später wieder heraus. (Anm.: Interview fand während des Aufschwimmens der Mein Schiff 5 statt.) Natürlich sind sie jetzt noch unter Wasser. Aber wenn das Schiff aus dem Dock herausgeschleppt wurde, wissen wir, wo die Münzen sind, die auf dem Kiel-Block bei der Zeremonie der Kiellegung dort platziert wurden, und werden sie herausholen.
Und was passiert dann mit den Glücksmünzen?
Traditionell hat man die Münzen dann immer unter den Hauptmast gelegt, bevor er aufgebaut wurde. Das war der typische Platz dafür. Das war ein Platz auf dem Schiff, wo niemand die Münzen stehlen konnte.
Wir machen es heute in einer etwas veränderten Weise: Wir legen sie in eine Box und verschließen die Box. Auch das ist eine kleine Zeremonie, die wir vor vielen Jahren entwickelt haben. In diese Box, die aus Messing besteht, kommen die Münzen hinein und seit einigen Jahren bitten wir auch immer den Kapitän ein Gedicht für das Schiff zu schreiben. Ganz ohne Vorgaben und das kann in seiner Muttersprache sein oder in Englisch oder meinetwegen auch Suaheli.
Einige der Kapitäne haben Gedichte geschrieben, die sehr technisch sind. Das spürt man, wenn er hofft, dass das Schiff viel Geld verdient, viel Geld für seinen Arbeitgeber. Einige sind aber auch sehr romantisch, beispielsweise mit Formulierungen wie „Du bist mein Mädchen …“ und so weiter. Dieses Gedicht liest der Kapitän bei der Zeremonie vor, die wiederum in einer der Bauhallen stattfindet, im kleinen Kreis nur mit dem Projektteam. Das ist kein Presse-Ereignis. Das war es in manchen Fällen und bei einigen Schiffen, aber gewöhnlich ist das nur eine Zeremonie für einen kleinen, internen Kreis.
Das Gedicht wird zusammen mit den Münzen in die Box gelegt und man geht gemeinsam auf das Schiff zu einem Ort, den wir dafür vorbereitet haben, ganz nahe am Mast des Schiffs. Wir schweißen einen Deckel darauf, den man nicht entfernen kann, der die Messingbox schützt.
Zuvor geben wir einigen Offizieren immer einen kleinen Schweißkurs, sodass sie in der Lage sind, den Deckel aufzuschweißen. Einige können bereits schweißen, der Chief Engineer vielleicht, aber nicht der Kapitän. Wir haben eine Schweißer-Schule in der Werft hier, wo wir Schweißer – also richtige Schweißer – ausbilden. Nach dem Kurs, ein oder mehrere Tage vor der Zeremonie, bekommen der Kapitän und die Offiziere ein schönes Schweißer-Zertifikat, das aber natürlich nur für den Tag der Zeremonie gültig ist.
Berndt Lönnberg: »We would not go out to sea ...«
Wir würden mit dem Schiff nicht aufs Meer für Testfahrten gehen – das ist unser Aberglaube – ohne dass diese Zeremonie vor der ersten Testfahrt stattgefunden hat. Wer würde es wagen, das zu tun? Was wäre, wenn etwas passiert, nur weil man vergessen hätte, die Münzen zu sichern?
Woher kommt den ursprünglich die Tradition, Münzen unter dem Mast zu deponieren?
Weltweit ist diese Tradition ein wenig unterschiedlich, aber man findet sie fast überall auf der Welt, in Südamerika, in Asien, in Europa, überall. Ganz typischerweise ist diese Münze vielleicht eine besondere Version eines goldenen Dollars oder etwas in der Art. Gott möge es verhüten, aber wenn das Schiff sinkt, auf ein Riff aufläuft oder so, dann ist das Geld dafür da, von Neptun die Seelen Leute an Bord zurück zu kaufen. Dieser Gott, dieser Neptun kann in einer anderen Kultur natürlich auch eine andere Figur sein. Aber das ist der Grund für diese Münze: von Neptun die Seelen der Seeleute zu kaufen, damit er sie freigibt. Wir nennen es die Glücksmünzen beziehungsweise die Glücksmünzen-Zeremonie.
Berndt Lönnberg: »In the event, that the ship is going down ...«
Eine weitere Erklärung für diese Zeremonie ist einfach, dem Schiff Glück zu wünschen, dass es seinen Eigentümern Geld und Erfolg bringen möge. Das ist also die Erklärung für diese Tradition.
Wenn man die Münzen zwischen Block und Schiff legt – macht das nicht den Stahl des Schiffs kaputt? Oder wird die Münze nicht komplett platt gedrückt?
Man kann die Münze einfach auf den Kiel-Block legen. Der hat eine hölzerne Oberseite und wenn man sie einfach dort hinlegt und zum Stabilisieren etwas Klebeband herum klebt, wird sie einfach nur in das Holz hinein gepresst und vielleicht ein wenig verbogen, aber nicht zu sehr.
Manchmal machen wir ein kleines Loch in die Oberfläche dieses speziellen Kiel-Blocks und legen die Münzen dort hinein, sodass wir sie hinterher dort wieder herausholen können.
Wir hatten es auch schon, beispielweise mit der Oasis of the Seas, dass wir jemanden hier hatten mit historischen Werkzeugen, mit denen man Münzen herstellen kann, sodass alle eingeladenen Gäste ihre eigene Münze herstellen konnten und dann platzierte jeder der Ehrengäste seine eigene Münze dort.
Ist es wichtig, dass das immer ganz besondere Münzen sind?
Ganz traditionell kann es beispielsweise ein ganz besonderer US-Silver-Dollar sein, von denen nur fünf bekannte Stücke weltweit existieren. Ich weiß, dass Richard Fain (Anm.: Chairman und CEO Royal Caribbean Cruises) einmal einen dieser besonderen Silver-Dollars hatte oder etwas Ähnliches. Es war ein einzigartiges Stück, das unter eines der Royal-Caribbean-Schiffe gelegt wurde. Wir haben hier aber auch immer einige prägefrische Serien der im jeweiligen Jahr herausgegebenen Münzen in Finnland, früher der finnischen Währung, heute der finnischen Version des Euros.
Berndt Lönnberg: »I have been present in occasions, where ...«
Aber ich habe auch schon gesehen, dass der CEO oder der Schiffseigner einer Reederei für die Zeremonie diese ganz neuen, unbenutzten Münzen hatte und dann sagte: „warte mal kurz“, seinen Geldbeutel zog und stattdessen eine alte Ein-Cent-Münze hinlegte.
Wissen Sie, was mit diesen Schiffen passiert ist?
Ich glaube, das eine spezielle Schiff, an das ich gerade denke, ist immer noch erfolgreich in Dienst. Neptun hat das offenbar akzeptiert.
Früher, als Schiffe tatsächlich noch vom Stapel liefen, hat man das Schiff zu diesem Anlass auch gleich getauft, oder?
Ja, die klassische Version dieser Zeremonie, wenn das Schiff ins Wasser geht, war der Stapellauf, wenn das Schiff glitt ins Wasser. Auch heute noch findet in vielen Fällen, wenn man normale Frachtschiffe hat, die Taufe oder die Zeremonie zur Namensgebung zur dieser Zeit statt, mit Champagnerflasche, die mit einen Knall gegen das Schiff schlägt und das Schiff ins Wasser kommt.
Aber bei Kreuzfahrtschiffen heute überall auf der Welt wird die Namensgebungs-Zeremonie separat für PR-Zwecke benutzt, nahezu immer. Wenn das Schiff fertig ist, gibt es eine große Zeremonie, wie beispielsweise für Mein Schiff 3 oder 4, das ist sehr typisch, mit Taufpatinnen und so weiter.
Aber ich erinnere mich, als wir Schiffe für griechische Eigner gebaut haben, die Superfast-Fähren, bei denen ich auch stark involviert war. Die hatten dann aus der griechischen Tradition heraus einen lokalen, griechisch-orthodoxen Würdenträger hier, ich glaube, es war der griechisch-orthodoxe Bischof von Finnland. Er war hier, um auf der Brücke für einen sehr kleinen Kreis von Leuten eine Messe zu feiern: der Schiffseigner, seine Familie und Söhne, also Perikles Panagopulos, seine Frau, Alex und dessen Frau, der Projektmanager. Von der Werft waren wir nur zwei Personen dabei. Der Priester in vollem, goldenen Ornat feierte eine Messe und enthüllten eine kleine Ikone an der Wand der Brücke, spritzte Weihwasser auf die Ikone und alle im Raum und segnete alle an Bord. Das wurde bei beiden dieser Schiffe gemacht. Sie haben einen Heiligen zum Schutz für jedes dieser Schiff ausgesucht und eine Ikone dieses Heiligen auf der Brücke.
Die kurze Zeremonie heute zum Aufschwimmen der Mein Schiff 5, eine kurze Rede, ein Kanonenschuss …
Ja, das ist keine klassische Tradition. Das ist etwas, das wir hier vor vielen Jahren quasi erfunden und seitdem immer gemacht haben. Das lässt sich einfach machen, auch wenn es draußen kalt ist. Im Sommer hatten wir früher einmal eine Band von der finnischen Marine, die Blasmusik gespielt hat und Fanfaren.
Wenn es nicht kalt ist und die Lippen der Musiker an den Trompeten nicht festfrieren, würden vielleicht drei Trompeter eine Fanfare blasen, dann der Schuss aus der Kanone, dann würde das Aufschwimmen beginnen. Das ist also etwas, das komplett hier bei uns entstanden ist.
Vielen Dank an Berndt Lönnberg, Project Engineer Sound & Vision bei Meyer Turku, für das Interview!