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Was bedeuten Eisklasse, Polar Class und Polar Code für Expeditionskreuzfahrtschiffe?

Kreuzfahrt-Reedereien werben gerne mit der Eisklasse oder der Polar Class von Expeditionskreuzfahrtschiffen. Hohe Eisklassen machen nicht nur Eindruck, sondern ermöglichen auch Fahrtrouten, die anderen verschlossen bleiben. Aber was die Eisklasse beziehungsweise Polar Class genau bedeutet, ist nur mit einem genaueren Blick auf die Regularien, insbesondere des „Polar Code“ der IMO zu verstehen. Und gelegentlich verwenden Kreuzfahrt-Reedereien auch leicht irreführende Bezeichnungen.

Lange Zeit gab es keine weltweit einheitlichen Standards für die Eisklasse von Schiffen. Länder am Rande der Polargebiete wie beispielsweise Kanada, USA, Norwegen, Schweden, Finnland, Russland, aber auch Deutschland – und damit korrespondierende Klassifizierungsgesellschaften – haben sehr unterschiedliche Definitionen bei den Anforderungen für die Eisverstärkung von Schiffen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Eis nicht überall gleiche Eigenschaften hat und sich die Bedingungen beispielsweise zwischen russischer Arktis und der Ostsee deutlich unterscheiden. Die nationalen Bestimmungen orientieren sich daher vor allem auch an den jeweils regionalen Gegebenheiten.

Hinweis: Über das Thema sprechen wir auch in einer Episode unseres cruisetricks.de-Kreuzfahrt-Podcasts: „Expeditionsschiffe und ihre Eisklasse“.

Polar Class der Association of Classification Societies (IACS)

In den 1990er-Jahren begannen Klassifikationsgesellschaften im Rahmen der International Association of Classification Societies (IACS), diese schwer vergleichbaren Eisklasse-Definitionen zu vereinheitlichen. Das Ergebnis ist die Einstufung von Schiffen in Polar Class 1 bis 7, kurz: PC1 bis PC7. Dazu später mehr.

Die Regeln für die IACS Polar Class werden für Schiffe angewandt, deren Bauvertrag seit dem 1. Juli 2007 abgeschlossen wurde. Davor gebaute Schiffe sind formell erst einmal nicht nach Polar Class zertifiziert, auch wenn sie die Kriterien einer der Kategorien erfüllen würden.

Polar Code der International Maritime Organization (IMO)

Seit 1. Januar 2017 ist der „International Code for Ships Operating in Polar Waters“ (kurz: Polar Code) der UN-Organisation IMO in Kraft, der die Einstufung der IACS übernommen hat. Der IMO Polar Code ergänzt die internationalen Vorschriften für die Schifffahrt Regeln Solas (Sicherheit) und Marpol (Umweltschutz).

Polar Code (Bild: IMO)
Polar Code (Bild: IMO)

Der Polar Code gilt – mit ein paar Ausnahmen – weltweit für alle Schiffe ab einer Bruttoraumzahl von 500 jenseits des nördlichen und südlichen 60. Breitengrades. In der Arktis sind Island, die arktischen Regionen Skandinaviens sowie und eine daran angrenzendes Region Russlands ausgenommen.

Der Polar Code gilt auch für Schiffe, die vor Inkrafttreten des Polar Code gebaut wurden. Alle enthaltenen Bestimmungen insbesondere auch in Hinblick auf Meeres- und Umweltschutz sind seit spätestens 1. Juli 2018 verpflichtend.

Ein Schiff, das in polaren Gewässern fahren will, benötigt demnach für das Befahren von Gewässern mit bestimmten Eisbedingungen ein „Polar Ship Certificate“ (Kategorie A, B oder C). Die Einstufung in eine der drei Kategorien ergibt sich aus der Eisklasse des Schiffs, wobei der Polar Code ausdrücklich auf die Polar Class der IACS Bezug nimmt.

Sichergestellt werden muss die Einhaltung des Polar Codes, wie bei IMO-Regeln üblich, vom jeweiligen Flaggenstaat. Nationale Behörden in den Fahrgebieten sind zu Kontrollen berechtigt.

Schiffe ohne Klassifizierung mit einer Polar Class, also insbesondere ältere Schiffe, behalten ihre bisherige Eisklasse nach den jeweiligen Regeln und müssen aber für die Kategorisierung nach Polar Code vergleichbare Standards wie nach den IACS-Polar-Classes nachweisen.

Polar Code: Category und Polar Class

Der Polar Code definiert eigentlich nur drei grobe Kategorien: A, B und C. Kategorie A trifft auf Schiffe zu, die ganzjährig in polaren Gewässern fahren können. Kategorie B umfasst den Betrieb in den weniger anspruchsvollen Sommer- und Herbstmonaten – also die Zeiten, in den die meisten Expeditionskreuzfahrten stattfinden. Und Kategorie C trifft auf Schiffe zu, die wenig bis keine Berührung mit Eis haben sollten.

Kategorien A und B zeichnen sich dadurch aus, dass ein Schiff Gewässer bis zu einer gewissen Eisdicke – mit niedrigen Geschwindigkeiten von fünf bis sechs Knoten – befahren kann: PC7 bis 1,2 Meter, PC6 bis 2 Meter, PC5 und PC4 bis 3 Meter, ab PC3 theoretisch bei jeder Eisdicke.

Hin und wieder sieht man bei Kreuzfahrt-Reedereien übrigens auch Bezeichnungen wie A5 oder B6 – was bedeutet: Kategorie A mit Polar Class 5 beziehungsweise Kategorie B mit Polar Class 6. Auch „Polarklasse C“ war schon in Beschreibungen zu lesen – gemeint ist damit eigentlich „Kategorie C“ gemäß Polar Code, was für sich genommen keine Aussage über eine mögliche Eisverstärkung trifft.

Kategorie A: Polar Class 1 bis 5

In Kategorie A fallen Schiffe, die für den Betrieb in polaren Gewässern mit mindestens mittelstarkem, einjährigem Eis (0,7 bis 1,2 Meter) ausgelegt sind, das Einschlüsse von altem, mehrjährigem Eis enthalten kann. In Kategorie A fallen Schiffe mit Polar Class 1 bis 5:

  • PC1: ganzjähriger Betrieb in polaren Gewässern
  • PC2: ganzjähriger Betrieb in polaren Gewässern mit moderatem, mehrjährigem Eis
  • PC3: ganzjähriger Betrieb in polaren Gewässern mit zweijährigem Eis und Einschlüssen von mehrjährigem Eis
  • PC4: ganzjähriger Betrieb in polaren Gewässern mit dickem, einjährigem Eis und Einschlüssen von mehrjährigem Eis
  • PC5: ganzjähriger Betrieb in polaren Gewässern mit mittlerem, einjährigem Eis und Einschlüssen von mehrjährigem Eis

Kategorie B: Polar Class 6 bis 7

In Kategorie B fallen Schiffe, die nicht in Kategorie A enthalten sind und für den Betrieb in polaren Gewässern mit mindestens dünnem, einjährigem Eis (0,3 bis 0,7 Meter) ausgelegt sind, das Einschlüsse von altem, mehrjährigem Eis enthalten kann.

  • PC6: Betrieb im Sommer und Herbst in mittelstarkem (0,7 bis 1,2 Meter), einjährigen Eis und Einschlüssen von mehrjährigem Eis
  • PC7: Betrieb im Sommer und Herbst in dünnem (0,3 bis 0,7 Meter), einjährigem Eis und Einschlüssen von mehrjährigem Eis

Kategorie C: keine Polar Class, möglicherweise aber andere Eisklasse

Kategorie C bezieht sich auf alle Schiffe, die für den Betrieb in offenen Gewässern oder für Eisbedingungen ausgelegt sind, die nicht in die Kategorien A und B fallen.

Die Klassifikationsgesellschaft DNV schreibt dazu: „Dies entspricht Schiffen aller Eisklassen der baltischen Eisklassen oder ohne jegliche Eisverstärkung. Schiffe mit anderen Eisklassennotierungen müssen von Fall zu Fall bewertet werden, um ihre gleichwertige Polarschiffsklasse zu bestimmen.“

Die baltischen Eisklassen sind wie folgt definiert:

  • ICE-1A* / E4: einjähriges Eis bis 1,0 m
  • ICE-1A / E3: einjähriges Eis bis 0,8 m
  • ICE-1B / E2: einjähriges Eis bis 0,6 m
  • ICE-1C / E1: einjähriges Eis bis 0,4 m
  • ICE-C / E: leichte Eisverhältnisse
  • Keine Eisklasse: eisfreie, offene Wasserbedingungen

Andere Klassifikationsgesellschaften haben ähnliche Einstufungen gemäß der jeweils angewandten, nationalen Eisklasse-Definitionen.

Von Eisbrechern und Schiffen mit der „höchsten Eisklasse“

Vor allem in Zusammenhang mit Expeditions-Kreuzfahrtschiffen ist wichtig zu unterscheiden zwischen Schiffen mit hoher – beziehungsweise niedriger – Polar Class und den funktionalen Anforderungen für Eisbrecher.

Eisbrecher sind Spezialschiffe, die dafür vorgesehen sind, zusammenhängende Eisflächen aufzubrechen. Kreuzfahrtschiffe tun das typischerweise nicht – schon, weil das Brechen von Eis für die Passagiere ein recht unangenehmer und nach einiger Zeit nervtötender Vorgang wäre.

Selbst Ponant bezeichnet die Le Commandant Charcot mit Eisklasse PC2 bewusst nicht als „Eisbrecher“, sondern als „Polarexpeditionsschiff“.

Le Commandant Charcot (Polar Class 2) am geographischen Nordpol (Bild: Studio Ponant / Natalie Michel)
Le Commandant Charcot (Polar Class 2) am geographischen Nordpol (Bild: Studio Ponant / Natalie Michel)

Gerne bewerben Kreuzfahrt-Reedereien ihre Schiffe mit Polar Class 6 als  „höchste Eisklasse für Passagierschiffe“. Tatsächlich ist PC6 die höchste Eisklasse in der Kategorie B des Polar Codes. Es gibt aber durchaus Passagier- und Kreuzfahrtschiffe, die mit Polar Class 5 in die höchste Kategorie A fallen. „Passagierschiffe“ wird in diesem Zusammenhang also ein wenig missverständlich mit „Kategorie B“ des Polar Code gleichgesetzt.

SH Vega bei Helsinki Shipyard
SH Vega mit Polar Class 5

Aktuell neu gebaute Expeditions-Kreuzfahrtschiffe haben zumeist Polar Class 6, vereinzelt aber auch PC5, wie etwa die SH Minerva oder SH Vega von Swan Hellenic. Eine Sonderstellung hat die Le Commandant Charcot von Ponant, die für PC2 ausgerüstet ist. Laut Wikipedia gibt es bislang (Stand: 2022) kein Schiff, dass die Anforderungen für Polar Class 1 erfüllt.

Warum Eisklassen und Polar-Code-Kategorien nicht direkt vergleichbar sind

Die Kategorien nach Polar Class gemäß IMO sind nicht direkt vergleichbar mit den nationalen Eisklassen-Definitionen. Denn die Eisklassen beziehen sich vor allem auf die Eisverstärkung eines Schiffs. Bei der beurteilung der Eisbedingungen spielen Faktoren wie die Ausdehnung der Eisdecke, Dicke und Dichte des Eises sowie dessen Alter eine wichtige Rolle.

Neues Eis ist sehr dünn und kann ein Schiff nicht ernsthaft beschädigen, trägt aber beispielsweise zum Abrieb von Beschichtungen bei. Junges Eis ist mit 10 bis 30 Zentimetern deutlich dicker und nimmt an Dicke zu, bis es zum einjährigen Eis wird, das definiert ist als Eis, das in einem Winter entstanden ist. Altes oder mehrjähriges Eis nimmt sowohl an Dicke als auch an Dichte zu und ist definiert als Eis, das mindestens die Schmelzphase eines Sommers überstanden hat.

"Pancake Ice": der erste, zarte Schritt bei der Bildung von frischem Meereseis
„Pancake Ice“: der erste, zarte Schritt bei der Bildung von frischem Meereseis

Fürs Schiffsdesign spielt aber nicht nur die Widerstandsfähigkeit des Rumpfs eine wichtige Rolle, sondern beispielsweise auch ein ausreichender Schutz der Ruder und Propeller vor dem Eis und auch die Betriebsfähigkeit sämtlicher Technik bei sehr niedrigen Temperaturen, beispielsweise auch die Einrichtungen zum Löschen von Feuer und die Winden von Rettungsbooten.

Die Anforderungen des Polar Code beinhalten dagegen noch wesentlich mehr Aspekte wie beispielsweise Betriebssicherheit des Schiffs unter polaren Bedingungen, Crew-Training, Routenplanung, satellitenunabhängige Kommunikationseinrichtungen oder die Fähigkeit, längere Zeit auf externe Hilfe zu warten. Der Polar Code sieht zudem Meeres- und Umweltschutz-Kriterien vor.

Allerdings steht der Polar Code in der Kritik, weil die Regelungen insbesondere m Umweltschutz vielen nicht weit genug gehen. So konzentriert der Polar Code sich im Wesentlichen auf Verschmutzung durch Abfall sowie Öle und Treibstoffe, nicht jedoch auf Schadstoffemissionen und klimaschädliche Emissionen. Expeditionskreuzfahrt-Reedereien sind allerdings fast alle Mitglieder von Organisationen wie der IAATO (Antarktis) und AECO (Arktis), die sich selbst zu deutlich strengeren Umweltschutzmaßnahmen in diesen Regionen verpflichten. Bei der Einstufung von Schiffen gemäß Polar Code spielt das allerdings keine Rolle.

2 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

2 Gedanken zu „Was bedeuten Eisklasse, Polar Class und Polar Code für Expeditionskreuzfahrtschiffe?“

  1. Ein dickes Dankeschön für die ausführliche und fachkundige Erklärung!

    Ich bin auch schon mehr als einmal über diese Bezeichnungen (A/B/C, PC1-7, und diverse eher wage Beschreibungen) gestolpert und musste mir die Details mühsam zusammensuchen. Dank Franz gibt’s jetzt alles vereint an einem Fleck.

  2. Sehr gut und ausführlich erklärt und der Podcast dazu rundet das sehr interessante Thema klasse ab! Ich mag diese Sachthemen sowieso im Podcast sehr gerne! Daumen hoch! Absolute Empfehlung.

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