Wenn’s einen echten Geheimtipp für Kreuzfahrt-Neulinge gibt, dann diesen: eine Kreuzfahrt mit einem Seetag beginnen. Ohne Landausflug-Termin morgens einfach so lange ausschlafen, bis ein Sonnenstrahl durch den Vorhang aufs Kopfkissen trifft – oder den Sonnenaufgang allein (oder zu zweit) an der Reling genießen.
Wie vielfältig ein solcher Seetag aussehen kann, zeigt unser erster Tag auf der Mein Schiff 6, den ich fast tagebuchartig beschreiben will – auch um ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass ein Seetag alles andere als langweilig und ereignislos ist. Oft wünsche ich mir auf Kreuzfahrten sogar mehr Seetage, um etwas zur Ruhe zu kommen, statt von Landausflug zu Landausflug zu hetzen.
Als notorischer Frühaufsteher bin ich wie immer schon vor dem Sonnenaufgang draußen an Deck und das hat sich auch heute wieder gelohnt …

Fast alle Mitreisenden haben sich offenbar fürs Ausschlafen entschieden, denn selbst um 8 Uhr haben wir das Außendeck des Anckelmannsplatz-Buffetrestaurants der Mein Schiff 6 noch für uns allein. Selbstbedienung geht wegen Covid-19 nicht, aber der Unterschied ist nicht groß, denn die Crew hinter den Buffet-Theken legt auf den Teller, was man möchte.

Weil ich die vergangenen Wochen viel zu viel zu Hause vor dem PC gesessen habe, hat mein Rücken dringend ein wenig Bewegung nötig. Die Rückengymnastik in der Arena oben auf Deck 14 an der frischen Luft sitzt mir den Rest des Tages in den Muskeln, aber genau das sollte ich eigentlich viel öfter tun, dann die Verspannungen sind schon beinahe weg und der Muskelkater, der unweigerlich kommt, verschwindet nach ein paar Tagen von selbst.

Eher aus Neugierde schauen wir beim Vortrag „Geschichte der frühen Weltentdecker“ von Lektor Heribert Schaller im Theater vorbei – und bleiben hängen. Denn der Vortrag des ehemaligen Ausbilders auf der Gorch Fock ist spannend und erklärt auf kurzweilige Art viele Zusammenhänge und Hintergründe der Entdeckungsreisen beispielsweise von Vasco da Gama oder Christoph Kolumbus. Mit dem Thema habe ich mich schon oft beschäftigt, trotzdem aber einiges Neues gelernt.

Noch am Vormittag steht das erstes Highlight der Reise an: Die Mein Schiff 6 dreht eine Schleife durch die Caldera der Insel Milos, die sich hufeisenförmig um den Jahrtausende alten Vulkankrater legt.
Obwohl wir in Milos nicht an Land gehen können, ist es faszinierend, die weißen Dörfer mit teils recht bunten Haustüren am Ufer zu beobachten. Eine sehr entspannte Art des Sightseeings, vom Liegestuhl am Sonnendeck aus.

Zum Mittagessen gibt’s Oktopussalat und eine Sardellen-Oliven-Kapern-Pizza in der Osteria, dünn und knusprig wie in Neapel. Dazu ein Glas Rosé, draußen bei angenehmen 23 Grad, Sonne und einer leichten Windbrise.

Warum ich das böse Wort „Maske“ bisher noch nicht erwähnt habe? Es spielt einfach keine Rolle. Das Ding gehört dazu, stört nicht weiter und die Tage-Disziplin ist beeindruckend. Selbst auf den Sonnendecks tragen die meisten Mitreisenden Maske, weil’s viel umständlicher wäre, das Ding ständig auf- und abzusetzen. Also: erwähnt und vergessen, …

… denn bei solchen Ausblicken sind die Gedanken einfach wo ganz anders als bei der Maskenfrage.
Den Nachmittag verbringen wird damit, das ganze Schiff genauer anzusehen, zu fotografieren, Eindrücke zu sammeln. Was auf dieser Reise natürlich besonders auffällt: Die Mein Schiff 6 fühlt sich fast wie eine Privatyacht an. Es sind so wenig Passagiere an Bord (etwa 700), dass selbst am Seetag am Pool vereinzelt noch Liegen frei sind – und das bei deutlich reduzierter Liegenzahl, um ausreichend Abstand zu halten.

Wenn man nicht wüsste, dass das entweder für die Reederei auf Dauer nicht wirtschaftlich wäre oder für die Passagiere wesentlich teurer werden müsste: Das wäre die perfekte Passagierzahl auf einem Schiff dieser Größe.
Zum Abendessen gönnen wir uns das „Hanami“ und genießen Sashimi und Tim Raues Variante der Peking Ente mit einem Tisch am Panoramafenster am Heck der Mein Schiff 6 mit Blick aufs Meer bei Sonnenuntergang und wenig später den aufgehenden Mond.

Der Abend klingt aus mit einem Cocktail und Live-Musik in der Schau Bar und einer kurzen „Mama Mia“-Abbashow im Studio – mit viel Abstand zwischen den Sitzen ein ungewöhnliches Erlebnis …

… dachten wir, denn Kapitän Todd Burgman fährt ganz nahe am Kap Sounion mit dem nachts hell angestrahlten Poseidon-Tempel vorbei. Vor Jahren war ich auf einem Landausflug dort oben bei Tag.
