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Sollen wir „Urlaub“ als gesellschaftliches Konzept abschaffen?

Sollen wir „Urlaub“ im Wesentlichen abschaffen? Denn darauf läuft es hinaus, wenn wir der Auffassung sind, dass nur noch klimaschonende Reisen akzeptabel sind. Flugreisen, Kreuzfahrten, Klimaanlagen in Hotels? Ächten, abschaffen, verbieten! Dieser Gedanke führt tatsächlich zur Abschaffung von Urlaub als gesellschaftliches Konzept, wie wir ihn kennen …

Ich weiß, was Sie jetzt denken: Urlaub abschaffen, was für ein Unsinn. Das schreibt er nur, um eine reißerische Überschrift zu haben. Aber nicht so schnell. Denn wechselt man die Perspektive, erscheint Urlaub plötzlich als sehr elitäres Luxusgut. Nur ungefähr drei Prozent der Weltbevölkerung hat die Mittel und Möglichkeit, überhaupt jemals so etwas wie Urlaub zu machen. Völlig undenkbar ist die Frage also keineswegs.

Exkurs: weitere Details zu diesem Aspekt

Drei Prozent der Weltbevölkerung kann sich Fliegen leisten, 97 Prozent also nicht. Zehn Prozent der deutschen Treibhausgase stammen aus dem Flugverkehr, mehr als die Hälfte davon durch Urlaubsflüge.

Andere Zahlen sagen: Mhr als 80 Prozent der Weltbevölkerung ist noch nie geflogen, nur 11 Prozent der Menschen fliegen zumindest einmal pro Jahr, davon höchstens 4 Prozent auf inernationalen Flügen.

Will man nicht so global denken? Fast 21,9 Prozent der Deutschen konnten sich im Jahr 2022 keinen Urlaub leisten, schreibt die Welt unter Berufung auf Eurostat. Freilich ist das hier in Deutschland eine etwas andere Situation, denn hier kann sich alles schnell ändern – neuer Job und schon ist wieder ein Urlaub in Reichweite.

Aber wie komme ich überhaupt darauf, die Frage nach der Abschaffung von „Urlaub“ zu stellen?

Liest man Kommentare bei Facebook, aber auch bei großen Medien wie aktuell beispielsweise der Süddeutschen Zeitung zum neuen, weltweit größten Kreuzfahrtschiff Icon of the Seas, könnte man meinen, das Ende der Ära „Urlaub“ sei tatsächlich erreicht. Und dabei geht es noch nicht einmal um Overtourism.

Viele Menschen wollen Kreuzfahrten offenbar einfach abschaffen, weil sie klimaschädlich sind. Denkt man das jedoch konsequent einen Schritt weiter, kommt man schnell an den Punkt, an dem man das gesamte gesellschaftliche Konzept des Urlaubs infrage stellen muss.

„Ach Franz, jetzt schütt‘ doch nicht gleich wieder das Kind mit dem Bade aus. Du übertreibst“, mag der geneigte Leser denken. Meint man die typischen Klimaschutz-Argumente gegen die Kreuzfahrt aber ernst, ist das keineswegs eine Übertreibung. Warum?

Nicht nur Kreuzfahrten sind besonders klimaschädliche Urlaubsformen

Dieser Logik zufolge müsste man neben Kreuzfahrten auch Flugreisen und klimatisierte Hotels in warmen Ländern verbieten. Vor allem diese drei Elemente sind es nämlich, die Urlaub so klimaschädlich machen. Was an Urlaubsmöglichkeiten übrigbleibt, reicht aber nicht ansatzweise für alle Menschen aus, die eigentlich gerne Urlaub machen wollen würden. Und das sind, wie wir oben schon gesehen haben, ohnehin nur drei Prozent der Weltbevölkerung.

Facebook-Kommentatoren ebenso wie manche Redakteure bei Tageszeitungen benutzen den Klimaschutz oft nur als billige Ausrede, um gegen die Kreuzfahrt-Branche zu hetzen. Woher diese Ablehnung kommt, ist mir ehrlicherweise nicht klar. Wahrscheinlich entsteht sie aus einer Mischung aus Neid, Unwissen, Verdrängung und dem Drang, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Ein typisches Beispiel für dieses Phänomen ist ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 3. Februar 2024: „Der Kreuzfahrer und die grüne Botschaft“. Doch das ist eigentlich gar nicht mein Kernpunkt. Wer dennoch ausführlicheres zum Umgang vieler aktueller Medien mit der Kreuzfahrt will, klappt die …

… Details zu einem SZ-Kommentar auf, den ich als Beispiel ausführen möchte:

Die Autorin des Kommentars zitiert Andreas Humpe, Professor an der Fakultät für Tourismus an der Hochschule München: Eine einwöchige Kreuzfahrt mit der Icon of the Seas setze pro Kopf etwa 827 Kilogramm CO2 frei. Eine Einordnung dieser Zahl fehlt, deshalb liefere ich sie hier nach: Die CO2-Bilanz einer Privatperson in Deutschland liegt laut Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg im Bundesdurchschnitt bei 10,51 Tonnen.

Auch nicht erläutert wird, wie der Professor auf diese Zahl kommt. Denn sie erscheint sehr hoch, wenn man bedenkt, dass der WWF 2009 in einer Studie (PDF-Link) den CO2-Ausstoß eines Kreuzfahrtschiffs auf einer einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt mit einer relativ langen Fahrtstrecke mit nur etwas mehr als der Hälfte berechnet hat: 439 Kilogramm. Seitdem sind die jeweils neuesten Kreuzfahrtschiffe wesentlich energieeffizienter geworden, in diesem Zeitraum um etwa 40 bis 50 Prozent – der errechnete Wert für die Icon of the Seas läge also in Relation etwa dreimal so hoch. Diese große Diskrepanz sollte bei der Recherche eigentlich auffallen.

Weiterhin schreibt die SZ-Redakteurin – ich zitiere es als Beispiel, weil die Herangehensweise symptomatisch ist für viele Beiträge, ob Artikel oder Meinungsbeiträge auch in renommierten Medien: nach Nennung der CO2-Brechnungen des Professors Andreas Humpe fährt sie fort mit „Auch ohne ein Zahlengenie zu sein, ist klar, dass da viel zusammenkommt, sehr viel. All die Flüge nach Miami und zurück. All die Transfers zu den Inseln bei den Zwischenstopps auf St. Kitts, St. Thomas und dem konzerneigenen Privateiland „Perfect Day at Coco Cay“. All der Strom für den schwimmenden Vergnügungspark.“

 Was für ein – mit Verlaub – irreführender Mist:

  • Der Strom für den schwimmenden Vergnügungspark bereits bei den zuvor zitierten CO2-Emissionen des Schiffs enthalten, fällt also nicht zusätzlich an, anders als die aufgeführten Flüge. Die Autorin wirft also zwei unterschiedliche Dinge in einen Topf, um ihre Argumente aufzuplustern.
  • Nebenbei bemerkt, fliegt der weitaus größte Teil der Passagiere zur Icon of the Seas eben nicht Langstrecke von Europa, wie es hier suggeriert wird, sondern reist aus den USA an, viele davon aus relativ nahegelegenen Bundesstaaten.
  • Und dann kommt noch schlampige Recherche hinzu, wenn sie behauptet, es gäbe „Transfers“ zwischen dem Schiff und den angelaufenen Karibikinseln. Solche Transfers gibt es aber gar nicht, denn das Schiff legt in diesen Häfen jeweils an einer Pier an. Die Passagiere gehen direkt an Land.

Das ist unsaubere, oder womöglich noch schlimmer: absichtlich irreführende Argumentation, die ausdrücklich auch in einem Kommentar nichts verloren hat. Meinung kann deutlich und kontrovers sin, aber die zugrundeliegenden Fakten müssen stimmen.

Aber stellen wir ganz nüchtern fest: Ein Kreuzfahrtschiff ist in Hinblick auf Klimaschutz problematisch – wie vieles andere in unserem Alltag ebenfalls. Bei aller Einseitigkeit und mangelnder Faktentreue in vielen Medien und trotz aller Fortschritte und technischer Verbesserungen in der Kreuzfahrt gibt es daran keinen Zweifel.

Konstruktive Vorschläge? Fehlanzeige!

Das eigentliche Problem jedoch wird klar, wenn man das Denken an dieser Stelle nicht einstellt und so tut, als ließe sich das Klimaproblem wesentlich verbessern, würde man die Kreuzfahrt abschaffen – oder was auch immer das Ziel dieser Berichterstattung und Kommentare sein mag. Denn das lassen die Kommentatoren nämlich geflissentlich offen. Konstruktive Vorschläge? Fehlanzeige.

Recherchiert man ein wenig weiter, stellt man schnell fest: Der Aufenthalt in einem klimatisiertes Ressort-Hotel in einem warmen Urlaubsland ist nicht weniger problematisch als eine Kreuzfahrt, wenn es um den CO2-Ausstoß geht. Und sobald man irgendwo hinfliegt, hat der Flug immer den größten Anteil an den klimaschädlichen Emissionen, die man in diesem Urlaub verursacht. Schon ein Flug nach Mallorca und zurück verursacht pro Passagier deutlich mehr CO2 als eine einwöchige Kreuzfahrt auf der Icon of the Seas.

In einer Studie des WWF zu verschiedenen Urlaubsformen (PDF-Link) gibt dazu einen guten Überblick, auch wenn sie schon etwas älter ist, von 2009, und sich seitdem einiges verändert hat, insbesondere übrigens in der Kreuzfahrt.

Wenn man es ernst meint mit klimaschonendem Urlaub und deshalb – in diesem Kontext völlig zurecht – Kreuzfahrten, klimatisierte Hotels und Flugreisen ablehnt, tut man etwas Fundamentales, das enorme gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen würde:

Man der stellt das Konzept „Urlaub“ als solches in Frage.

Nur spricht das niemand aus, der so tut, als würde die Abschaffung von Kreuzfahrten & Co. das Problem lösen; realisiert vielleicht auch gar nicht die Tragweite dieser Sichtweise.

Was übrig bleibt, reicht nicht für alle Urlaubswilligen

Der klimafreundliche Urlaub im Odenwald, in den Alpen oder an der Ostsee mit Anreise per Bus oder Bahn funktioniert längst nicht für alle. Diese Regionen sind nicht in der Lage, die vielen Urlauber aufzunehmen, die hinzukämen, wenn wir alle Flugreisen einstellen.

Im Ergebnis würden also (relativ geringes) Angebot und (enorme) Nachfrage den Preis für Urlaub so lange nach oben treiben, bis nur noch diejenigen übrigbleiben, die sich diese dann horrend teuren Reisen noch leisten können.

Der Klimaschaden fände fatalerweise trotzdem statt. Denn immer mehr Menschen in sehr großen Ländern mit wachsendem Wohlstand, etwa China, Indien oder Indonesien, werden weiterhin klimaschädlichen Urlaub machen, weit fliegen, Kreuzfahrten buchen und in klimatisierten Hotels unterkommen.

Unabhängig davon, dass wir das ohnehin nicht unterbinden könnten: Mit welchem Recht sollten wir den Menschen in diesen Ländern die Reisen verbieten, zu denen sie nun endlich wirtschaftlich in der Lage sind, nachdem wir selbst mit unserem Reiseverhalten das Klima schon jahrzehntelange geschädigt haben?

Es reicht nicht mehr, den Kopf in den Sand und mit dem Finger auf andere zeigen

Wir alle müssen mehr Verantwortung übernehmen beim Umgang mit der enormen Herausforderung der Klimakrise. Es reicht einfach nicht mehr, mit Fingern auf andere zu zeigen.

Es reicht nicht, immer nur vorurteilsbehaftet auf alles zu schimpfen, was uns persönlich eh‘ nicht betrifft. Es reicht nicht mehr, immer nur über Symptome und Auswüchse zu sprechen, Alibimaßnahmen zu fordern und die dann noch nicht einmal ernsthaft umzusetzen. Es reicht nicht mehr – um nur ein Beispiel zu nennen – den Landwirten die Schuld an allen möglichen Umweltproblemen zuzuschieben, aber nicht bereit zu sein, auch nur ein paar Cent mehr für landwirtschaftliche Produkte zu bezahlen.

Wir müssen Verantwortung übernehmen für ein gesamtgesellschaftliches Konzept und einen Wandel, der Klimaschutz ernsthaft möglich macht, statt immer nur eine Sau nach der anderen durchs Dorf zu treiben und dabei immer nur die gerade auffälligsten Symptome mit Hass zu überziehen.

Ich erwarte diese Verantwortung insbesondere von Menschen und Organisationen, die gesellschaftlich relevant und einflussreich sind und eine klar definierte Aufgabe in einer Demokratie haben. Ich erwarte es von Politikern, Verbänden und besonders von den Medien, deren Kernaufgabe es ist, ein ausgewogenes Bild unserer Welt zu zeichnen, alle Argumente zu hören, Zusammenhänge aufzuzeigen und Hintergründe zu erläutern.

Das dies – zumindest subjektiv empfunden – immer seltener passiert, ängstigt mich. Wir verlieren den gesellschaftlichen Konsens und die Fähigkeit, demokratische Entscheidungen wohlinformiert zu treffen, wenn es immer normaler wird, dass eben nicht mehr hinterfragt wird, keine Zusammenhänge mehr aufgezeigt, Gegenpositionen ernsthaft geprüft, Hintergründe erläutert werden.

Also doch: Urlaub in seiner bisherigen Form abschaffen

Nein, ausdrücklich nicht. Ob wir nur die Kreuzfahrt allein oder gleich den Urlaub als solchen abschaffen, ändert nichts an dem bestehenden Verhaltensmuster, das nicht zum Ziel führt: sich auf vermeintlich einfache Symptombekämpfung stürzen und dabei das eigentliche Problem verdrängen.

Es ist kompliziert, es ist anstrengend, es geht nur langsam voran, es muss unglaublich viel kommuniziert und überzeugt werden: Ja, es muss überhaupt erst einmal wieder mehr Vertrauen in politisches Handeln entstehen. Aber ohne wird es nicht gehen.

Und das schon allein deshalb, weil Urlaub eben nicht nur Klimaschaden bedeutet. Urlaub hat viel mehr Facetten als nur diese eine Scheuklappen-Dimension:

  • Urlaub und Reisen bedeutet die dringend nötige Erholung von einer immer anstrengenderen und schnelleren Arbeitswelt. Eine Abschaffung würde also unsere Produktivität ebenso wie unser Gesundheitssystem belasten.
  • Am Tourismus hängt eine enorme Wirtschaftsleistung und begründet damit einen Teil unseres Wohlstands. Also braucht es intelligente, vorausschauende und systematische Lösungen, nicht einfach nur „abschalten“. Nehmen wir dieses Geld lieber, um den Wandel mitzufinanzieren.
  • Reisen verbindet und öffnet den Blick für andere Kulturen und Weltbilder. Damit bekämpft Reisen auch Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenhass. Das ist in den aktuellen Zeiten wichtiger denn je.  

8 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

8 Gedanken zu „Sollen wir „Urlaub“ als gesellschaftliches Konzept abschaffen?“

  1. Danke Franz für diesen (wieder einmal) gut recherchierten Bericht! Hast du versucht die betreffende Redakteurin der SZ mit diesen Fakten zu konfrontieren? Eine Stellungnahme einer der VerfasserInnen solcher Berichte wäre wirklich interessant – vielleicht würde das auch dazu anregen beim nächsten Mal mehr nach der geforderten journalistischen Sorgfaltspflicht vorzugehen und eventuell könnte man ja sogar zusammen einen wirklich einmal objektiv recherchierten Bericht verfassen in dem man alles in den richtigen Kontext stellt…

  2. @Wolfgang: Nachdem der SZ-Kommentar nur ein Randaspekt des Beitrags ist und auch nur als Beispiel dienen soll für viele, ähnliche Beiträge, habe ich das nicht weiter verfolgt. Jeden einzelnen auch nur Randaspekt eines solchen Textes bis ins Detail nachzugehen, übersteigt das, was ich mit meinen Ressourcen leisten kann. Deine Hoffnung, damit etwas bewirken und zu verändern, teile ich aus meiner Erfahrung heraus leider nicht – auch wenn es sicher vereinzelt denkbar wäre. Ich will daraus auch gar keinen Vorwurf an einen konkreten Journalisten-Kollegen ableiten (weshalb ich oben auch nicht den Namen der Autorin genannt habe). Das ist insgesamt ein recht komplexes Thema, worüber man ein ganzes Buch schreiben könnte (Zeit- und Leistungsdruck und Kombination mit Personalmangel in den Redaktionen, veränderte Journalisten-Ausbildung, Online-Prioritäten, Verhältnis zu Anzeigenkunden, Leser-Erwartungen, usw. usw. – um nur grob anzudeuten, was damit alles zusammenhängt).

  3. Ich erwarte schon, dass sich die Branche in absehbarer Zeit um umweltschonendere Kraftstoffe bemüht, LNG nicht als Alibi im Headliner führt, aber konkret Schweröl fährt, Müllvermeidung erweitert und Landstrom verpflichtend annimmt. Das würde schon einiges an Kritik aus den selten vorhandenen Segeln nehmen.

  4. @Pe: Das sehe ich absolut genauso und habe ich ohnehin vorausgesetzt, weil es so selbstverständlich ist (bzw. sein sollte).

    Allerdings ist das Ganze etwas komplexer, als es auf ersten Blick wirkt. Umweltschonende Kraftstoffe existieren im Grund ja bereits: grünes Methanol, grüner Wasserstoff, klimaneutral erzeugtes Bio-Gas oder Bio-Gas (als 1:1-Ersatz für LNG), E-Fuels und Bio-Diesel. Zum Stand der Dinge, siehe auch unsere Video-Serie zu diesem Thema: https://www.cruisetricks.de/video-serie-klima-und-umweltschutz-in-der-kreuzfahrt-fakten-und-hintergruende/

    Schiffe, die LNG nutzen können, tun das übrigens in der Regel auch – schon, weil LNG inzwischen sehr günstig zu haben ist, die Nutzung also auch den Reedereien Geld spart. Lediglich ganz am Anfang des Ukraine-Kriegs, als die Preise in den Himmel schossen, sind Reedereien vorübergehend für wenige Wochen auf Marinediesel (nicht Schweröl) ausgewichen, aber schnell wieder zu LNG zurückgekehrt

    Die Reedereien würden die alternativen, klimaschonenden Kraftstoffe auch gerne einsetzen, wenn es denn davon ausreichende Mengen zu wirtschaftlichen Preisen gäbe (und diese Kraftstoffe dort angeboten würden, wo die Schiffe sie brauchen – LNG beispielsweise, eigentlich längst etabliert und in großen Mengen vorhanden, gibt es bis heute z.B. im Süden Argentiniens und Chiles nicht; egal, wie sehr man dort Schiffe hinschickt, die damit in die Antarktis fahren könnten, sie kriegen den Treibstoff dort einfach nicht).

    Die Kreuzfahrt ist, auch wenn es nicht so wirkt, ein ganz kleines Licht in der Schifffahrt – 400 Schiffe im Vergleich zu rund 65.000 Fracht- und Containerschiffen. Welche umwelt-/klimafreundlichen Treibstoffe sich am Markt durchsetzen werden und welche breit verfügbar sein werden (weil es sich für die Produzenten lohnt, sie anzubieten – Investitionen für entsprechende Produktionsanlagen gehen in die Milliarden), kann die Kreuzfahrt kaum beeinflussen.

    Letztlich läuft viel darauf hinaus, was auch der Nabu kürzlich wieder recht deutlich gesagt hat: Gesetzliche Regulierung (idealerweise auf mindestens EU-Ebene, weil es dann entsprechende Wirkung zeigt) würde a) Klarkeit und damit Investitionssicherheit für Reedereien wie Kraftstoffproduzenten schaffen und b) gleiche Marktbedingungen schaffen, sodass einzelne, die ausscheren würden, keinen wirtschaftlichen Vorteil aus Klima-Ignoranz ziehen könnten.

    Und tatsächlich passiert gerade auf EU-Ebene dazu auch schon sehr viel (siehe: https://www.cruisetricks.de/eu-beschliesst-landstrompflicht-in-der-schifffahrt-und-forciert-einsatz-nicht-fossiler-kraftstoffe/ ), u.a. auch Landstrom-Abnahme. Dadurch wird auch endlich mehr Dynamik in den Aufbau von Landstromanlagen kommen. Denn sehr viele Schiffe könnten Landstrom längst abnehmen, es wird in den Häfen aber gar nicht angeboten.

    Bei Müllvermeidung (und sehr konsequente Trennung und Recycling) liegt die Kreuzfahrt übrigens ohnehin schon lange weit vor den meisten Einrichtungen an Land, schon weil es zum größten Teil schon lange international vorgeschrieben ist.

  5. Nur als kleine Anmerkung: Kreuzfahrten „okay“ finden, weil andere Urlaubsformen auch einen Flug und Klimaanlagen beinhalten, ist eine fragwürdige Argumentation. Denn ein Kreuzfahrtschiff ist für Deutsche (abgesehen von ein paar Skandinavien/Nord- und Ostseerouten) eigentlich immer auch mit einem Flug verbunden und das Kreuzfahrtschiffe auch Klimaanlagen haben, brauch ich hier ja wohl auch niemanden zu erklären. Kreuzfahrtschiffe verbinden halt die verschiedenen negativen Aspekte und bringen dazu noch weitere, die man bei Landurlauben auch hat.

    Das Problem wird sicherlich nicht gelöst, wenn es keine Kreuzfahrtschiffe mehr gäbe. Aber ein Baustein wäre es halt schon. Da ich aber Gesellschaftlich nicht sehe, dass es eine Mehrheit gibt, ALLE nötigen Schritte zu gehen, um die Probleme zu lösen, bin ich auch nicht bereit auf meinen „kleinen Luxus“ zu verzichten.

  6. @Michael: Anmerkung zu „okay finden“ – So war es auch nicht gemeint. Was ich sagen will ist: Wir müssen aufhören, immer NUR auf andere zu zeigen und bereit sein, gesellschaftlich einen Wandel zu akzeptieren. Leider fechten wir aber immer noch stark polarisierte Grabenkämpfe aus, sobald irgendetwas, das irgendwie mit Klimaschutz zu tun hat, irgendwen auch nur ein paar Cent kostet. Bestes Beispiel dafür ist gerade die Tierwohl-Angabe (die grundsätzliche Sinnhaftigkeit sei hier einmal außen vor): Da würden 100 Gramm Fleisch 4 Cent (!) mehr kosten, aber sofort geht ein großer Aufschrei durch Deutschland, dass man sich jetzt da Essen angeblich nicht mehr leisten könnte, würde das eingeführt.
    Das Argument „Kreuzfahrt sei schonmal ein guter Anfang“ ist aber eben wieder nur ein „auf andere Zeigen“ … sollen die man anfangen (weil es mich selbst bequemerweise erstmal nicht betrifft).

    Der Vollständigkeit halber noch angemerkt: Es sind durchaus sehr viele Kreuzfahrten für Deutsche ohne Flug möglich, da es sehr viele Abfahrten in Hamburg, Warnemünde, Bremerhaven und Kiel gibt und im Süden fahren viele Passagiere mit Auto, Bus oder Zug nach Triest, Venedig/Marghera, Savona, Genua etc. zum Schiff. Und da ist dann ja durchaus auch ein Ansatz, Kreuzfahrtreisen individuell weniger klimaschädlich zu machen, indem man eben eine Kreuzfahrt wählt, zu der man nicht fliegen muss.
    Stichwort Klimaanlage: Das ist eben leider immer eine der Missverständnisse bei der Betrachtung unterschiedlicher Urlaubsformen. Bei den jeweils berechneten CO2-Mengen ist die Klimaanlage (wie auch Küchen, Entertainment etc.) in den CO2-Zahlen bei der Kreuzfahrt ja schon eingerechnet. Bei Landurlauben muss man all diese Einzelposten zusammenzählen, weil das CO2 da an verschiedenen Stellen entsteht, während es am Kreuzfahrtschiff halt quasi zentral von den Schiffsmaschinen erzeugt wird, die aber eben die komplette Versorgung des Schiffs übernehmen, nicht nur den Antrieb.

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