Die Proteste gegen Overtourism werden immer lauter, längst nicht mehr nur gegen die Kreuzfahrt. Einheimische ertragen die Touristenmassen nicht mehr. Und immer häufiger können sie sich kaum noch das tägliche Leben leisten. Warum der Widerstand gegen Touristen immer größer wird – und warum die Kreuzfahrt sogar zur Lösung einiger Overtourism-Probleme beitragen könnte.
Längst macht nicht mehr nur Venedig Schlagzeilen. Offener Widerstand gegen den Massentourismus formiert sich auf den Kanarischen Inseln, in Amsterdam, Barcelona und Malaga, in Neuengland und Alaska, um nur die wichtigsten zu nennen. Betroffen sind auch so entlegene Orte wie der Mount Everest in Nepal, der Fuji in Japan und sogar die Antarktis.
Die Bewohner von Juno in Alaska verlangen einen Kreuzfahrtschiff-freien Samstag. In Griechenland denkt sogar der Premierminister laut über Einschränkungen für den Kreuzfahrttourismus insbesondere auf Mykonos und Santorini nach.
In der Kreuzfahrt machte zuletzt Amsterdam Schlagzeilen: Ab 2026 will die niederländische Stadt nur noch ein Kreuzfahrtschiff am Innenstadt-Terminal anlegen lassen und bis 2035 sollen die Schiffe dort ganz verschwinden.
Mit einer Aufsehen erregenden „stay away“-Kampagne hatte Amsterdam im Frühjahr 2023 aber auch schon anderen Tourismusformen Grenzen aufgezeigt: Vor allem jungen, britischen Männern machte die Stadt unmissverständlich klar, dass sie als Touristen unerwünscht sind.
Abwehrmaßnahmen von Städten und Destinationen
Städte, Inseln, Destinationen suchen nach Wegen, die Touristenströme zu reduzieren, zu kanalisieren oder zumindest zu besteuern, um die entstehenden Schäden ausgleichen zu können. Kurtaxen, Übernachtungssteuern und Ähnliches gibt es schon lange und in sehr vielen Städten.
Auch Airbnb-Übernachtungen werden immer stärker reguliert (Beispiele: Amsterdam, Barcelona) oder ganz verboten. Allenthalben werden Konzepte erarbeitet, um den Massentourismus in den Griff zu bekommen.
Der Erfolg hängt allerdings von mehreren Faktoren ab, allen voran: Gibt es einen echten, politischen Willen, den Massentourismus einzudämmen? Das Beispiel Venedig zeigt, dass wirtschaftliche Interessen selbst bei massiven Problemen oft die Oberhand behalten. Meist sind die finanziellen Verflechtungen komplex und die politischen Entscheidungsträger oder ihnen nahestehende Wirtschaftsvertreter profitieren vom Massentourismus deutlich mehr, als sie darunter leiden.
Und so fallen Entscheidungen dann halbherzig aus wie bei der seit 2024 erhobene Steuer für Tagestouristen in Venedig, die nicht dazu geeignet ist, die Zahl der Touristen zu reduzieren. Auch eine potenzielle Erhöhung von fünf auf zehn Euro im Jahr 2025 wird keine Besserung bringen, nur mehr Geld für eine Kommune, deren größter Teil der Wählerschaft am Festland lebt und von den Touristenmassen in der Lagunenstadt nicht direkt betroffen ist.
Was Destinationen gegen den Overtourismus unternehmen – einige Beispiele überwiegend Kreuzfahrt-spezifisch:
Stadt/Destination | Maßnahmen | seit |
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Amsterdam | Steuer für Kreuzfahrttouristen von 8 Euro pro Tag; ab 2026 nur noch ein Schiff am PTA-Terminal in der Innenstadt, Landstrompflicht ab 2027 und von 2035 an komplette Verlagerung des Terminals weg von der Innenstadt. | 2019 / 2026 |
Barcelona | keine Touristengruppen mit mehr als 15 Personen in der Altstadt; Schließung des Terminals am World Trade Center und Beschränkung auf sieben Schiffe pro Tag | 2022 / 2023 |
Bar Harbor, Neuengland | Kreuzfahrt auf 1.000 Passagiere pro Tag beschränkt | 2022 |
Bergen, Norwegen | Beschränkung auf vier Kreuzfahrtschiffe und 8.000 Passagiere täglich | 2018 / 2022 |
Dubrovnik | Begrenzung der Kreuzfahrtschiffe pro Tag auf zwei und der Passagiere auf zusammen maximal 5.000 | 2019 |
Santorini | Begrenzung der Kreuzfahrt-Passagiere pro Tag auf 8.000; Bestrebungen zu deutlich stärkeren Einschränkungen. | 2019 |
Palma de Mallorca | 2022 |
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Venedig | saisonal gestaffelte Steuer für Tagestouristen von 5 bis 10 Euro; geführte Gruppen auf maximal 25 Personen beschränkt; keine größeren Kreuzfahrtschiffe mehr an den Venedig-Terminals (seit August 2021) | 2021 / 2024 |
Erste Versuche, aber noch keine tragfähige Lösung
Seit der Denkpause während der Corona-Pandemie kommt Bewegung in die Sache. Doch sind die bisherigen Maßnahmen selbst in so konsequenter Form wie in Amsterdam erst der Anfang. Sie sind erste Versuche und noch keine tragfähige Lösung für den weiter zunehmenden Massentourismus.
Es wollen viel mehr Menschen Urlauber machen, als die Zielorte aufnehmen können. Und es werden immer mehr, denn in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie China oder Indien eröffnet sich die Möglichkeit zu reisen gerade erst für ein immer größere Zahl von Menschen.
Die aktuellen Maßnahmen sind da nur eine Symptombekämpfung eines Problems, das den gesamten Tourismus verändern wird und verändern muss – die Kreuzfahrt eingeschlossen.
Unangenehme Wahrheit: Wir müssten unser Urlaubsverhalten ändern
Wir müssten unser eigenes Urlaubsverhalten ändern und den Urlaubern aus anderen Teilen der Welt Lösungen aufzeigen. Doch wie?
Warum soll jemand freiwillig auf Venedig verzichten, während alle anderen weiter dorthin fahren? Alle Freunde posten Selfies aus Venedig, man selbst jedoch knipst einen Kirchturm irgendwo. Wunderschön, aber keiner der eigenen Freunde kennt den Ort.
Ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung hat schon 2017 einen interessanten Aspekt auf den Tisch gelegt: „Selfie-Tourismus“ nimmt demnach stark zu. Oder ersetzt das Selfie nur die Postkarte und die Diashow von früher? Fakt ist jedenfalls, dass die Gesamtzahl der Touristen stetig zunimmt und sich nicht etwas gleichmäßig verteilt, sondern auf wenige Hotspots konzentriert.
Der SZ-Beitrag vergleicht das mit Marken-Ware: „Man“ trägt keine Sonnenbrille, sondern eine Ray Ban – auch wenn es hunderte anderer Sonnenbrillen gibt, die genauso gut vor UV-Licht schützen. Und „man“ fährt eben nach Barcelona, weil alle da hinfahren – und nicht in gleichem Maße beispielsweise nach Bilbao, obwohl das ebenfalls eine wunderbare Stadt ist.
Warum fahren Menschen eigentlich in den Urlaub?
Warum fahren Menschen in den Urlaub? Um sich vor ihren Facebook-Freunden mit hippen Destinationen und coolen Selfies vor bekannten Plätzen zu produzieren? Oder um sich selbst etwas Gutes zu tun, sich zu erholen, eine andere Kultur und fremde Menschen kennenzulernen, Neues zu entdecken?
Ich meine diese Fragen nicht despektierlich. Jeder sollte tun dürfen, was er möchte. Vielleicht zeichnet sich durch diesen Selfie-Tourismus sogar ein Lösungsansatz für das Grundproblem des Massentourismus ab.
Künstliche Welten könnten einen Teil des Massentourismus aufnehmen. Vielen Selfie-Touristen dürfte es nicht wirklich wichtig zu sein, ob sie zum Original reisen oder zu einem Nachbau, in eine künstlich geschaffene Welt. Menschen, die ehrliches Interesse an einer Stadt wie Venedig haben, an ihrer Geschichte, ihrem Flair, ihrer Kultur – sie hätten dann wieder eine Chance, ebenso wie die Stadt selbst und ihre Bewohner.
Künstliche geschaffene Welten
Warum sollten Menschen künstliche Welten akzeptieren? Sie müssten nur genauso „hip“ und „in“ sein, bequemer erreichbar, vielleicht etwas billiger – und schon ist es fürs Selfie egal, ob der Campanile nur ein Nachbau ist. Eine Zip-Line quer über den Fake-Markusplatz und Rafting-Adventure am künstlichen Canal Grande (den man dann auch „Canale Grande“ mit „e“ nennen könnte) wären für dieses Publikum viel attraktiver als unkalkulierbares Hochwasser und die Unannehmlichkeiten alter Gemäuer historischer Hotels.
Vielleicht kann auch Virtual Reality dabei helfen: Ein „Enhanced Markusplatz Experience“, bei dem man viel mehr erleben kann, als nur in der Gruppe mit Regenschirm-Führerin herumzustehen und sich von den Tauben und Möwen von oben – mit Verlaub – anscheißen zu lassen.
Vielleicht sollte die Stadt Venedig selbst ein Unternehmen gründen, das eine Kopie Venedigs in China baut, und noch eines in Indien. Und vielleicht auch nochmal irgendwo in Osteuropa? Dort, wo mehr Touristen herzlich willkommen wären, egal ob Selfie-Touristen oder andere.
Ganz so abwegig, wie der Gedanke zunächst klingt, ist er übrigens schon aktell nicht. Bei einer Umfrage der Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) unter Deutschland-Touristen landeten auf den ersten drei Plätzen künstliche geschaffene Sehenswürdigkeiten: Das Miniatur Wunderland in Hamburg sowie die Freizeitparks Europapark Rust und Phantasialand Brühl. In den Top-10 sind auch das Deutschlandmuseum in Berlin, der Nürburgring und die Therme Erding. Fünf der Top-10-Ziele sind also künstlich geschaffene Attraktionen.
Das ist doch alles kein Urlaub mehr …
… werden viele entgegnen. Recht haben sie – aber eben nur aus ihrer persönlichen Sicht. Denn wenn jemand im Urlaub vor allem „Fun“ sucht, das Selfie vor dem Campanile und das gewohnte Wiener Schnitzel, dann sind künstliche Welten viel besser geeignet: komfortabel, ohne Ecken und Kanten, überall perfektes Wlan. Keine Einheimischen mit „Tourists go home“-Schildern oder Wasserspritzpistolen, um Touristen aus den Cafés zu vertreiben, wie Anfang Juli 2024 in Barcelona geschehen.
Die Kreuzfahrt zeigt da einen Weg auf: Die ganz großen, neuen Schiffe sind Destination für sich. Passagiere müssen nicht mehr in jedem Hafen an Land gehen, um etwas zu erleben.
Royal Caribbean International demonstriert gerade mit Mega-Kreuzfahrtschiffen wie der Icon of the Seas oder der Utopia of the Seas, wie erfolgreich Urlaubsprodukte sein können, die kein Urlaubsziel im klassischen Sinne mehr darstellen. Die Schiffe sind schon für sich höchst attraktiv und integrieren sich nahtlos mit der Privatinsel Coco Cay in den Bahamas, auf der sich die künstlich geschaffene Welt des Schiffs an Land fortsetzt, ohne einheimische Strukturen zu zerstören. Vielmehr schaffen sie sogar zusätzliche Arbeitsplätze für Einheimische auf bewohnten Nachbarinseln, ohne dass diese Insel vom Tourismus behelligt würden.
Dieses Modell zeigt, dass künstlich geschaffene Urlaubswelten sehr erfolgreich sein können und womöglich einen Teil des Massentourismus kanalisieren kann.
Massentourismus führt zum Verlust von bezahlbarem Wohnraum
Wenn wir schon bei unangenehmen Wahrheiten sind: Wer den Anspruch erhebt, ganz authentischen Urlaub abseits der Touristenströme zu machen und sich dafür via Airbnb & Co. in Privatwohnungen quasi Einheimischen-Status erkauft, betreibt mitnichten einen nachhaltigen Individualtourismus.
Man belügt sich selbst, wenn man glaubt, mit Airbnb nichts mit Massentourismus zu tun zu haben. Denn das Gegenteil ist der Fall: Massenhaft vermietete Privatwohnungen treiben die Mietpreise für die Einheimischen in die Höhe, fördern die Gentrifizierung traditioneller Stadtviertel, verändern alles.
Obwohl vermeintliche Individualtouristen den Massentourismus so verabscheuen, tragen sie dessen Probleme auch noch ganz tief in die Gegenden und Stadtviertel hinein, die bislang halbwegs davon verschont geblieben sind.
Der Trend zu vermeintlich viel nachhaltigerem, weil integrativem Tourismus führt in Wirklichkeit zu noch viel größeren Problemen und treibt die Einheimischen zunehmen zu Großdemos auf die Straßen wie zuletzt im April 2024 auf den Kanarischen Inseln, wo allein in Teneriffa je nach Quelle zwischen 30.000 und 80.000 Einheimische gegen den Massentourismus auf die Straße gingen. Eine Reportage in der Taz mit dem Titel „Massentourismus auf Mallorca: Vertreibung aus dem Urlaubsparadies“ beschreibt die Situation auf Mallorca sehr anschaulich.
Gemessen an den gesamten Touristenzahlen machen privat vermietete Touristenunterkünfte übrigens selbst in Barcelona, Nr. 3 der Airbnb-Rangliste in Europa, nur einen Anteil von etwas über 23 Prozent der Übernachungen aus. Beide sind weder die Wurzel des Übels noch würde ihre Abschaffung das Problem des Overtourismus lösen.
An bestimmten Orten und in bestimmten Konstellationen würde eine deutliche Beschränkung von privaten Vermietungen einige lokale Problem aber signifikant mildern. Aber beispielsweise die Kanarischen Inseln zeigen, dass Gentrifizierung auch durch zu viele Hotelanlagen stattfinden kann.
Kreuzfahrt als Teil der Lösung
Ein Aspekt kommt in der Diskussion um Overtourismus bislang kaum vor: Die Kreuzfahrt könnte sogar Teil der Lösung sein. Nämlich in Regionen, wo der Tourismus zu einer Gentrifizierung der Städte führt. Dort finden Einheimische keinen bezahlbaren Wohnraum mehr, weil zu viele Wohnungen via Airbnb & Co privat an Touristen vermietet werden und damit die Mietpreise ins Unerschwingliche ansteigen.
Mit zu wenig echten Einwohnern lohnen sich in solchen Vierteln keine Lebensmittelläden und andere lokale Infrastruktur mehr, die Städte sterben am Tourismus. Besonders deutlich ist das in Venedig, aber auch an Orten, wo man das zunächst nicht vermuten würde wie etwa auf Teneriffa.
Auch wenn große Kreuzfahrschiffe sehr viele Menschen auf einmal bringen: Den Wohnraum bringen sie mit, die Kreuzfahrttouristen benötigen keine Unterkunft. Diese Aspekt wird der Kreuzfahrt zwar oft vorgeworfen, weil diese Touristen (vermeintlich) nur wenig Geld an Land ausgeben.
Doch an Orten, denen Gentrifizierung droht, sollten Kreuzfahrtschiffe genau aus diesem Grund sogar willkommen sein. Denn sie bringen Touristen und damit nicht unerheblich Umsatz, ohne den lokalen Wohnungsmarkt zu belasten. Nicht für alle, aber für manche Städte könnte es sich daher lohnen, explizit auf Kreuzfahrt-Tourismus zu setzen.
„Guter“ und „schlechter“ Tourismus – die Diskussion führt pauschal zu nichts
In der gesellschaftlichen Diskussion um Overtourismus ist die Frage müßig, welche Formen von Tourismus „gut“ oder „schlecht“ sind. Zu vielfältig sind die Probleme, die Massentourismus am jeweiligen Ort, in der jeweiligen Konstellation verursachen und in welcher wirtschaftlichen und sozialen Situation sich die jeweilige Region befindet.
Ob nun Kreuzfahrtpassagiere mehr Geld in die Städte bringen als Rucksacktouristen, ob Geschäftsreisende weniger Schaden anrichten als Urlauber, ob das Geld fair und gleichmäßig verteilt ist oder nur einzelnen Großunternehmen vor Ort davon profitieren und die Bevölkerung nichts davon hat – das alles trifft nicht den Kern des Problems: Touristen-Destinationen sind zu einem knappen Gut geworden und es fehlen die (Markt-)Mechanismen, um geregelt damit umzugehen.
Die Frage, welche Touristen soll man hereinlassen, welche man loswerden sollte, wird aber eine wichtige Rolle spielen, wenn es um Maßnahmen und Strategien einzelne Destinationen geht. Denn welche Form von Tourismus jeweils „gut“ oder „schlecht“ ist, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab.
Auf Mykonos und Santorini könnte das beispielsweise bedeuten, die Kreuzfahrt deutlich einzuschränken. Denn dort bewertet man den Luxus-Tourismus, der viel Geld auf die Inseln bringt, inzwischen recht hoch. Und Ultraluxus-Urlauber fühlen sich zunehmend von den Touristenmassen gestört, von denen vielen, wenn auch nicht alle, von Kreuzfahrtschiffen kommen.
Wie lässt sich Overtourismus zu verträglichem Tourismus wandeln?
In meinem Meinungsbeitrag „Overtourism lässt sich nur mit modernem Tourismus-Management in den Griff bekommen“ habe ich die Argumente in der Diskussion um Overtourismus zusammengefasst und über Lösungsansätze geschrieben.
Und unter dem Aspekt Klimawandel und Tourismus frage ich in einem anderen Beitrag provokativ: „Sollen wir Urlaub als gesellschaftliches Konzept abschaffen?“ Das Overtourismus-Problem ließe sich damit, quasi nebenbei, auch in den Griff bekommen.
Es läuft immer wieder auf etwas hinaus, das man eigentlich nicht wollen kann: „Echte“ Erlebnisse kosten viel Geld und wer sich das nicht leisten kann, muss mit dem (vermeintlich) Zweitbesten, also mit künstlichen Welten zufrieden sein, mit Freizeitparks, auf grüner Wiese hochgezogenen Massentourismus-Destinationen. Wie das aussehen kann, zeigen moderne Themenparks ebenso wie große Kreuzfahrtschiffe und auch der eine oder andere künstlich geschaffene Kreuzfahrt-Hafen in der Karibik.
Aber ist das eigentlich so schlimm? Schließlich kann sich auch nicht jeder einen Porsche leisten, nicht jeder wohnt in einem 250-Quadratmeter-Penthouse, nicht jeder kann sich zweimal pro Woche ein Dinner im Sterne-Restaurant leisten. Und viele würden es auch gar nicht wollen.
Wenn es ums Reisen geht, ist es sogar nur ein kleiner, einstellige Prozent-Anteil der Weltbevölkerung, der sich Reisen überhaupt leisten kann. 2018 beispielsweise buchten nur vier Prozent der Weltbevölkerung einen internationalen Flug, 80 Prozent der Weltbevölkerung ist mutmaßlich noch nie in einem Flugzeug gesessen.
Vielleicht ist es an der Zeit, offen auszusprechen und hinzunehmen, dass es keinen klassenlosen Urlaub geben kann, wenn von den schönen Orten dieser Welt etwas Relevantes übrigbleiben soll.
Fühle ich mich wohl, wenn ich das formuliere? Nein, denn es hat den schalen Beigeschmack von Resignation. Obwohl es gar keine Resignation ist – nur die Erkenntnis, dass „weiter so“ nicht geht und es mit ein wenig gutem Willen zumindest schonmal recht schöne, „zweitbeste“ Alternativen gibt.
Respekt, Wahrnehmung, Umdenken
Ich versuche, auf all meinen Reisen die Erlebnisse und Begegnungen als wertvolles Geschenk zu betrachten. Ich habe Respekt vor dem enormen Privileg, dass ich genieße, in dem ich fremde Länder und Kulturen sehen und erleben darf. Aber auch schiere die Wahrnehmung des Grundkonflikts im Massentourismus möchte ich nie aus den Augen verlieren.
Mit dieser Einstellung verändere ich erst einmal nicht die Welt – weder im Positiven, noch im Negativen. Aber ich weiß, dass andere auch so denken und freue mich immer, auf solche Menschen zu treffen. Und wenn wir noch viel Menschen dazu gewinnen, die anfangen, genauso zu denken, dann wäre schon sehr viel gewonnen.
Denn verändertes Denken führt zu veränderten Verhalten. Und dann wird aus dem „Zweitbesten“ plötzlich etwas deutlich reizvoller als das, was man bislang für „das Beste“ hielt.
Ein paar Gedanken dazu, wie man sich im Urlaub respektvoll und fair verhalten kann, habe ich auch im Beitrag „Zehn Tipps, wie Sie trotz Overtourism im Urlaub nicht negativ auffallen“ zusammengefasst.
(Hinweis: Diesen Beitrag habe ich ursprünglich 2017 geschrieben und nun im Juli 2024 umfassend aktualisiert.)
Es ist wie bei allem in unserer industrialisierten Welt: die modernen Errungenschaften wurden als Segen empfunden, als sie Verbreitung fanden und vieles von dem stand am Anfang nur einer kleinen Elite zur Verfügung: Bekleidung, nicht nur als Schutz vor Kälte, Wind, und Wetter, sondern als Statussymbol und neu gekauft wurde nicht, weil das alte Teil verschlissen war, nein – Potzblitz! – sondern weil die Mode sich änderte. Wer kennt nicht die Erzählungen aus den 1950ern, als die stolzen Avantgardisten mit einem „Fernsehapparat“ die halbe Nachbarschaft zu Besuch kamen, zum gemeinsamen Flimmerkistengenuss? Heute sind Kleidung und Unterhaltungselektronik zu einem Wegwerfartikel verkommen. Ein jeder trägt Smartphone-Rechenleistung mit sich herum, gegen die der damalige Superrechner Cray aussieht wie eine rostige Dampfmaschine.
Und Mobilität? Meine Großeltern hatten bis zu ihrem Rentenalter nur Aktionsradien von wenigen Kilometern, so weit es eben mit dem Fahrrad möglich war auf holprigen Feldwegen und ganz selten einmal ging es mit der Eisenbahn in die nächste „große Stadt“. Und heute? Reisen zur Befriedigung des Selbstdarstellungstriebes.
Das Stichwort vom Selfietourismus trifft es nach meiner Ansicht ganz gut, denn inzwischen ist das eine Reisegesellschaft entstanden, die offenbar ser Ansicht ist, sie könne an Status verlieren, wenn nicht an jedem Wochenende im Monat Fotos aus London, Mailand, Barcelona oder Paris gepostet werden, von einer Vernissage oder sonstigen „Ivänts“. Wer nix postet, ist tot. Und wer würde sich trauen, einen Lagebericht vom heimischen Sofa zu veröffentlichen, nach dem Motto: „Chips, Schokolade und Wein sind lecker, wir sind faul und uns gehts prima“?
Wenn die Vernunft nicht wirkt, muss es wohl oder übel über den Geldbeutel gehen. Seit Jahren wundere ich mich darüber, dass in den Sommermonaten nicht vorwiegend nur Eltern mit schulpflichtigen Kindern gen Mittelmeer strömen, auch viele Kinderlose jeden Alters oder Menschen mit Säuglingen treibt es zu den hitzeglühenden Ufern. Horrorpreise, Horrorhitze, Wahnsinnsfülle. Offenbar muss es Masse sein, je mehr Menschen „feiern“, desto besser. Wenn freiwillig keine Grenzen gezogen werden, müssen die überrannten Regionen eben Schutzmaßnahmen für ihre Bürger und Städte betreiben. Übermaß ist nie gesund, weder bei Essen und Trinken, noch bei Konsum oder Reise. Wenn alle zur selben Zeit zum selben Ort wollen, fährt niemand mehr irgendwo hin.
Was ich dabei nur so schade finde ist, dass es sich eben voraussichtlich über den Geldbeutel regelt. Wer viel Geld hat, ist ja dadurch nicht automatisch der bessere Mensch, der mehr Anrecht hätte auf die Schönheit dieser Welt als andere. Zweiter Problem-Aspekt: Durch die Verknappung fallen mehr mehr Menschen hinten runter – wollen aber eben genau in diesem Status-betonten Umfeld nicht zugeben, dass sie sich’s nicht mehr leisten können. Die Konsequenzen kann man sich vorstellen, wenn man das Konsumverhalten der Menschen in anderen Prestige-Bereichen wie Auto oder Kleidung anschaut.
Vollkommen richtig. Das Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage über den Preis findet sich bei allen knappen Gütern. Beim Diamanten genau wie wohl zukünftig bei beliebten Sehenswürdigkeiten. Wer Machu Picchu besuchen möchte oder die Galapagos-Inseln oder gar meint, als untrainierter Prestigesüchtiger den Mount Everest besteigen zu müssen, der muss eine nicht unerhebliche Summe in die Hand nehmen genau wieder jener, der seinen Fuß auf antarktischen Boden stellen möchte. In diesem Zusammenhang auf Vernunft und Selbstbeschränkung zu hoffen ist, wie ich glaube, illusorisch. Easyjet, Ryanair & Co. sorgen hingegen dafür, dass der Billigsturlaub im gemischten Schlafsaal mit 12 Betten und Tetrapak-Rotwein auf der Rambla auch für arme Würstchen weiterhin erschwinglich bleibt. Soweit die Demokratisierung des Reisens. Die Rambla würde 10 Billigtouristen mit Tetrapak-Rotwein verkraften und vielleicht auch 100, aber nicht 5.000 am Tag. Ich habe da keine Sorge, dass die Schutzmaßnahmen der bisher so genannten „Ferienregionen“ in Bälde auch die „Mittelschicht“ davon abhalten werden (müssen), in Massen zur selben Zeit sich an einem Ort zu versammeln und den Einheimischen jede Luft zum Atmen zu nehmen. Wir richten den Planeten ohnehin durch rücksichtslose Übernutzung seiner Ressourcen zu Grunde. Dass eine Selbstbeschränkung beim Reisen eintrete ohne äußere Steuerungsmaßnahmen ist nicht zu erwarten. Will man den Geldbeutel nicht zum Auswahlkriterium machenn, könnte man losen. Hohe Preise wären indes (wie bei Galapagos) eine Chance, dringend nötige Schutzmaßnahmen zu erzielen. Hohe Eintrittspreise, z.B. bei den Gaudí-Bauten in Barcelona, ermöglichen zur Zeit beispielsweise die Vollendung der Sagrada Familia ohne Gelder von der Öffentlichen Hand. Am Ende werden wir uns in nicht allzu ferner Zukunft ernsthaft fragen müssen: „Wie viel ist genug?“
Dem Artikel konnte ich ja noch recht weit zustimmen, dem Kommentar von Volker K. jedoch eher weniger. Vielleicht liegt es auch an meiner Abstinenz bezüglich des ganzen „Social Media“-Klimbims, daß ich die „Selfie-Touristen“ so nicht wahrgenommen habe. (Ich persönlich mache sowieso keine Selfies, ich will *schöne* Urlaubsfotos und die nicht mit meiner Visage verunstalten.)
Leider gibt es, um das Thema Ferienzeit = Reisezeit aufzugreifen, auch Umstände, die es nötig machen, in den Ferien zu reisen, wenn man selbst keine Kinder hat. Davon sind wir nämlich leider auch betroffen. Meine Freundin bekommt aufgrund der kleinen Größe ihres Arbeitgebers nur dann frei, wenn ihre Chefin Urlaub macht. Und ihre Chefin hat schulpflichtige Kinder, also macht sie in den Ferien Urlaub. So bleibt für uns zähneknirschend auch nur die Ferienzeit, und schon haste wieder ein Pärchen Mitte 30 ohne Kinder mehr in der Hauptsaison. Nicht jeder ist in der Lage, die deutlich preiswertere Nebensaison zu nutzen. :(
Die Billigflieger sind mir auch ein Dorn im Auge, irgendwo hinfliegen „nur weils halt gerade so billig ist“ käme für mich genauso wenig in Frage wie das Zwölfbettzimmer. Wenn es drum geht, irgendwo hin zu kommen (beispielsweise nach Palma de Mallorca um dort aufs Schiff zu gehen) wird vielleicht auch mal bei den billigen Iren geschaut, aber dann stellt man fest, es kostet mit Gepäck und allem Drum und Dran doch nicht weniger als woanders auch…
Doch zurück zum Artikel: Wie gewaltig die Unterschiede sein können, habe ich in Tallinn auch schon erfahren dürfen – einmal voller Hafen, wobei unser 2500-Betten-Schiff das kleinste war, und einmal alleine im Hafen, das merkt man in der Stadt schon. In Sankt Petersburg hingegen habe ich da keine Unterschiede bemerken können. Wobei das Hauptproblem in vielen Gegenden der Welt nicht unbedingt die Kreuzfahrtschiffe sind. Klar, immer mehr und immer größere machen sich auch bemerkbar, aber ein riesiges Problem ist einfach die momentane Sicherheitslage in vielen ehemaligen Reiseländern. Einen Urlaub in Ägypten könnte man mir momentan schenken, dito in der Türkei. Auch Tunesien, wo ich in meiner Kindheit mit den Eltern im Urlaub war, ist momentan ja nicht unbedingt ratsam. Um so mehr konzentrieren sich die Urlauber eben auf die weniger gefährlichen Ziele… Sieht man ja auch an den Routen der Kreuzfahrtschiffe. AIDA beispielsweise hat die Touren im östlichen Mittelmeer gestrichen, und um so mehr Schiffe fahren im westlichen Mittelmeer oder auf der Ostsee. Klar, bringt auch nichts, die Leute dahin zu bringen, wo sie nicht hin wollen.
Die neuen, großen Schiffe sehe ich persönlich eher als Teil des Problems denn als Teil der Lösung. Sind wir doch mal ehrlich, wenn man nicht gerade zum drölften Mal in Le Havre anlegt, wo man die Orte der Umgebung schon gesehen hat, und keinen Nerv auf den Busausflug nach Paris hat, bei dem die Fahrzeit im Bus genauso lang ist wie mit dem ICE von zu Hause aus, dann bleiben die wenigsten an Bord. Das Motto lautet dann eher „ach, wenn man schon mal da ist…“ und schon ist der Riesenkahn wieder leer und die Stadt voll. (Zugegeben, ich persönlich bevorzuge ja ohnehin mittelgroße Schiffe, die kleinen sind meist zu teuer und die großen einfach zu groß. Wer meine Kommentare hier kennt, weiß das…)
Eine wirkliche Lösung für das Problem habe ich auch nicht im Angebot. Pauschal zu sagen, die ganzen „Billigreisemöglichkeiten“ müssen entfallen, egal ob nun Billigflieger oder die Fernbusse (die ich alleine deshalb schon nicht mag, weil sie hier in Frankfurt die engen Straßen rund um den Hauptbahnhof noch mehr überlasten als sie es eh schon sind), mag zwar die Zahlen reduzieren, aber man nimmt damit auch denen, die weniger Geld haben, die Möglichkeit, mal was von der Welt zu sehen. Aber wer weiß, wie sich die weltpolitische Lage entwickelt, vielleicht kann man bald nirgends mehr hin reisen. Wollen wir mal nicht hoffen, daß es so weit kommt.
Ich fürchte. so manche Menschen sind sehr naiv und undankbar. Es mag stimmen, dass sie unter den Touristen leiden, aber ohne wird sich ihre soziale Situation wohl stark verschlechtern.
@Hen: Wenn wir bei dem Extrem-Beispiel Venedig bleiben, dann zeigt der rapide Rückgang von Menschen, die tatsächlich noch dort wohnen, was für massive Probleme der Tourismus dort verursacht. Die soziale Situation kann sich für jemanden glaube ich kaum schlechter entwickeln als dass er seine Heimatstadt aufgeben und wegziehen muss, weil er es sich nicht mehr leisten kann, dort zu leben …
In Venedig sehe ich die Probleme als extrem „hausgemacht“ an. Ich kenne viele Häfen im Mittelmeerraum – war in etlichen auch mehrfach. Selbstverständlich läßt sich zu einem gewissen Grad regulieren, wieviele Kreuzfahrttouristen man in der Stadt haben will – allein darüber, wieviele Liegeplätze man freigibt für Kreuzfahrtschiffe. es wäre ein Leichtes, die Grenze bei beispielsweise 4 oder 5 Schiffen zu ziehen.
Und ich mußte feststellen – in keinem Hafen – KEINEM – habe ich konsequent so viele Schiffe an einem Tag gesehen wie in Venedig. Ich war an 5 Tagen in Venedig – Vor- bzw. Nachsaison. An einem Tag waren 9 Hochsee-Kreuzfahrtschiffe im Hafen (und eins verließ gerade den Hafen, als wir anreisten – also letztlich sogar 10 Schiffe). Zusätzlich waren noch mind. 2 Flußschiffe vor Ort (evtl. wurden die auch als Hotelboote genutzt).
Weder in Barcelona noch in Piräus oder Rom habe ich jemals so viele Kreuzfahrtschiffe auf einmal gesehen.
Natürlich – das Interesse bei den Kunden ist da. Aber ich bin überzeugt – das monetäre Interesse der Stadt ist ebenfalls da und man läßt sich die Liegeplätze hervorragend bezahlen.
Venedig muß sich einfach überlegen, was es will. Man kann nunmal die Kuh nicht verkaufen und melken.
Die Bürger von Venedig protestieren zwar – schaut man aber genauer hin – es leben sehr viele sehr gut von den Touristen – und es gibt in der Stadt auch quasi nichts mehr für „normale Menschen“. Im Grunde ist die Stadt ein großes Museum mit angeschlossenem Shop. In der Altstadt gibt es z.B. keinen einzigen größeren Lebensmittelladen mehr. Der erste Laden überhaupt ist der Coop zwischen Stazione Santa. Lucia und Piazzale Roma. Zentraler sinds nur ein paar kleine Tante Emma Läden.
Die Interessen innerhalb der Bevölkerung sind zu konträr, als daß man es schaffen würde, Politiker zu zwingen, den Tourismus zu begrenzen. Denn sehr sehr viele Venezianer profitieren ausgezeichnet von den Menschenmassen.
Wendy, ich stimme Dir grundsätzlich zu, allerdings ist es leider komplizierter. Venedig hatte ja bereits eine Sperre für Kreuzfahrtschiffe über einer bestimmten Größe verhängt. Nur ist die Regelung von einem Gericht wieder gekippt worden. Ud wie geschrieben: Kreuzfahrtschiffe sind nicht das eigentliche Problem Venedigs, wenn es um die schiere Masse an Touristen geht. Das sind nur 1,6 von bis zu 35 Mio. jährlich …
Da hilft nur noch eine Weltwirtschaftskrise wie 2007/2008. Ansonsten ist der Wahnsinn nicht zu stoppen!!!
Irgendwie habe ich offenbar die letzte Entwicklung verpasst: von einem «Selfietourismus» höre ich zum ersten Mal. Ist das wirklich so?
Ich persönlich finde es schrecklich an überfüllten Orten Urlaub zu machen – habe allerdings auch den Vorzug das es mir möglich ist zu anderen Zeiten als in den Ferien zu verreisen und ich käme niemals auf den Gedanken: Da fahren jetzt alle hin – da muß ich jetzt auch … im Gegenteil: Ibiza im Februar = wunderschön.
Und wenn in Barcelona Transparente hängen: «Touristen raus» dann (sage ich mal salopp) fühle ich mich beleidigt und entscheide mich diesen Ort nicht noch einmal zu besuchen.
Das größte Problem in meinen Augen ist allerdings das in vielen Ländern die Sicherheitslage so angespannt ist das diese als Urlaubsland entfallen – also fahren halt alle nach Mallorca und den übrigen Verdächtigen.
Statistische Erhebungen oder gesicherte Erkenntnisse, ob es so etwas wie „Selfie-Tourismus“ gibt bzw. in welchem Ausmaß gibt’s natürlich nicht. Der Begriff beschreibt wohl eher einen Wandel in den Motiven für einen Urlaub bzw. in dem, was die Leute von einem Urlaub erwarten. Das Selfie ist sicherlich nicht die Haupt-Motivation für Urlaub, scheint mir aber doch eine nicht unerhebliche Triebfeder bei de Entscheidung zu sein, wo genau man hinfahren will. Da zählt zweifelsohne immer mehr auch dazu, dass man auf Facebook, Instagram & Co. zeigt, wo man ist und sich damit mehr oder weniger bewusst wichtig macht. Auch die Ernsthaftigkeit und Verbissenheit, mit der viel Menschen ihre Selfies schießen, sich gegenseitig mi den Ellenbogen von den schönsten Selfie-Spots verdrängen zeigt für mich schon, dass dieser Aspekt für immer mehr Menschen immer wichtiger wird.
Aber natürlich gab es dieses Motiv in anderer Form auch früher schon: „Da werden die Nachbarn neidisch sein, wenn ich ihnen die Dia-Show von unserer Karibik-Reise zeige“ ;-)
Ja wir können ihrem Beitrag nur zustimmen und auch dem gleich darunter. Wir fragen uns jedes Jahr wiso fahren die Leute die KEINE schulfplichtigen Kinder habe ausgerechnet im Juli/August in den Urlaub, wo es am Teuersten, am Vollsten, am Lautesten ist? Was ist das, Selbstdarstellung (eigentlich nur Blödheit). Wir fahren seit unsere Kinder eigene Wege gehen grundsätzlich nur in der NS und sind damit sehr zufrieden, die Preise sind gut, die Gegenden (außer inzwischen Rügen) sind nicht mehr so voll und es ist allegemein ruhiger. Nun wir posten aber NIE irgendwelche Fotos oder müssen uns selbst darstellen, wenn dann so wie früher, wirklich nur für uns selbst. Es ist ja schon nervig immer in jeder Fernsehsendung zu hören und zu lesen (gerne auch auf Facebook), puh wir sind wohl altmodisch, wir haben gar keinen Account auf Facebook und co. und sind trotzdem zufrieden. Wir meiden auf Mallorca, Venedig und was es sonst noch so an sogenannten hippen Gegenden gibt. Aber damit sind wir Ausnahme, dass wissen wir und sind sehr zufrieden damit. Es ist doch einfach nur widerlich A…an A…zu liegen, alles ansehen zu müssen, was nicht immer ansehenswert ist, oder die Gerüche nach Sonnencreme, Gegrilltem, Alkohol und sonst was für Gerüchen die ebend solche Massen an Menschen ausstrahlen. Nein, wir können nicht nachvollziehen, wiso sich das Mill. genau zur Hochsaison antun, obwohl sie ebend keine Schulpflichtigen Kinder haben. Aber es ja das Gleiche mit dem Einkaufen ausgerechnet am Freitag rennen die Massen los und müssen einkaufen, obwohl fast ALLES ewig haltbar ist und selbst Frischware aufgrund vorhandender Kühlung auch eher gekauft werden kann. Es hat wohl damit zu tun, dass der Mensch ein Herdentier ist und nur wenige darunter sind die auch nachdenken und sich sagen, ich muß nicht jeden Mist mitmachen.
Tja – immer mehr Menschen können und wollen reisen. Gern auch mal, dank billiger Flugtickets übers Wochenende in die Sonne / Kultur etc. Die Demokratisierung des Reisens muss die von dir genannten Probleme mit sich bringen, da es logischerweise Trendziele gibt (und schon immer gab) und in Europa diese auch noch in maximal 2-3 Flugstunden erreichbar sind. Also fährt man nach Ibiza, Venedig, Santorini, Barcelona, London, Berlin usw. usf. Das diese Orte irgendwann einen Peak erreicht haben, ab dem sich das angesagte Reiseziel in einen internationalen Etikettenzirkus verwandelt ist logisch. In Hamburg erleben wir derzeit eine durchaus ähnliche Entwicklung.
Ob dieser Punkt durch Geld gelöst werden kann? Leider ja – und da Reisen und Reiseziele nun einmal unmittelbar marktwirtschaftlichen Gesetzen folgen, ist das wohl auch die einzige Möglichkeit. Das passiert ja auch schon heute in mehr als deutlicher Form. Die Hotelpreise auf Ibiza und Santorini sind so hoch, dass nur noch ein kleinerer, gut begüterter Teil der Touristen es sich leisten kann. Kreuzfahrtschiffe wie die von Hapag-Lloyd oder Silversea werben auf jeder Reise damit, kleine, unberührte Häfen anzufahren – gegen den entsprechenden Preis natürlich, während die „Mittelklasse“ eben in den üblichen Häfen liegt und teils mehr als 20000 Passagiere pro Tag in einen Ort entlässt – zusätzlich zu denen, die ohnehin da sind. Was auch der Grund ist, warum Kreuzfahrer häufig so negativ auffallen, auch wenn sie statitisch nur einen kleinen Teil der Touristen ausmachen – sie kommen nun einmal zeitlich sehr komprimiert und stürzen sich in den Landausflügen alle auf die gleichen Sehenswürdigkeiten.
Reisen in Orte, die eben nicht auf jedermans Landkarte sind, gestalten sich zudem schwieriger. Die Flugverbindungen sind dünn, die Flugpreise entsprechend höher, die Infrastruktur vor Ort häufig unberechenbar und nicht auf dem von vielen erwarteten Standard, Sprachbarrieren höher, Mentalitätsunterschiede größer. Natürlich wird diese Anstrengung dann auch mit vielen einmaligen und besonderen Reiseerlebnissen belohnt – aber wie gesagt: die Hürde, eine Urlaubsreise nach Albanien, Montenegro, Irland, Rumänien, Moldavien oder in die Ukraine zu machen liegen höher, die einer Städtereise nach Moskau, Bordeaux, Sofia, Palermo, Zagreb oder Tiflis genauso, obwohl diese Orte faszinierende Kultur, Natur und Urbanität aufweisen. Da muss man noch gar nicht die Sicherheitslage in manchen Ländern bemühen. Klar – wer bislang regelmäßig in die Türkei oder nach Agypten gereist ist, versucht nun Richtung Mallorca, Ostsee oder Kanaren umzurouten. Aber die Erfahrung zeigt, dass sich solche „Schwappeffekte“ schnell wieder beruhigen und ausgleichen. Auch aufgrund marktwirtschaftlicher Gegebenheiten und der daraus folgenden Tatsache, dass die Ausweichziele deutlich teurer werden.
Den von dir genannten Selfi-Tourismus kann ich nicht bestätigen. Früher waren es Postkarten und Diashows, heute halt Posts in sozielen Netzwerken. Aber bloß, weil ich Bilder auf Instagram poste, verändert sich doch nicht mein Reiseverhalten (und auch nicht das der Menschen in meinem Bekanntenkreis). Ich wähle mein Reiseziel ja nicht danach aus, wie viele likes ich dafür bekomme oder wie viele Menschen meine Story sehen. Soziale Medien sind für 99% der Nutzer dazu da, Kontakt zu Menschen zu halten – sie machen das viel leichter und direkter als früher und werden daher auch viel intensiver genutzt. Aber beeinflussen sie das Reiseverhalten? Ich denke nicht. Gäbe es kein Internet, wäre der Effekt heute auch kein anderer.
Kann man das ander, allgemeinverträglicher lösen? Wohl kaum. Aber irgendwann wird fliegen wieder teurer werden, irgendwann werden die Menschen bestimmte Reisen nicht mehr buchen, weil sie einfach auch keinen Spaß daran haben, sich Körper an Körper durch Dubrovnik zu schieben, in Barcelona von Einheimischen beschimpft oder auf der Karibikinsel zu einem reinen auszunehmenden Shoppingmonster degradiert zu werden. Dann werden sich die Schwerpunkte wieder verschieben und in 10 oder 20 Jahren klagen vielleicht die Hoteliers im Harz darüber, wie die vielen Touristen die Landschaft verändern und was man dagegen tun könne.
@Michael: Ich denke auch nicht, das eine nennenswerte Zahl von Menschen ihr Urlaubsziel bewusst unter Selfie-Gesichtspunkten auswählen; das würde sicherlich fast jeder strikt von sich weisen.
Und natürlich steht das „Selfie“ da auch nur als ein Symbol für mehr Extrovertiertheit, mehr Selbstdarstellung, mehr Geltungsdrang in einem durch „Soziale Medien“ viel stärkerem Wettbewerb untereinander.
Es ist, glaube ich, eher ein sehr unterbewusster, unterschwelliger Prozess, der da stattfindet (und ja, in geringerem Umfang sicherlich früher auch schon da war). Durch die hohe Transparenz, die durch Facebook, Instagram & Co. entsteht, lassen sich Menschen heute stärker (unbewusst) beeinflussen von dem, was die Masse der anderen tut. Man sieht heutzutage einfach ständig, was die anderen tun, während das Zeitalter vor „Social Media“ doch eher eine gefilterte und vermittelte Erkenntnis war. Sprich: Wenn die Zeitung im Reiseteil ein Ziel gelobt hat, dann hat man das als begehrenswert empfunden und wollte da hin. Heute wird man ohne Pause bombardiert von dem, was andere tun; in Echtzeit, live und in großem Umfang.
Ich denke daher schon, dass da viel stärkere Gruppen-Effekte einsetze: „dazugehören wollen“, „wenn der das kann, kann ich das schon lange“, „das kann ich toppen“ und der Kampf um Aufmerksamkeit in seinem „sozialen Freundeskreis“. Ja, früher gab’s das auch schon. Aber da lief das alles gedämpfter, gefilterter ab und ich wusste vielleicht, wo de Nachbar, wo ein paar Arbeitskollegen und „echte“ Freunde in Urlaub waren. Heute prasselt diese Information auf die Menschen regelrecht herein, von Hunderten von „Freunden“ …
Vielen Dank für diesen Artikel, Franz.
Dieses Selfie-Tourismus-Phänomen sehe ich auch mit immer größerer Verwunderung. Besonders auffällig jetzt auf einer Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer. Scheinbar ist ein Urlaubsbild einer grandiosen, berühmten Sehenswürdigkeit, beispielweise vor dem Petersdom, heutzutage nur noch etwas wert, wenn man selbst seine Visage davor hält. Höchstwahrscheinlich um es anschließend mit prahlerischer Motivation in den sozialen Medien zu publizieren. Ich kann das nicht nachvollziehen, der Petersdom wird mit meiner Nase davor definitiv nicht attraktiver. Dieses seltsam affektierte Verhalten war früher ein zweifelhaftes Privileg der Asiaten, aber spätestens seit es die unseligen Sticks gibt, macht das scheinbar keinen Halt mehr vor kulturellen Unterschieden der Touristen. Letztes Jahr wurden an den unter Naturschutz stehenden Stränden um das Kap der guten Hoffnung bereits strenge Verbote für die Dinger erlassen, weil zahlreiche Idioten unbedingt Selfies mit sich und den dort lebenden Pinguinen machen wollten. Ohne Worte.
Ebenfalls immer zahlreicher tritt ein anderes Phänomen auf – die Drohnen. Lästig lautstark und nicht ungefährlich. Auffällig, wie viele Leute diese Dinger in teuren Spezialkoffern auf die Celebrity Constellation einschifften. Ich hoffe, dass auch hier bald strenge Verbote erlassen werden. Dort, wo es sie schon gibt – z.B. im spektakulären Kakteengarten von Èze – werden sie leider ignoriert.
Ich möchte den Blickwinkel aber nochmal auf die Massentourismus-Auswirkungen der Kreuzfahrt richten. Anhand eines aktuellen Beispiels: 2009 war ich mit der Summit in Livorno (als zweites Schiff war die Ruby Princess da), von dort machten wir und eine überschaubare Anzahl „Insider“ einen TRip mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum schiefen Turm und weiter in die schöne Stadt Lucca. Unter Zuhilfenahme des Shuttles in die Stadt, den öffentlichen Bus zum Bahnhof, und die italienische Bahn. Wir „Individual-Cruiser“ freuten uns untereinander wie die Schneekönige, mehr Zeit in den Städten verbracht, nicht in Ausflugs-Busse eingepfercht und vor allem viel Geld gespart zu haben.
Nun 2017 wollte ich das aufgrund des großen Erfolgs wiederholen. Mit mehr etwas Schiffen im Hafen (Connie, Westerdam, Azamara und Seabourn). Schon in Anbetracht des gut mit Koffern gefüllten Zugs von Rom nach Civitavecchia merkt man, dass die Kreuzfahrer individueller, abenteuerlustiger & preisbewusster geworden sind, und sich nicht mehr den teuren Zubringerservice auf dieser Strecke leisten (können). Klar, die Reedereien müssen ja auch dieses Publikum ansprechen um die Schiffe zu füllen – was ihnen ja auch sehr erfolgreich gelingt. Nun zeigte sich speziell in Livorno bereits am Bahnhof, dass im Gegensatz zu 2009 ein Großteil der Kreuzfahrer die Züge nach Florenz und Pisa nutzt. Auf der Rückfahrt führte das zu einer derart grotesken und wirklich gefährlichen Überfüllung des Linienbusses vom Bahnhof in die Innenstadt, dass eine Sardinenbüchse eine geräumige Luxussuite dagegen ist. Erschreckend das Verhalten der überwiegend amerikanischen Mitfahrer – diejenigen, die wegen totaler Überfüllung draußen bleiben mussten, schrien rum. Die mit mir eingepferchten beschwerten sich ebenfalls, weil der Bus noch minutenlang stehen blieb. Es fehlte jegliches Verständnis dafür, dass dies kein „Cruise-Shuttle“ ist, sondern der öffentliche Nahverkehr, der sich an einen Fahrplan zu halten hat und auch den Bürgern der Stadt zu dienen hat. Von dessen günstigen Preisen man letztendlich profitiert (und dessen konsequente Nutzung die Reise vielleicht erst ermöglicht).
Müßig zu erwähnen, dass dieses Gefährt bis zum Erreichen der Innenstadt, wo dann der Bus zum Schiff stand, keine der an den Zwischenhaltestellen Wartenden mehr aufnehmen konnte und einfach weiterfuhr, was zu wütenden Reaktionen am Straßenrand führte…
Ja, da kocht definitiv etwas hoch in den Häfen des Mittelmeers, nicht nur in Venedig, und ich kann die Leute verstehen.
Viele Grüße
Andreas
Vielen Dank für diesen Artikel, Franz.
Dieses Selfie-Tourismus-Phänomen sehe ich auch mit immer größerer Verwunderung. Besonders auffällig jetzt auf einer Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer. Scheinbar ist ein Urlaubsbild einer grandiosen, berühmten Sehenswürdigkeit, beispielweise vor dem Petersdom, heutzutage nur noch etwas wert, wenn man selbst seine Visage davor hält. Höchstwahrscheinlich um es anschließend mit prahlerischer Motivation in den sozialen Medien zu publizieren. Ich kann das nicht nachvollziehen, der Petersdom wird mit meiner Nase davor definitiv nicht attraktiver. Dieses seltsam affektierte Verhalten war früher ein zweifelhaftes Privileg der Asiaten, aber spätestens seit es die unseligen Sticks gibt, macht das scheinbar keinen Halt mehr vor kulturellen Unterschieden der Touristen. Letztes Jahr wurden an den unter Naturschutz stehenden Stränden um das Kap der guten Hoffnung bereits strenge Verbote für die Dinger erlassen, weil zahlreiche Idioten unbedingt Selfies mit sich und den dort lebenden Pinguinen machen wollten. Ohne Worte.
Ebenfalls immer zahlreicher tritt ein anderes Phänomen auf – die Drohnen. Lästig lautstark und nicht ungefährlich. Auffällig, wie viele Leute diese Dinger in teuren Spezialkoffern auf die Celebrity Constellation einschifften. Ich hoffe, dass auch hier bald strenge Verbote erlassen werden. Dort, wo es sie schon gibt – z.B. im spektakulären Kakteengarten von Èze – werden sie leider ignoriert.
Ich möchte den Blickwinkel aber nochmal auf die Massentourismus-Auswirkungen der Kreuzfahrt richten. Anhand eines aktuellen Beispiels: 2009 war ich mit der Summit in Livorno (als zweites Schiff war die Ruby Princess da), von dort machten wir und eine überschaubare Anzahl „Insider“ einen TRip mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum schiefen Turm und weiter in die schöne Stadt Lucca. Unter Zuhilfenahme des Shuttles in die Stadt, den öffentlichen Bus zum Bahnhof, und die italienische Bahn. Wir „Individual-Cruiser“ freuten uns untereinander wie die Schneekönige, mehr Zeit in den Städten verbracht, nicht in Ausflugs-Busse eingepfercht und vor allem viel Geld gespart zu haben.
Nun 2017 wollte ich das aufgrund des großen Erfolgs wiederholen. Mit mehr etwas Schiffen im Hafen (Connie, Westerdam, Azamara und Seabourn). Schon in Anbetracht des gut mit Koffern gefüllten Zugs von Rom nach Civitavecchia merkt man, dass die Kreuzfahrer individueller, abenteuerlustiger & preisbewusster geworden sind, und sich nicht mehr den teuren Zubringerservice auf dieser Strecke leisten (können). Klar, die Reedereien müssen ja auch dieses Publikum ansprechen um die Schiffe zu füllen – was ihnen ja auch sehr erfolgreich gelingt. Nun zeigte sich speziell in Livorno bereits am Bahnhof, dass im Gegensatz zu 2009 ein Großteil der Kreuzfahrer die Züge nach Florenz und Pisa nutzt. Auf der Rückfahrt führte das zu einer derart grotesken und wirklich gefährlichen Überfüllung des Linienbusses vom Bahnhof in die Innenstadt, dass eine Sardinenbüchse eine geräumige Luxussuite dagegen ist. Erschreckend das Verhalten der überwiegend amerikanischen Mitfahrer – diejenigen, die wegen totaler Überfüllung draußen bleiben mussten, schrien rum. Die mit mir eingepferchten beschwerten sich ebenfalls, weil der Bus noch minutenlang stehen blieb. Es fehlte jegliches Verständnis dafür, dass dies kein „Cruise-Shuttle“ ist, sondern der öffentliche Nahverkehr, der sich an einen Fahrplan zu halten hat und auch den Bürgern der Stadt zu dienen hat. Von dessen günstigen Preisen man letztendlich profitiert (und dessen konsequente Nutzung die Reise vielleicht erst ermöglicht).
Müßig zu erwähnen, dass dieses Gefährt bis zum Erreichen der Innenstadt, wo dann der Bus zum Schiff stand, keine der an den Zwischenhaltestellen Wartenden mehr aufnehmen konnte und einfach weiterfuhr, was zu wütenden Reaktionen am Straßenrand führte…
Ja, da kocht definitiv etwas hoch in den Häfen des Mittelmeers, nicht nur in Venedig, und ich kann die Leute verstehen.
Viele Grüße
Andreas
Man sollte aber auch nicht vergessen, warum man in den Urlaub fährt:
Um sich zu erholen, nicht um irgendwem anders einen Gefallen zu tun. Des weiteren hat man die Reise beim Reiseveranstalter bezahlt. Da können einem die Einwohner, völlig ohne schlechtes Gewissen, auch mal egal sein.
Immerhin hat man selber lange für diesen Urlaub gearbeitet. Moralapostel brauchen wir nicht.
Schön, daß Du den Beitrag aktualisiert wieder holst – in den letzten 7 Jahren ist doch viel passiert.
Den Ansatz von „künstlichen Erlebniswelten“ halte ich inzwischen für gar nicht so abwegig – zum einen funktioniert das Konzept in Las Vegas und Macao ja durchaus – und zum anderen sieht man an den immersiven Ausstellungen ja, das das die Menschen anzieht, nahezu beliebig replizierbar ist. (wem der Begriff nichts sagt – immersive Ausstellungen sind die Ausstellungen wie beispielsweise Monet, Van Gogh, Klimt oder auch Tutanchamun, die dem Besucher ermöglichen, ohne ein einziges Original komplett in die Bilder einzutauchen, mit ihnen zu interagieren. Die Ausstellungen sind hervorragend besucht und ermöglichen auch Menschen den Zugang, die vielleicht sogar ein klassisches Museum nicht besucht hätten oder die Reise zum Original nicht machen würden – aus welchen Gründen auch immer.
@Wendy: Ich gehöre zu den Menschen, die beim Thema „Kunst“ wahrscheinlich die „künstliche Welt“ bevorzugen würde. Ehrlicherweise haben mir Bilder, die reihenweise an einer weißen Wand im Museum ohne jeden Kontext hängen, noch nie wirklich etwas gesagt. Erst mit Kontext, historischen Zusammenhängen, Kenntnis der Intention des Künstlers o.ä. kann ich damit etwas anfangen. Und das vermittelt mir eine solche virtuelle Ausstellung sehr viel besser, als mich im Louvre mit dreihundert anderen, Selfie-schießenden Menschen vor einem kleinen, mit Panzerglas geschützten Bild zu drängeln. Und auch an touristischen Destinationen merke ich zunehmend, dass mir das Abhaken von Bucket-List-Zielen nichts mehr gibt, es lässt mich emotionslos und gelangweilt. Und dafür ist dann eigentlich der Aufwand, die Kosten, möglicherweise das Frieren im Regen oder Schwitzen in der Sommerhitze, endloses Anstehen etc. eigentlich viel zu mühselig.
Spannend finde ich es nur immer dann, wenn etwas lebendig wird, weil man einen kulturellen Bezug dazu finde, Menschen mit Bezug dazu kennenlernt, die Historie versteht o.ä. Oft wäre also selbst hier eine künstliche Welt die spannendere als das Original.
Mich in den Gassen von Venedig treiben zu lassen, oder im Torres de Paine Nationalpark in Chile zu wandern, oder einen frisch gefangenen Fisch vom Grill in einer griechischen Taverne zu essen, ist dagegen nur genau dort und nirgendwo sonst möglich. Und das bleibt hoffentlich auch in Zukunft möglich, wenn wir Wege finden, einen Teil des Massentourismus umzuleiten oder anders zu befriedigen.
Diejenigen, die sich am meisten über Massentourismus echauffieren, weil man so „Land und Leute“ ja nicht richtig kennenlernen könne, das sind oft dieselben, die sich am meisten darüber aufregen, wenn sich Touristen in ihrem persönlichen Lebensumfeld aufhalten – um „Land und Leute“ kennenzulernen. Finde den Fehler.
@Knud: Da ist was dran, auch wenn ich es nicht pauschalisieren würde. Was mir aber auch immer wieder auffällt, ist die Arroganz, mit der sich auch Medien-Kollegen immer wieder über „Pauschaltouristen“, „Massentourismus“ erheben und Individualtourismus als einzig glücklich machendes preisen – dabei aber zwei Aspekte vollkommen unter den Tisch fallen lassen: Längst nicht jeder kann sich diese individuelle Art des Reisens leisten; und wenn sie es könnten, dann würden diese vielen Individualtouristen wahrscheinlich noch viel Schlimmeres anrichten und natürlich jeden Individualtourismus allein durch ihre große Zahl automatisch zu Massentourismus werden lassen. Es gibt leider keine einfache Lösung für das Problem …
Das sich die Einheimischen in Venedig das Wohnen dort nicht mehr leisten können ist sicher oft auch nur eine Ausrede.
Viele sicher ihre Häuser oder Wohnungen um viel Geld verkauft oder vermietet und leben von diesem Geld halt außerhalb von Venedig.
@Hans: Das mag sicher an der einen oder anderen Stelle so sein. Und auch klar: Gentrifizierung kann nur stattfinden, wenn z.B. Wohnungsbesitzer dabei mitspielen. Kann man’s ihnen verdenken, wenn sie von einem Venezianer 800 Euro Miete bekommen, von Touristen via Airbnb aber 2.500? Volkswirtschaftlich nennt man das Marktversagen, weil eben andere Kriterien als nur Angebot und Nachfrage mitspielen und daher Regulierungen nötig wären, die dieses Marktversagen ausgleichen, sprich: kein Anreiz mehr zur Vermietung an Touristen mehr besteht (z.B. gibt es in Venedig eine Zweitwohnungssteuer, die aber halt nicht annähernd hoch genug ist), oder es schlicht verboten wird.
Speziell in Venedig, aber auch in anderen Städten, geht es auch nicht nur darum, dass man es sich nicht mehr leisten kann, dort zu wohnen, das ist viel komplexer. Durch die Dominanz des Tourismus gibt es in vielen Stadtvierteln in Venedig keine Wohn-Infrastruktur mehr, sprich: Es fehlen beispielsweise Lebensmittelhändler u.ä., was in Venedig besonders problematisch ist, weil man eben nicht mal schnell mit dem Auto ins Einkaufszentrum am Stadtrand für einen großen Wocheneinkauf fahren kann. Und die Lebensqualität hält sich halt auch sehr in Grenzen, wenn man kaum mehr aus der Tür gehen kann, ohne von Touristenmassen umgerannt zu werden; oder nachts nicht schlafen kann, weil grölende Betrunkene durch die Gassen ziehen (Letzteres Beispiele in Venedig eher kein Problem).