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Warum warten Kreuzfahrtschiffe nicht, wenn man zu spät zur Abfahrt kommt?

Der Kapitän der MSC Splendida hat am 15. August zwei Passagiere in Bari an der Pier zurückgelassen. Diese Meldung geht gerade, einigermaßen skandalisiert, durch die Medien. Zwei Passagiere waren zur Abfahrt zu spät zurück im Hafen, die MSC Splendida bereits in Bewegung. Aber warum warten Kreuzfahrtschiffe eigentlich nicht? Und was bedeutet das für Passagiere und die Reederei?

Ein Passagier der MSC Splendida filmt am 15. August 2023 in Bari die verzweifelten Rufe von zwei zu spät gekommen Passagiere mit dem Smartphone und stellte den Videoclip bei Tiktok online (@gabrieleventicinque). Das Paar steht hinter dem Absperrgitter im Hafen, der Mann schreit immer wieder „Kapitän, warten Sie bitte auf uns. Sie können es tun, wenn Sie wollen“ und man erkennt, wie sehr ihn die Situation ärgert.

Die Zuspätkommer im Hafen von Bari (Bild: Screenshot Tiktok @gabrieleventicinque)
Die Zuspätkommer im Hafen von Bari (Bild: Screenshot Tiktok @gabrieleventicinque)

Für die knapp 4.000 Passagiere an Bord ist die Szene auf der Pier amüsant, sofern sie sie überhaupt wahrnehmen. Für die beiden Betroffenen ist es eine kleine Katastrophe.

Die MSC Splendida verlässt auf ihre Route durchs östliche Mittelmeer den Hafen von Bari bereits am frühen Nachmittag um 14:00 Uhr, denn der nächste Hafen, Triest, liegt etwa 340 Seemeilen Fahrtstrecke entfernt und soll um 9 Uhr morgens am nächsten Tag erreicht werden.

So knappe Zeitpläne sind schlechte Voraussetzungen für Zuspätkommer. Denn je näher der nächste Hafen liegt und je mehr Fahrtzeit dafür eingeplant ist, desto mehr Spielraum hat der Kapitän grundsätzlich, um auch einmal eine halbe Stunde zu warten.

Und die Situation ist keineswegs ungewöhnlich, sondern kommt sehr regelmäßig vor. In diesem Fall lief nur zufällig eine Kamera mit und einige Medien griffen das Tiktok-Video auf. Manche Häfen sind sogar regelrecht prädestiniert dafür: Civitavecchia beispielsweise wegen der langen Fahrtzeit nach Rom – da kann man sich bei der Rückfahrt schonmal verrechnen. Oder Cozumel – da vergessen Passagiere oft die Zeit, wenn sie sich in den hafennahen Bars gerne mal ordentlich betrinken. Zuspätkommer-Szenen sind in diesen Häfen fast alltäglich.

Wie man sich verhält, wenn man einmal selbst das Kreuzfahrtschiff verpasst, haben wir in unserem Beitrag „Zu spät vom Landgang zurück, Schiff verpasst – was tun?“ zusammengefasst.

Was genau ist bei der MSC Splendida in Bari passiert?

In dem Video ist zu erkennen, dass sich die MSC Splendida bereits vom Pier wegbewegt. Anders als in einigen Medienberichten beschrieben, waren die zwei Passagiere also nicht nur „ein paar Minuten“ zu spät, sondern mehr als halbe Stunde. Denn Passagiere (und Crew) müssen generell mindestens eine halbe, oft eine dreiviertel Stunde vor Abfahrt des Schiffs zurück sein, in arabischen Häfen teils sogar 90 Minuten vorher. Das steht im Tagesprogramm sowie groß am Ausgang und ist bei Verlassen des Schiffs nicht zu übersehen.

Die Zuspätkommer im Hafen von Bari (Bild: Screenshot Tiktok @gabrieleventicinque)
Die Zuspätkommer im Hafen von Bari (Bild: Screenshot Tiktok @gabrieleventicinque)

Wie die Daily Mail berichtet, gab es kurz vor der Abfahrt der MSC Splendida eine Durchsage, in der mutmaßlich die beiden fehlenden Passagiere ausgerufen wurden. Das deutet darauf hin, dass die beiden sich auch nicht bei der Reederei oder beim Hafenagenten gemeldet haben, um Bescheid zu geben, dass sie sich verspäten.

Das ist der wichtigste Tipp, wenn man sich tatsächlich einmal verspätet: Melden Sie sich bei der Reederei. Typischerweise sind Notrufnummern für solche Fälle im Tagesprogramm, in der App der Reederei oder sogar auf der Kabinenkarte vermerkt. Denn wenn der Kapitän weiß, dass man sich nur um kurze Zeit verspätet, holt er die Gangway in den meisten Fällen noch nicht ein und wartet. Hat er jedoch keinerlei Informationen dazu, ob die Passagiere überhaupt noch kommen oder wann, ist ein unbestimmtes Warten nicht sinnvoll. Und vor allem: viel zu teuer.

Warten kostet die Reederei viel Geld

In jeden Fall verursacht das Warten auf fehlende Passagiere erhebliche Kosten für die Reederei – in der Regel mehr, als die fehlenden Passagiere für ihre gesamte Kreuzfahrt bezahlt haben. Bis zu 4.000 Euro allein an Treibstoff-Mehrkosten wären für die MSC Splendida in Bari wohl entstanden, hätte sie gewartet, um die verspäteten Passagiere noch mitzunehmen.

Nicht genau feststellbar sind weitere Kosten, die durch das erneute Anlegen entstehen, beispielsweise für zusätzliche Gebühren bereits bestellter Schlepper oder zusätzlich berechnete Liegegebühren, die je nach Hafen die Treibstoff-Mehrkosten deutlich übersteigen können und für große Schiffe pro Tag einen hohen fünf- oder sogar niedrigen sechsstelligen Betrag ausmachen.

Ausführlicher: Wie sich die Mehrkosten für Treibstoff berechnen

Die Fahrtstrecke von Bari nach Triest betragen für ein Kreuzfahrtschiff ungefähr 340 Seemeilen. Neben der reinen Fahrtzeit für diese Distanz müssen geschätzt rund 1,5 Stunden für Ablegemanöver und Hafenausfahrt sowie am Zielort Hafeneinfahrt, Anlegemanöver, Festmachen und Freigabe durch die Behörden einkalkuliert werden.

Als Fahrtzeit dürfte für Bari-Triest also 17,5 Stunden kalkuliert sein, was eine Fahrtgeschwindigkeit von etwa 19 Knoten bedeutet. Um eine halbe Stunde Verzögerung aufzuholen, müsste das Schiff einen halben Knoten schneller fahren, also 19,5 Knoten.

Gehen wir überschlagsmäßig von einem Treibstoffverbrauch von 200 Tonnen pro Tag bei einem Schiff dieser Größe aus und berücksichtigen für die Berechnung des Mehrverbrauchs nur die 17,5 Stunden Fahrtzeit, also rund 150 Tonnen.

10 Prozent niedrigere Geschwindigkeit entspricht etwa 19 Prozent Treibstoffersparnis. In unserem Rechenbeispiel spart die MSC Splendida bei pünktlicher Abfahrt durch die anschließend entsprechend um 2,6 Prozent geringere Geschwindigkeit also etwa 5 Prozent Treibstoff, 7,5 Tonnen – bei einem Treibstoffpreis von rund 600 Dollar pro Tonne sind das gut 4.000 Euro Mehrkosten.

Die Zahlen sind nur sehr grob über den Daumen gepeilt und sollen einfach nur eine ungefähre Dimension der Kosten vermitteln. Wahrscheinlich liegen die Mehrkosten des Treibstoffs niedriger, weil der Treibstoffverbrauch für den Energiebedarf des Hotelbetriebs an Bord unabhängig von der Fahrtgeschwindigkeit gleich bleibt.

Statt schneller zu fahren, einfach später in Triest anzukommen, wäre für die MSC Splendida übrigens keine sinnvolle Alternative gewesen. Denn im Hafen warten Ausflugsbusse für die Landausflüge von Tausenden von Passagieren. Die Logistik ist präzise getaktet, jede Verzögerung verursacht Probleme und Folgeprobleme. Möglicherweise ist beispielsweise auch ein Tankschiff zum Bunkern von Treibstoff bestellt und Liefer-LKWs warten, um neue Lebensmittel anzuliefern.

Und was ist nun mit den zwei Passagieren in Bari weiter geschehen?

Auch wenn es uns in dem konkreten Fall in Bari nicht bekannt ist: Passagiere stehen in einem solchen Fall typischerweise nicht vollkommen blank da. Die Reedereien suchen üblicherweise in der Kabine von fehlenden Passagieren nach Ausweisen, Kreditkarten und ähnlich essenziellem und übergeben sie dem Hafenagenten, der sie wiederum an die Passagiere aushändigt.

Das ermöglicht zumindest ein relativ unkompliziertes Nachreisen zum Schiff im nächsten Hafen – insbesondere wie in diesem Fall innerhalb desselben Landes von Bari nach Triest, auch wenn ein kurzfristiger Flug natürlich teuer werden kann, sofern die Distanz nicht auch per Bahn zu schaffen ist. Von Bari nach Triest wäre die Strecke aber auch für rund 140 Euro pro Person über Nacht zu machen gewesen, um das Schiff am nächsten Tag wiederzutreffen.

Klar ist jedenfalls: Die beiden Passagiere von Bari konnten am nächsten Tag in Triest wieder auf die MSC Splendida zurückkehren und ihre Kreuzfahrt fortsetzen. Das bestätigte MSC Cruises. Wie sie von Bari nach Triest gekommen sind, ist nicht bekannt.

Und was sagt MSC Cruises dazu?

MSC Cruises sagt zu der ganzen Geschichte übrigens: „MSC Cruises koordiniert die Abfahrtszeiten der Schiffe der MSC-Flotte sorgfältig, um die internationalen Schifffahrtsvorschriften und die Richtlinien der Hafenbehörden einzuhalten. Diese Zeitpläne sind so gestaltet, dass sie eine effiziente Navigation, den Hafenbetrieb und das gesamte Reisemanagement erleichtern. Obwohl wir wissen, dass gelegentlich unvorhergesehene Umstände auftreten können, müssen wir die Integrität unserer Betriebsverfahren aufrechterhalten, um die Sicherheit und den Komfort aller Gäste zu gewährleisten.

Eine pünktliche Abfahrt ist nicht nur für die Sicherheit unserer Passagiere wichtig, sondern auch für die Fähigkeit der Besatzung, ihre Aufgaben effektiv zu erfüllen. Verzögerungen bei der Abfahrt können sich auf den gesamten Reiseverlauf auswirken und Hafenbesuche, Aktivitäten und das Gesamterlebnis für unsere Gäste beeinträchtigen.“

Aber manchmal geht eine solche Situation auch gut für die Passagiere aus – so wie auf der MSC Divina in Puerto Plata, die ich miterlebt und als Youtube-Video veröffentlicht habe: „Zwei Passagiere verpassen beinahe ihr Schiff – feiernde Crew aus Samoa rettet sie“.

4 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

4 Gedanken zu „Warum warten Kreuzfahrtschiffe nicht, wenn man zu spät zur Abfahrt kommt?“

  1. Lieber Franz,
    vielen Dank für deine ausführliche Information über die Passagiere, wie man sich verhält wenn man das Schiff verpasst und was die Folgekosten der Reederei auf sich hat.

  2. Das Schiff könnte vielleicht schon noch länger warten aber die meisten zu spät kommenden diese Rechnung nicht leisten ;-)

  3. Mir wurde in meinem Newsfeed die Nachricht zwar angezeigt – ich habe die entsprechenden Berichte aber tatsächlich nicht gelesen – weil mir schon mit der Überschrift klar war – was sollen diese Artikel.
    Das war ganz klar ein Sommerlochartikel – denn das dürfte jeden Tag mehrfach vorkommen, daß Passagiere dem abfahrenden Schiff hinterhergucken.
    Ganz selten hat mal ein Passagier so viel Glück wie das Paar auf unserer letzten Reise, daß in Bergen über eine Stunde zu spät kam und der Kapitän hat tatsächlich gewartet (sie wurden von einem Polizeiauto gebracht und die beiden Polizisten bekamen von den Balkonen des Schiffs lautstarke Ovationen). Aber das komplette Empfangskomitee stand bereit – dem Hafenagenten waren schon Pässe und (vermutlich) Safeinhalt in einem großen Umschlag ausgehändigt worden.
    Da war das Glück, daß die Nachtetappe des Schiffs sehr kurz war und die Zeit wohl problemlos aufzuholen war.
    Jedem – wirklich JEDEM Reisenden muß auf einem Schiff klar sein: „All onboard“ Zeiten sind kein unverbindliches Angebot. Und notorische Zuspätkommer, die immer damit durchkommen, werden ggf. vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben echte Konsequenzen erleben.

  4. DANKE für den guten Tipp, sich beim örtlichen Agenten der Reederei zu melden, wenn man es nicht schafft, rechtzeitig wieder an Bord zu sein. Und gut zu wissen, dass man nicht „ohne alles“ im Hafen steht, wenn das Schiff ohne einen ablegt. Dann muss man halt versuchen, den Dampfer am nächsten Hafen „wieder einzufangen“ – per Bahn oder Flugzeug. Ich war mal mit einem Bus (nicht von der Reederei) von Pompeii unterwegs zum Schiff in Neapel, als wir einen kilometerlangen Stau (wegen Unfallstelle) auf der anderen Seite der Autobahn passierten. Da dachte ich nur: „Glück gehabt, dass das nicht auf unserer Seite passiert ist!“ Dann hätte ich auch dem Schiff hinterher winken können. Muss ein niederschmetterndes Gefühl sein! Und dann noch die Leute an Bord, die alles eifrig filmen…

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