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Mit der Zaandam in Alaska

Was bedeutet mir das Meer? Gedanken zwischen Romantik und Meeresverschmutzung …

Die Blogparade „Europa und das Meer – Was bedeutet mir das Meer?“ des Deutschen Historischen Museums hat mich zum Nachdenken angeregt und meine Gedanken fliegen zu lassen. Was eigentlich bedeutet mir persönlich das Meer? Und was bedeutet Euch das Meer? Ich bin gespannt, was Ihr dazu für Gedanken habt!

Ich habe eigentlich gar keine Zeit, etwas dazu zu schreiben. Viel zu viel Arbeit. Aber der Gedanke an diese Blogparade hat mich nicht mehr losgelassen. Also habe ich mir Zeit genommen … einen Schritt zurück treten vom hektischen Alltag, von den täglichen Kreuzfahrt-News über noch mehr Schiffe, neue Entertainment-Highlights, Reederei-Kooperationen mit Sterneköchen und der traurigen Propaganda des Nabu gegen die Kreuzfahrt (okay, das ist nochmal ein ganz anderes Thema).

Was bedeutet mir das Meer?

Die Meere dieser Welt sind für mich der Inbegriff von Freiheit, endloser Tiefe und Weite, weit über den Horizont hinaus. Kaum etwas führt einem die Gewaltigkeit der Erde so deutlich vor Augen wie ein Sonnenuntergang auf dem Meer – nicht nur, weil es zu tränenrührend schön anzusehen ist, sondern auch, weil man plötzlich die Erdrotation wahrnimmt, die Sonne als gewaltige Feuerkugel im Universum erfasst.

Die Meeresoberfläche ist Sinnbild für Makellosigkeit. Sie ist oft von kitschigster Schönheit, ohne dass man es als kitschig empfindet. Oder sie ist rau und wild, erinnert einen bedingungslos an die Macht der Natur und daran, wie unbedeutend und machtlos der Mensch im Vergleich dazu ist.

Die Unendlichkeit des Meeres bei einer Atlantik-Überquerung
Die Unendlichkeit des Meeres bei einer Atlantik-Überquerung

Das Meer macht demütig – ein Erlebnis und Zustand, den ich mir für viele Menschen wünsche, die in ihrer Egomanie und maßlosen Selbstüberschätzung in einer Sphäre leben, in der sie die Natur, die Realität kaum noch wahrnehmen. Das Meer ist etwas Großartiges.

Zerstörte Illusionen

Aber immer häufiger drängt sich das Meer auch als Sinnbild für die Ignoranz und Kurzsichtigkeit unserer Gesellschaft in meine Gedanken. Das sind unangenehme Gedanken, denn als begeisterter Kreuzfahrer und auf Kreuzfahrten spezialisierter Journalist und Blogger ist das Meer auch Grundlage dessen, was ich am liebsten tue: Mit Schiffen die Welt bereisen, bis in ihre entlegensten Winkel.

Am liebsten würde ich ignorieren, dass unsere Meere nur auf der spiegelnden Oberfläche so makellos wirken. Die Illusion von absoluter Schönheit aufrechterhalten. Aber das kann und will ich nicht. Es macht mich zornig, wie egal es letztlich scheint, was mit unseren Meeren geschieht.

Meeresschutz – oh, ja, cool! Aber nur, solange das irgendwer anders macht, solange man die Schuld verschieben kann, solange man nichts persönlich ändern muss.

Plastik im Meer?

Klar, Indonesien ist Schuld, die großen Plastik-Felder schwimmen irgendwo im Pazifik, wo eh‘ niemand wohnt. Dass selbst das Packeis in der Arktis eine erschreckende Konzentration an Mikro-Plastik aufweist, die unter anderem aus Zahnpasta und Peeling-Cremes stammen? Hey, sorry, aber das ist eben unsere Zivilisation, kann man nichts machen. Doch, kann man eben schon – dieses Zeug nicht kaufen. Es bedürfte nur eines Blicks auf die Zusammensetzungsliste der Kosmetika, denn es gibt auch Produkt ohne Mikroplastik. Mikroplastik ist für die Industrie nur bequemer und billiger, sodass sie uns mehr Geld für „Hightech“-Produkte abnehmen und in mehr Werbung für noch mehr umweltzerstörerische Produkte stecken können.

Umweltverschmutzung durch Schiffsabgase?

Kein Wunder, wenn die Kreuzfahrtschiffe so weil Schweröl verfeuern – muss verboten werden! Ja, sollte es. Am besten gleich diese ganzen Vergnügungsdampfer abschaffen! Aber Kreuzfahrtschiffe machen nur rund 0,6 Prozent der zivilen Schifffahrt aus. Wo kommt denn Dein T-Shirt, Deine Hose, Deine Schuhe her, die Du heute trägst? Wahrscheinlich aus Mittelamerika oder Asien, aus Honduras, Bangladesh, den Philippinen. Ja, nee, das ist was anderes. Kleider brauche ich ja. Stimmt – aber in Europa werden auch Kleider hergestellt. Die sind nur nicht ganz so obszön billig wie die Langstrecken-Importe.

Omega-3-Fette sind ja so wertvoll …

Vor allem, wenn man sich mit fettem, zuckrigem Convenience-Food vollstopft und dann meint, eine Omega-3-Pille am Tag würde das grundsätzliche Ernährungsproblem unserer Zivilisation lösen. Was das mit unseren Meeren zu tun hat? Ein großer Teil der Omega-3-Fette stammt aus der Abfischung von Krill in polaren Gewässern – einem der empfindlichsten Biosphären überhaupt. Aber hey, das ist weit weg, muss uns nicht scheren, Hauptsache, wir haben genug Omega 3, statt uns gleich von Haus aus vernünftig zu ernähren.

Okay, sehr plakativ, verkürzt und drastisch, aber ich denke es ist klar, was ich damit meine: Die eigene Bequemlichkeit geht bedingungslos vor. Selbst dort, wo sie uns direkt selbst schadet. Wo es nur kleinster Umdenkprozesse bedürfte. Wo ein klein wenig Mut für Veränderungen reichen würde, um Großes zu bewirken.

Aber wir tun doch schon so viel …

Wir schaffen Plastik-Strohhalme ab, weil mal eine Meeresschildkröte mit einem Strohhalm in der Nase aufgetaucht ist und zufällig jemand mit der Kamera draufgehalten hat. Strohhalme verboten, Welt gerettet, Gewissen betäubt – weitermachen wie gehabt.

So leid mir die Schildkröte tut und so viel eigentlich Aufmerksamkeit die Biologin Christine Figgener für das Thema mit dem Video ausgelöst hat: Der daraus resultierende Bann auf Plastik-Strohhalme ist Populismus auf einem Niveau, das auch die Herren Seehofer, Orban und Trump nicht übertreffen (oder besser: untertreffen) können. Es löst keine Probleme, es verschlimmert alles noch. Denn es lullt ein, es suggeriert eine Lösung, wo keine ist. Jedenfalls dann, wenn es dabei bleibt und es nicht nur der erste Schritt von vielen ist.

Wären wir doch als Europäische Union beim Meeresschutz nur ähnlich konsequent sein wie beim Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen. Umweltschäden brauchen einen Preis, sie müssen kalkuliert werden und sowohl von der Industrie und Landwirtschaft, als auch vom Verbraucher gezahlt werden.

Umwelt ist kostenlos – das muss sich ändern

Ein T-Shirt, das in Deutschland hergestellt wird, ist (unter anderem) deshalb in Relation zu teuer, weil wir für das T-Shirt aus Honduras nicht die Umweltschäden mitbezahlen müssen, die sein Transport nach Europa verursacht. Honduras bitte ich als Stellvertreter zu verstehen für alle Produktionsländer mit weiten Transportwegen nach Europa.

Umwelt ist heute immer noch im Wesentlichen kostenlos. Das muss sich ändern! Nein, falsch, nicht: „es muss“. „Wir müssen“, aktiv, selbst, ohne auf andere zu warten oder Ausreden vorzuschützen.

Aber: Die Lösung ist nicht, totalitär zu entscheiden, ob honduranische T-Shirts gut oder Kreuzfahrt-Urlaube böse sind. Die Lösung ist nicht das Verteufeln von allem, was irgendwie in die Umwelt eingreift. Sondern vielmehr ein Einbeziehen vom Meeres- und Umweltschutz in unser Wirtschaftssystem. Eine freie, demokratische Gesellschaft muss frei bleiben und nicht ideologisch definieren, wer was zu tun oder nicht zu tun hat.

Ausfahrt aus Miami - an der Grenze zwischen Zivilisation und - vermeintlich - unberührten Weiten des Meeres
Ausfahrt aus Miami – an der Grenze zwischen Zivilisation und – vermeintlich – unberührten Weiten des Meeres

Ein guter Lösungsweg muss in Teilen unser Wirtschaftssystem überdenken und der Umwelt endlich einen Preis zuzuorden. Wer Umwelt „verbraucht“ und mit den bekannten „muss halt sein“-Argumenten schädigt, muss dafür bezahlen. Denn dann ist jeder Umweltschaden ein Kostenfaktor, der idealerweise dazu führt, dass umweltfreundlichere Produkte konkurrenzfähiger werden. Wenn sich umweltschädliche Produkte nicht mehr rechnen, werden sie weniger werden.

Auch bei internationalen Handelsabkommen muss dieser Aspekt berücksichtigt werden. Umweltschutz darf nicht als Handelshemmnis betrachtet werden.

Wie schwierig so ein System in der Praxis ist, zeigt der Handel mit Emissionsrechten in der EU. Aber daraus können wir lernen. Und wenn eine Bepreisung von Umweltschäden nur das Bewusstsein dafür schärft, wäre schon viel erreicht. Es nicht zu versuchen, ist eigentlich überhaupt keine Option.

Was also bedeutet mir das Meer, wenn mich immer häufiger solche Gedanken umtreiben?

Ich kann immer noch an der Reling eines Kreuzfahrtschiffs stehen und einen grandiosen Sonnenuntergang genießen. Ich kann mich immer noch begeistern für die Urgewalt des von einem Sturm aufgepeitschten Meeres, wenn es mich am Schiff durchschüttelt.

Zum Sonnenuntergang an der Reling stehen ...
Zum Sonnenuntergang an der Reling stehen …

Aber die Gedanken an all den Irrsinn, der sich unter der vermeintlich makellosen Oberfläche verbirgt, beschäftigen mich immer öfter. Die Gedanken zerstören einen Teil der Nostalgie und Romantik. Aber sie bewirken auch, dass ich mich selbst noch mehr bemühe, mein Verhalten zu ändern – Fisch aus bedrohte Arten wie Thunfisch oder Schwertfisch nicht mehr zu essen; im Sommer keine argentinischen Zitronen bei Aldi kaufen, wenn es beim Obsthändler nebenan auch italienische gibt; Einweg-Plastik und Mikroplastik-Produkte zu vermeiden; Kleidung aus europäischer Produktion zu bevorzugen; und viele, viele weitere Details im Alltag. Das tut nicht weh, sondern verbessert meist sogar mein eigenes Leben. Es macht sogar ein wenig stolz, zumindest einen kleinen Beitrag zu leisten. Aber ich weiß, dass ich noch viel mehr tun könnte. Ich arbeite daran.

Auf cruisetricks.de versuche ich, aufzuklären und detaillierte, nicht ideologische Informationen zu Umwelt-Themen zu liefern, gelegentlich auch über Fachartikel in anderen Medien. In der Hoffnung, dass Information, Wissen, Sachkunde stärker sind als populistische Parolen gewisser so genannter Umweltverbände und auf Facebook nachgeplappertes Halbwissen. Stärker als Bequemlichkeit und Verdrängung. In der Hoffnung, dass dies zu ernsthaftem Nachdenken und Handeln führt, statt blindem Verdammen von vermeintlich ganz Bösem – als Ausrede für „Weitermachen als wäre nichts“.

Das Thema ist viel zu vielschichtig, als es hier wirklich abzuhandeln. Details sind wichtig, aber auf sie kommt es in diesem Beitrag erst einmal gar nicht an. Es geht zunächst um eine grundsätzliche Einstellung: will ich, oder will ich nicht?

Das Leben ist schön. Die Welt ist schön. Lasst uns das konsequenter bewahren!

Wenn die Sonne das Meer zum Sonnenuntergang golden färbt
Wenn die Sonne das Meer zum Sonnenuntergang golden färbt

9 Kommentare

Über den Autor: FRANZ NEUMEIER

Franz Neumeier
Über Kreuzfahrt-Themen schreibt Franz Neumeier als freier Reisejournalist schon seit 2009 für cruisetricks.de und einige namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sein Motto: Seriös recherchierte Fakten und Hintergründe statt schneller Schlagzeilen und Vorurteile, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. TV-Reportagen zitieren ihn als Kreuzfahrt-Experten und für seine journalistische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er wird regelmäßig in die Top 10 der „Reisejournalisten des Jahres“ gewählt und gewann mit cruisetricks.de mehrfach den „Reiseblog des Jahres“-Award.

9 Gedanken zu „Was bedeutet mir das Meer? Gedanken zwischen Romantik und Meeresverschmutzung …“

  1. Lieber Franz,

    vielen, vielen herzlichen Dank für deinen Beitrag zu #DHMMeer! Ich habe tatsächlich nicht damit gerechnet, da ich weiß, wie die Arbeit dich „überschwemmt“. Umso mehr freut es mich, dass du dich davon „freigeschwommen“ hast. Just zuvor las ich noch Matthias 10-jähriges, switchte auf Twitter, um etwas nachzuschauen und schon plopptest du mit „deinem“ Meer auf. Kein verträumtes Meer – was mir gefällt. Ja, auch zur Blogparade gibt es Kritik zu Kreuzfahrten. Beide Positionen finde ich wichtig. Gleichzeitig fasziniert mich das Reisen auf dem Meer, wenngleich ich hauptsächlich zu Land unterwegs bin. Die urgewaltige Seite des Meeres verunsichert mich schon.

    Wichtig ist für mich dein Punkt, vor der eigenen Haustür zu kehren, das eigene Verständnis von Umweltsünden zu hinterfragen und zu ändern. Das ist nicht leicht, trotzdem kann jeder einzelne etwas tun. Ich versuche meine Kids für die Umwelt zu sensibilisieren, ja, ich verbiete ihnen den Strohhalm tatsächlich, was nicht passt, wenn ich im nächsten Moment die Plastiktüte oder -flasche nehme. Auch dagegen steuere ich mehr oder weniger erfolgreich. Es muss tatsächlich ein mehr werden, um das Meer am Ende auch wieder mehr zu schützen, so dass noch mehrere Generationen es genießen können. Auch dazu gibt es einige fundierte Beiträge zur Blogparade.

    Für den einen bedeutet das Meer Genuss, für den anderen eine Chance und für manchen den Tod. Es gibt viele verschiedene Perspektiven auf das Meer. Die Blogparade bringt sie hervor. Sie bietet viel Denkstoff und ich hoffe, dass damit noch einiges getan wird!

    Dir ein herzliches Dankeschön für deinen bereichernden Beitrag!

    Herzlich,
    Tanja

  2. Liebe Tanja,

    es ist in der Tat faszinierend, wie vielfältig sie Blickwinkel auf das Thema sind. Sehr reizvoll, da auch mal eine ganz andere Perspektive einzunehmen beim Lesen.

    Schade, dass einer der beiden anderen Beiträge, in denen Kreuzfahrt thematisiert wird, so undifferenziert und ohne jede sachliche Grundlage gegen Kreuzfahrt hetzt. Es gibt ja schon – je nach Sichtweise – einiges zu kritisieren an dieser Urlaubsform. Einfach nur Hass zu posten, ohne ernsthafte Argumente anzuführen, regt nicht gerade zum Diskutieren an und vergibt die Chance, sich mit dem Thema wirklich auseinanderzusetzen. Aber da muss eben jeder für sich selbst wissen, ob er ernst genommen werden will oder nicht ;-)

    Herzliche Grüße,
    Franz

  3. Hierüber sollte sich jeder mal Gedanken machen. Wunderbar auf den Punkt gebracht Herr Neumeier. Lasst endlich mal das Peelingzeugs im Regal liegen und das Zahnputzmittel, das Dir verspricht, dass Deine Zähne weißer würden. Das wäre schon der erste Schritt unsere Meere sauberer zu halten. Und gebt endlich mal einen Euro mehr aus und achtet darauf woher Eure Klamotten kommen. Klar kann man bei H&M für 10.- € ein super T-Shirt kaufen, aber rechnet mal rückwärts, was kostet das Ding im EK. Welche Bedingungen herrschen um solch einen Preis zu erzielen. Und alle wollen daran noch etwas verdienen. Es macht mich wütend, wenn wir faire/ökologische Kleidung anbieten und der Kunde sich über die Preise aufregt. Kauft halt nur ein Teil statt 5 bei den Billiganbietern, die Ihr noch dazu nach der Saison in die Tonne kloppt. Ich möchten niemanden persönlich angreifen, mir war nur danach es in die Welt hinauszurufen. Nix für Ungut. Ich hab‘ schon vieles umgestellt. Hab‘ meine Einkaufstasche dabei, Peeling brauch ich nicht, da meine Orangenhaut sich eh nicht ändert und die Zähne bearbeitet mein Zahnarzt sehr umweltschonend, da er mich nur 1x im Jahr sieht. Beim Einkaufen achte ich darauf, welchen Weg das Obst/Gemüse hinter sich hat und Erdbeeren kaufe ich grundsätzlich nicht im Winter sondern im Sommer, wenn sie Saison haben (es gibt noch viele andere Beispiele). Wenn nur jeder von Euch eine Gewohnheit abschaffen würde, würden wir alle unsere Welt ein wenig schöner gestalten.
    Liebe Grüße Kerstin

  4. @Kerstin Schadt: Was mir immer mehr auffällt ist, dass ich mir letztlich ja vor allem selbst etwas Gutes tue, wenn ich auf diese Dinge achte. Denn dadurch ergibt sich automatisch ein gesünderer Lebensstil und ich kann mich zum Beispiel wieder viel mehr über Zwetschgen oder übe Spargel freuen, wenn ich sie eben nur in der regionalen Saison kaufe. Dann sind sie nämlich etwas Besonders und nicht nur etwas, das man sich routinemäßig reinschiebt … Umweltschutz kann durchaus auch im positiven Sinne egoistisch sein ;-)

  5. Lieber Herr Neumeier,

    seit 45 Jahren beschäftige ich mich beruflich mit dem Reiseverkehr und habe dabei auch den Kreuzfahrt-Sektor beobachtet. Ich finde die Kritik an ihm großteils berechtigt. Während Hotels, Fluggesellschaften und die Deutsche Bahn seit mehr als einem Jahrzehnten versuchen die Umweltbelastung zu verringern, haben die Kreuzfahrt-Reedereien den Umweltaspekt lange vernachlässigt. Man fährt mit Schweröl und/oder Marinediesel und bei Anfahrt auf einen Hafen der EU wird wegen gesetzlicher Vorschriften ein Schwefelfilter zugeschaltet. Im Hafen entstehen große Mengen an Feinstaub und Stickoxid. Trotz jahrelanger Proteste fahren die Schiffe nach wie vor dicht an Venedigs Palazzi vorbei und gefährden diese. Die immer größer werdenden Schiffe spucken bis zu 5 000 Passagiere auf kleinen Karibikinseln aus und enge Altstädte wie Tallin und Dubrovnik werden regelrecht überrannt. Auch die Ästhetik dieser Schiffe lässt zu wünschen übrig. Die zwei neuen Schiffe der MSC sehen für mich aus wie auf dem Wasser treibende Plattenbauten.

    Wie Sie richtig schreiben, hat der Reisende es selbst in der Hand, wie und wo er reist.

    Zu empfehlen sind hier die wenigen neuen Schiffe mit LNG (natürliches Flüssiggas) von Aida und Costa Cruises (ab nächstem Jahr in Dienst) oder das mit einem neuen Filtersystem ausgestattete „Mein Schiff 6“ von TUI-Cruises, die sich jetzt auch zusätzlich Gedanken über ihr Abfallmanagement an Bord machen. Der Hybridantrieb könnte die Zukunft sein. „Hurtigruten“ hat bereits ein Schiff in Bau.

    Weniger Umweltschäden verursachen die wunderschönen Großsegelschiffe wie die „SV Starflyer“ und die zahlreichen Flussschiffe, die nicht nur auf Rhein und Donau unterwegs sind. „Croisie Europe“ hat z.B. mehr als 40 Schiffe im Einsatz.

    Viele Grüße
    Ihr Michael Seiler – http://www.toeightycountries.com

  6. Lieber Herr Seiler,

    ich hatte eine ausführlichere Antwort versprochen, hier kommt sie :-)

    Grundsätzlich haben Sie völlig Recht, dass die Kreuzfahrt noch viel sauberer werden kann (und muss).

    Allerdings ist es ein Irrtum, dass die Kreuzfahrt nichts für den Umweltschutz getan hat, insbesondere wenn man das Thema Treibstoff/Abgas mal ausblendet (dazu später noch ein paar Sätze). Kreuzfahrtschiffsneubauten haben seit langem vollwertige Kläranlagen an Bord, die nahezu Trinkwasserqualität produzieren. Müll wird konsequent getrennt und recycelt (soweit das an Land überhaupt möglich ist – meist scheitert es da eher an den Möglichkeiten in den Zielländern/Häfen). Lebensmittelabfälle werden nicht erst seit dem PR-wirksamen (und sehr guten, begrüßenswerten) Projekt von TUI Cruises (und auch Costa) so weit wie möglich vermieden. TUI Cruises setzt sogar beim Bau der Schiffe aus nachhaltig produziertes Material und recyclingfähige Materialien. Da geschieht schon lange seht viel.

    Beim Thema Treibstoff/Abgase sehe ich die Verantwortung allerdings nicht allein bei den Reedereien. Denn Airlines reduzieren ihren Ausstoß auch nicht, weil sei umweltfreundlich sein wollen, sondern weil Gesetze sie dazu zwingen oder weil es wirtschaftlicher ist, Treibstoff zu sparen. Letztere Aspekt hat auch in der Kreuzfahrt über die Jahre zu massiven Einsparungen geführt. Ein neues Kreuzfahrtschiff verbraucht heute nur noch rund die Hälfte des Treibstoffs eines Schiffs von vor 20 Jahren. Ich sehe hier aber sehr stark den Gesetzgeber in der Verantwortung (und der denkt nicht daran, die Regeln zu verschärfen, weil dann auch die Frachtschifffahrt betroffen wäre, die über 99 Prozent des zivilen Schiffsverkehrs ausmacht und damit natürlich auch ganz wesentlich für Feinstaub, Stickoxide etc. in den Häfen verantwortlich ist). Die EU wäre durchaus in er Lage, strenge Vorschriften zu erlassen und durchzusetzen. Und für die EU-Häfen gibt es das ja schon, könnte aber noch strenger gefasst werden.

    LNG erscheint als eine gute Zwischenlösung, so lange die Entwicklung von wirklich emissionsfreien Antriebsformen (z.B. Brennstoffzellen) noch nicht an einem Punkt angekommen ist, dass sie auf großen Schiffen eingesetzt werden können. Die Entscheidung Norwegens, spätestens ab 2026 nur noch emissionsfreie Schiffe in die Unesco-Welterbe-Fjorde einfahren zu lassen (https://www.cruisetricks.de/kreuzfahrtschiffe-im-geirangerfjord-bald-nur-noch-im-akku-betrieb/) dürfte die Entwicklung beschleunigen. Aber: LNG ist alles andere als ein unproblematischer Brennstoff, denn insbesondere bei der Förderung durch Fracking werden große Mengen Methan freigesetzt, das als Treibhausgas um ein Vielfaches schädlicher ist als CO2, siehe: https://www.cruisetricks.de/lng-als-treibstoff-fakten-zu-umweltschutz-und-kosten/).

    Den Vergleich mit Bahn und Airlines finde ich sehr schwierig, weil man da reine Transportmittel mit kompletten Ferienressorts vergleicht. Das wäre, als würde ich äquivalent an Land die Autofahrt nach Rimini mit einer kompletten Pauschalreise dorthin vergleichen.

    Venedig, Karibik, Tallinn, Dubrovnik: Massentourismus und die daraus entstehenden Probleme sind kein Kreuzfahrtproblem (zumindest nicht nur, wenn auch in den genannten Orten besonders auffällig – siehe: https://www.cruisetricks.de/tourists-go-home-wenn-staedte-vor-dem-massentourismus-kapitulieren/ ). Ich denke, man sollte berücksichtigen, dass betroffene Städte ja durchaus eine Handhabe hätten, durch Beschränkung der Schiffs- oder Passagierzahlen (was z.B. Dubrovnik seit Jahren immer wieder ankündigt und dann doch nicht umsetzt). Da siegt letztlich immer der Kommerz, weil jeder Schiffsanlauf der lokalen Wirtschaft Umsätze im sechsstelligen Bereich bringt (ob fair lokal verteilt ist nochmal ein anderes Thema).

    Kurz: Die Verantwortung zu all diesen Themen der Kreuzfahrt zuzuschieben, halte ich für nicht sonderlich fair. Alle Beteiligten können und müssen ihren Teil beitragen und insbesondere der Gesetzgeber hätte eine gute Handhabe. Ich denke, man solle nicht vergessen, dass Kreuzfahrtunternehmen eben Unternehmen wie jedes andere auch sind, in Konkurrenz zueinander agieren und keine Einrichtungen fürs Gemeinwohl sind. Sprich: Wenn man Veränderungen will, muss man sie dazu zwingen, so wie alle anderen Unternehmen in ihren Bereichen eben auch.

    Nur als schnelle Rückfrage: Ihre Anmerkung zu den Flusskreuzfahrtschiffen erstehe ich inhaltlich nicht – was soll in Hinblick auf Umweltschutz bei den Flussschiffen besser sein? Diese Schiffe fahren doch auch mit Marinediesel …

    Herzliche Grüße,
    Franz Neumeier

  7. Lieber Franz Neumeier,
    herzlichen Dank für Ihre ausführliche und fundierte Erwiderung auf meinen Kommentar. Bei dem Vergleich zwischen Flusskreuzfahrt und Hochseekreuzfahrt habe ich mich von der Länge der Fahrtstrecken und der Leistungsstärke der Motoren leiten lassen. Das Beispiel zweier hauptsächlich auf dem deutschen Markt angebotenen Schiffe, beide Baujahr 2012: Arosa Silva (Fluss) – Motorleistung 1 324 Kw / 89 Kabinen und Europa 2 (Hochsee) 14 500 Kw / 251 Kabinen.
    Ich finde eine Auseinandersetzung mit dem Thema sehr sinnvoll, kann sie doch dazu beitragen das Bewusstsein zu schärfen und notwendige Verbesserungen von Gesetzgebern, Betreibern, Werften und Hafenbehörden voranzutreiben – Ist doch die Kreuzfahrt eine angenehme, bequeme und sichere Art die Welt kennen zu lernen.
    Herzliche Grüße
    Michael Seiler – http://www.toeightycountries.com

  8. Lieber Herr Seiler,

    der Vergleich von Fluss- und Hochseeschiffen ich dennoch ein wenig schwierig, weil Flussschiffe nur schwimmende Hotels sind, während v.a. auf den ganz großen Kreuzfahrtschiffen auch viel angeboten wird, was Flusskreuzfahrtschiff-Passagiere eher an Land (oder gar nicht) nutzen, also v.a. Entertainment, Theater, Wasserrutschen und Pools etc. Es ist tatsächlich ein wenig schwierig, gute Vergleiche zu ziehen. Denn auch Hochseeschiffe müsste man ganzheitlich vergleichen, z.B. mit All-inclusive-Ferienresorts an Land, um alle relevanten Aspekte mit einzubeziehen. Und je nach Urlaubsland kann dann schonmal die Energie, die in dem Resort verbraucht wird, aus umwelttechnisch viel schlimmeren Quellen stammen (ungefilterte Braunkohle o.ä.) als aus den Schiffsmaschinen mit zwar Schweröl, aber einen hohen Wirkungsgrad und ggfs. Filteranlagen.

    Ansonsten stimme ich Ihnen aber vollkommen zu. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtig, differenziert und sachbezogen. Leider tut das v.a. der Nabu nicht (und damit auch die meisten Medien nicht), sondern setzt lieber auf Panikmache und Populismus, welcher der eigentlich guten Sache mehr schadet als nützt.

    Herzliche Grüße,
    Franz Neumeier

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