CO₂-Kompensation ist ein umstrittenes und schwieriges Thema, das auf dem Weg zu einer klimaneutralen Kreuzfahrt jedoch eine gewisse Rolle spielen könnten. Ich will in dieser Folge der Video-Serie „Umwelt- und Klimaschutz in der Kreuzfahrt“ zeigen, welche Schwierigkeiten, Vor- und Nachteile mit Kompensationsmodellen verbunden sind und inwieweit Kompensation in der Kreuzfahrt eine Rolle spielt.
Abonnieren Sie meinen Youtube-Kanal CruisetricksDe mit einer eigenen Playlist zu Videos über Klima- und Umweltschutz, um am Ball zu bleiben und keine der Folgen zu diesem Thema zu verpassen!
CO2-Kompensation wird von manchen als reiner Ablasshandel oder Greenwashing verurteilt. Doch das greift zu kurz. Auch wenn an dem Vorwurf einiges dran ist, so ist das Thema doch deutlich komplexer. Es kommt vor allem darauf an, wie und in welchen Situationen kompensiert wird.
Was ist CO2-Kompensation eigentlich?
Der Grundgedanke von CO2-Kompensation ist, den angerichteten Klimaschaden beispielsweise einer Flugreise, einer Kreuzfahrt oder auch der Produktion von Konsumgütern auszugleichen. Der Atmosphäre soll mit Kompensation also so viel CO2 entzogen werden, wie die jeweilige Aktivität der Atmosphäre neu hinzugefügt hat.
Entsteht also beispielsweise beim Hin- und Rückflug von München-Paris in einem Airbus A320neo pro Passagier 214 kg CO2, würde man einen bestimmten Betrag bezahlen, der nötig ist, um die gleiche Menge CO2 über ein Kompensationsprojekt der Atmosphäre zu entziehen. Fünf Euro würde die Kompensation aktuell im Juli 2023 bei Atmosfair kosten.
Ehrlich, so billig ist das? Zu den damit verbundenen Problemen kommen wir später noch.
Oft taucht in Zusammenhang mit Kompensation übrigens der Begriff CO2-Äquivalente vor: Man rechnet andere Klimaschadstoffe in ihrer Wirkung auf die äquivalente CO2-Menge um, damit deren Ausstoß vergleichbar wird, etwa das kurzfristig um ein Vielfaches klimaschädlichere Methan.
Welche Rolle spielt Kompensation in der Kreuzfahrt?
In der Kreuzfahrt spielt Kompensation bislang eine sehr untergeordnete Rolle.
- Vereinzelte Projekte zur freiwilligen Kompensation durch Passagiere haben nie wirklich gegriffen. (z.B. Hapag-Lloyd Cruises)
- MSC Cruises hatte 2019 angekündigt, ab 2020 den kompletten Kreuzfahrt-Schiffsbetrieb zu kompensieren. Monatelang gab es keine Informationen zu den konkreten Kompensationsprojekten, dann kam die Pandemie und MSC realisierte das Projekt letztlich nie.
- Einige wenige, kleinere Veranstalter kompensieren – nur zwei Beispiel:
- Metropolitan Touring in Ecuador, kompensiert alle Reisen (inklusive der Galapagos-Kreuzfahrten für Hurtigruten) mit einem Projekt, das zusammenhängende Regenwald-Schutzgebiete in Ecuador erhält
- Phoenix Reisen kompensiert mit von der UNO zertifizierten CO2-Zertifikaten
- Boat Bike Tours kompensiert in Kooperation mit der NGO Just-digg-it (Projekte zum Beispiel Begrünung und Regenwasser-Sammlung in Kenia)
Fluggesellschaften dagegen haben damit begonnen, Passagieren freiwillige Kompensation anzubieten. Bei Lufthansa gibt es im Juli 2023 beispielsweise einen eigenen Tarif, der sowohl Kompensation als auch einen Aufpreis für SAF beinhaltet. SAF ist Sustainable Aviation Fuel, also klimaneutraler Kerosin-Ersatz. Auch bei Atmosfair kann man inzwischen in Rahmen der Flug-Kompensation für SAF bezahlen.
Bei Kreuzfahrt-Reedereien wäre ein ähnliches Modell grundsätzlich denkbar, insbesondere wenn synthetische und Bio-Treibstoffe in größerem Umfang verfügbar sind und eingesetzt werden können.
Wann ist Kompensation sinnvoll?
Kompensation sollte nur dann überhaupt in Erwägung gezogen werden, wenn es keine Möglichkeit gibt, Klimaschadstoffe wie CO2 oder Methan erst gar nicht entstehen zu lassen. Das steht übrigens so sogar in den Kyoto-Protokollen. Was die Kyoto-Protokolle nur leider nicht vorsehen, ist eine funktionierende Prüfinstanz.
Sinnvolle Kompensation also darf keine bequeme Ausrede dafür sein, an veralteter Technik und überflüssigem Ausstoß von CO2 festzuhalten.
Kompensation sollte nur in einer Übergangsphase genutzt werden, bis der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen ganz unterbleiben kann. Und nur längerfristig nachhaltige und tatsächlich netto Klimagas-reduzierende Kompensationsmaßnahmen sollten überhaupt in Erwägung gezogen werden.
Sind diese Voraussetzungen gegeben, dann allerdings schafft Kompensation die Möglichkeit, die Klimabelastung schon früher zu reduzieren, als die technische Entwicklung es erlaubt.
Warum ist Kompensation oft problematisch?
Ich will in die Problematik von Kompensation nicht zu tief einsteigen. Das würde den Rahmen hier bei weitem sprengen, zumal Kompensation in der Kreuzfahrt derzeit eben (noch?) keine nennenswerte Rolle spielt.
Aber ein paar Kernproblem strittige Punkte bei der Kompensation sollen angesprochen werden:
Kompensation ist nicht gesetzlich geregelt und nicht normiert. Verschleierung, Greenwashing und Etikettenschwindel öffnet das leider Tür und Tor.
Ihre Wirkung reicht daher von „gut“ über „umstritten“ bis hin zu „offensichtlich nicht vorhanden“ – je nach Herangehensweise und Projekt. Manche Projekte sind so intransparent, dass nicht erkennbar ist, ob sie in irgendeiner Weise nützen.
Die schwierigste Frage ist, wie langfristig Kompensationsprojekte CO2 tatsächlich binden. Bei der plakativsten Form der Kompensation, dem Pflanzen von Bäumen, stellt sich immer die kritische Frage: Wann wird der Baum gefällt und setzt anschließend das CO2 wieder frei? Ohnehin dauert es Jahre, bis ein Baum eine Größe erreicht, dass er nennenswert CO2 bindet. Der CO2-Ausstoß, der der Kompensation zugrunde liegt, findet jedoch sofort statt.
Oft nicht glaubwürdig zu beantworten ist eine andere Kernfrage für Kompensationsprojekte: Inwieweit findet überhaupt eine echte Kompensation statt? Wird der Atmosphäre tatsächlich nachhaltig CO2 entzogen, dass sonst dort verblieben wäre? Oder werden Maßnahmen finanziert, die ohnehin stattgefunden hätten und damit nur Geschäftemacherei sind und für ein Greenwashing missbraucht werden?
Besonders seltsam wird Kompensation oft, wenn sie als „Waldschutz“ daherkommt: Man bezahlt dafür, dass ein Wald NICHT abgeholzt wird. Unabhängig davon, ob der jeweilige Wald ohne die Zahlungen überhaupt gerodet worden wäre, kompensiert dieses Verfahren natürlich kein einziges Kilogramm CO2. Es verhindert lediglich, dass noch mehr in die Atmosphäre gelangt.
Und lockt dubiose Geschäftemacher an. Denn „klimaneutral“ ist im Marketing zu einer wichtigen Botschaft geworden, hat als Label einen hohen Marktwert. Über fragwürdige Kompensationsprojekte kann man als Unternehmen sehr kostengünstig „klimaneutral“ werden, ohne auch nur die geringsten Anstrengungen zu unternehmen, den eigenen Betrieb wirklich klimaneutral zu machen.
Zur Ehrenrettung seriöser Waldschutzprojekte – ja, die gibt es: Waldschutz kann sehr wirkungsvoll sein und unter anderem einen sehr wichtigen Beitrag zum Artenschutz, wenn es richtig gemacht wird und seriös gemanagt wird. Ein Beispiel dafür ist das bereits angesprochene Projekt von Metropolitan Touring in Ecuador.
Aufforstung habe ich für die Diskussion hier ein wenig in den Vordergrund gerückt, um exemplarisch die Probleme der Kompensation aufzuzeigen.
Aber natürlich ist das Pflanzen von Bäumen bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit zur Kompensation. Das reicht bis hin zu äußerst ambitionierten Projekten wie Carbon-Capture – also das direkte „Einfangen“ von CO2 aus der Luft und dauerhafte Bindung, etwa in Island mit Hilfe von klimaneutraler Energie aus Geothermie und dauerhafte, unterirdische Lagerung des CO2. Oder Carbon Capture mit anschließender Mineralisierung des CO2 im Boden.
Wichtig ist, dass man Kompensationsprojekte immer genau prüft und hinterfragt.
Positive Nebeneffekte von Kompensationsprojekten
Einen Aspekt sollte man – auch bei nicht optimalen – Kompensationsprojekten nicht ganz aus den Augen verlieren: Viele diese Projekte haben nicht nur einen Klima-Effekt, sondern auch einen sozialen. Sie sind oft als Entwicklungshilfe-Maßnahmen mindestens genauso wichtig. Und zwar auch im Eigeninteresse der Industriestaaten – denn gute Entwicklungshilfe reduziert die Gründe für Migration, einem anderen, gewaltigen Problem unserer Zeit.
Insofern ist hier auch eine gewisse Abwägung nötig, wenn man darüber urteilt, ob etwas „weg kann“ oder vielleicht doch in anderer Hinsicht Nutzen bringt – auch wenn der Klimaeffekt gering sein sollte. Nur sollten solche Projekte dann als „sozial“ und nicht als „klimaneutral“ beworben werden.
Kompliziert, aber als Übergangslösung manchmal durchaus sinnvoll
Sie haben’s gemerkt, obwohl ich eigentlich nur an der Oberfläche gekratzt habe: Kompensation ist ein wirklich kompliziertes Thema.
Kompensation kann als Übergangslösung durchaus sehr wirkungsvoll sein und ist daher nicht grundsätzlich abzulehnen. Es kommt aber sehr genau auf die Konditionen der einzelnen Projekte an.
Zukunftstechnologien wie beispielsweise Carbon Capture und CO2-Mineralisierung könnten sogar als dauerhafte Lösung geeignet sein.
Kompensation bis auf Weiteres nur das letzte Mittel sein, wenn zunächst keine andere Möglichkeit besteht, CO₂-Ausstoß direkt zu vermeiden. Sie darf niemals nur als Ausrede dienen, den Ausstoß von Treibhausgasen nicht von Anfang an zu vermeiden.