Es ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten, was der Bürgermeister und der Stadtrat von Venedig da aufführen: Jedesmal, wenn die Unesco kurz davorsteht, die Lagunenstadt als gefährdetes Welterbe einzustufen, gibt’s ein paar Alibi-Maßnahmen. Kaum fällt die Entscheidung zugunsten Venedigs aus, wird alles noch schlimmer. Deshalb: Unesco, macht bitte endlich Ernst, dann hat Venedig vielleicht noch eine Chance.
Die Kreuzfahrt hat an den Problemen Venedigs nur einen kleinen Anteil. Dennoch macht fassungslos, was die Verantwortlichen dort gerade beschlossen haben: Ab 2027 sollen größere Kreuzfahrtschiffe wieder nach Venedig zurückkehren. Schiffe bis zu einer Tonnage von BRZ 60.000 und einer Länge von bis zu 250 Metern sollen dann über den noch auszubaggernden Vittorio-Emmanuele-III-Kanal zur Stazione Marittima gelangen, dem Kreuzfahrt-Terminal in Venedig. Das wären Schiffe in der Größe einer Silver Nova, Seven Seas Splendor oder Crystal Symphony.
Ob es wirklich bei der 60.000-BRZ-Grenze bleibt, wage ich aber schon jetzt zu bezweifeln – denn vor allem einige Schiffe der MSC Group liegen nur knapp darüber im Bereich bis BRZ 70.000: die Lirica-Klasse sowie die neuen Luxus-Schiffe von Explora Journeys.
Immerhin müssen die Schiffe bei diesen neuen Plänen nicht am Markusplatz vorbei und durch den Giudecca-Kanal fahren. Aktuell liegt die Schiffsgrößengrenze für diese Anfahrtsroute bei BRZ 25.000, 180 Metern Länge und 35 Metern Höhe.
Besonders dreist sind diese Pläne in Hinblick auf ihr Timing. Erst vor wenigen Tagen ist Venedig einer Einstufung der Unesco als gefährdetes Weltkulturerbe entgangen, indem der Stadtrat kurz vor der entscheidenden Unesco-Sitzung eine lange vertrödelte Eintrittsgebühr für die Lagunenstadt beschloss. Ob die wirklich dauerhaft kommt, steht unter den jetzt deutlich werdenden Umständen in den Sternen.
Dabei hätte die Unesco im Falle Venedigs sowohl im Eigeninteresse für die Bedeutung dieser Institution als auch zur Rettung vieler anderer bedrohter Welterbe-Stätten ein Exempel statuieren können. Würde die Unesco bei einem so prestigeträchtigen Ort die Venedig Stärke zeigen, wäre es auch für die Verantwortlichen für andere Welterbe-Stätten ein klares Signal, wie ernst die Lage ist.
So allerdings zeigt das Gremium eher, dass man auch mit den größten Unverschämtheiten ungeschoren davonkommt, wenn man nur selbstbewusst oder intrigant genug auftritt. Doch wozu ist der Welterbe-Status gut, wenn er das Welterbe nicht wirkungsvoll vor der Zerstörung schützt? Oder es zumindest ernsthaft versucht?
Dauerdrohung der Unesco, seit vielen Jahren ohne Konsequenzen
Aber von Anfang: Seit vielen Jahren droht die Unesco, das Weltkulturerbe Venedig auf die Rote Liste zu setzen. Das tut die Unesco, wenn die Substanz eines Welterbes gefährdet ist und die Verantwortlichen nicht genug tun, um unwiederbringliche Kulturgüter zu bewahren. Der nächste Schritt wäre der komplette Entzug des Weltkulturerbe-Status – so geschehen 2019 beim Dresdner Elbtal wegen des Baus einer neuen Brücke.
Leider hat das entsprechende Unesco-Komitee bei ihrer Sitzung Mitte September 2023 in Riad erneut den Schwanz eingezogen und am Welterbe-Status Venedigs nichts geändert. Die nächste derartige Sitzung gibt es erst in zwei Jahren. Zwei Jahre, in denen der Bürgermeister, der Stadtrat du die italienische Regierung der Unesco wieder ungestraft eine lange Nase machen können. Und das tun sie auch postwendend.
Eine lächerliche Eintrittsgebühr von fünf Euro, die wahrscheinlich so viel Verwaltungskosten verursacht, wie sie einbringt, hat vordergründig ausgereicht, um die Unesco zu besänftigen. Was tatsächlich in Hintergrund gelaufen ist, überlasse ich der Fantasie meiner Leser. Ich wage zu behaupten, dass auch die Eintrittsgebühr spätestens nach der Testphase 2024 mit fadenscheinigen Ausreden wieder sang- und klanglos verschwinden wird.
Und dann der jüngste Paukenschlag: Nur wenige Tage, nachdem das Unesco-Gremium getagt hat, werden Pläne öffentlich, wieder viel mehr Kreuzfahrtschiffe direkt nach Venedig zurückzulassen.
Damit die Zerstörung der empfindlichen Ökologie der Lagune auch so richtig effizient werden kann, soll auch die Fahrrinne zum Industriehäfen am Festland bis nach Marghera tiefer als bisher ausgebaggert werden. Und der Präsident der Hafenbehörde von Venedig, Fulvio Lino di Blasio, brüstet sich damit, mit diesen Planungen eine „Balance zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz“ gefunden zu haben.
Umweltschützer in Venedig sind in heller Aufregung, nachvollziehbarerweise. Dabei wirft das skandalumwitterte und fragwürde, weil jetzt schon zu klein und damit wenig wirksame Hochwasserschutz-System Mose schon genug Probleme aus.
Fairerweise muss man zugestehen, dass die Fahrrinne entlang des Festlands, die für die Industrie am Festland enorm wichtig ist, durch mangelnde Pflege von einst neun Metern Tiefe aktuell wohl nur noch 7,5 Meter tief ist und damit zum Problem für die Schiffe dort geworden ist.
Hinhalte-Taktik ohne ernste Absicht, den Overtourismus einzudämmen
Deutlich wurden die Unesco-Drohungen schon 2016. Pro Forma plante Venedig daraufhin die Verbannung großer Schiffe aus der Stadt, um die Unesco zu besänftigen, umgesetzt wurden die Pläne letztlich nicht. Auch weil, ob einkalkuliert oder „Glück“, ein Gericht den Kreuzfahrtschiff-Bann kippte.
Dazu muss man vor allem wissen: Venedig kann nicht für sich selbst entscheiden. Die Lagunenstadt ist eine Verwaltungseinheit mit Festlandsgemeinden wie Mestre, mit zusammen rund 177.000 Einwohnern. Für die meisten Entscheidungen, die die Schifffahrt betreffen, ist ohnehin die ferne Regierung in Rom zuständig.
Das Festland profitiert finanziell erheblich vom Touristenmagneten Venedig und hat kein Interesse daran, den massiven Overtourism zu begrenzen. Dafür blutet die Stadt immer weiter aus. Erst kürzlich sank die Zahl der Einwohner erstmals auf unter 50.000. Kein einziger Venezianer und keine einzige Venezianerin sitzt bei den Regierungsparteien derzeit im Stadtrat.
Noch deutlicher dann 2021. Damals beschloss die italienische Regierung unter Ministerpräsident Draghi, fast alle Kreuzfahrtschiffe aus der Altstadt Venedigs zu verbannen – nach jahrelangem Herumeiern um die Schiffe, die dort ausvielen, guten Gründen kaum jemand haben will, ein paar Geschäftemacher am Festland aber gut davon leben. Im Beitrag „Venedig und die Kreuzfahrtschiffe: Es ist kompliziert“ habe ich das schon einmal ausführlicher geschildert.
Auch drei der großen Kreuzfahrt-Reedereiunternehmen gehören übrigens zu den Profiteuren, denn ihnen gehört ein Teil der Stazione Marittima, dem Kreuzfahrt-Terminal in Venedig. Carnival Corp, Royal Caribbean Group und MSC Cruises besitzen jeweils 11,25 Prozent der Venice Passenger Terminal S.p.A.
Die Reedereien könnten sich den neuen Plänen Venedigs entgegenstellen und sagen: „Egal, was da ausgebaggert wird: Wir wollen Venedig schützen und die Stadt daher auch weiterhin nicht mehr direkt anfahren.“ Aufgrund der finanziellen Verquickung mit dem Terminal in Venedig dürfte sich ihr Interesse an einer dauerhaften Lösung für die Kreuzfahrt abseits des Terminals direkt in Venedig in Grenzen halten.
Ziemlich absurd ist übrigens auch die aktuelle Situation nach dem Verbot großer Schiffe seit August 2021: Zwar fahren keine großen Schiffe mehr nach Venedig. Doch legt ein Kreuzfahrtschiff beispielsweise am Festland in Fusina an, dann findet die Passagierabfertigung dennoch im Terminalgebäude in Venedig statt. Ankommende Passagiere checken dort ein, geben die Koffer ab und werden dann mit Bussen – mit verplombten Gepäckräumen – zum Schiff nach Fusina gefahren. Bei der Ausschiffung das gleiche Spiel.
Ob die Stadt dadurch viel gewonnen hat, muss jeder selbst entscheiden. Die Schiffe fahren weiterhin in die Lagune ein, wenn auch vom Markusplatz aus betrachtet quasi unsichtbar. Und die Passagiere kommen eben in einer Vielzahl von Bussen, die entsprechend mehr Verkehr verursachen. Ganz zu schweigen von den vielen Bussen, die von Ausweichhäfen wie Triest oder Ravenna nach Venedig hineinfahren. Weniger Touristen werden es dadurch nicht.
In der Saison 2023 sollen übrigens rund 600.000 Kreuzfahrtpassagiere bei 270 Schiffsanläufen nach Venedig kommen. Für 2027 projizieren die Verantwortlichen eine Steigerung auf eine Million Passagiere bei 385 Anläufen. 2019, vor der Pandemie, waren es gut 1,6 Passagiere.
Du schreibst: „Was tatsächlich in Hintergrund gelaufen ist, überlasse ich der Fantasie meiner Leser. “
Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass die UNESCO käuflich ist. Dass Venedigs Kaufleute und deren Handlanger, also die Verantwortlichen der Stadtverwaltung, ihr Handwerk verstehen, weiß man spätestens seit Shakespeare.
@Heico: Der Vorwurf der Käuflichkeit dürfte sehr wahrscheinlich einen strafrechtlichen Aspekt haben, daher würde ich so etwas sicher nicht schreiben, solange ich keinen handfesten Beweis dafür hätte …
@Franz: Die Fantasie deiner Leser, in diesem Fall meine. Es ehrt dich, dass du im Gegensatz zu anderen Kreuzfahrt-Berichterstattern, die sich auch gerne mal „Journalisten“ nennen, nicht einmal darüber spekulierst. Und ehrlich gesagt: eine tiefergehende Recherche würde sich wohl nicht lohnen, denn ändern würden wohl auch handfeste Beweise nichts.
Ich kann es auch so formulieren: Es stinkt gewaltig in Venedig; und damit meine ich nicht das, was aus den Schornsteinen der Kreuzfahrtschiffe herauskommt.
Wenn ich eindeutige Beweise hätte, dass sich das Welterbe-Komitee der Unesco bestechen lassen würde, wäre das, denke ich, schon ein gewaltiger Skandal, der Folgen hätte. Aber in besonders in diesen Dimensionen bräuchte man da nicht nur die Beweise, sondern auch eine hoch spezialisierte Rechtsabteilung und ein paar Bodyguards, wenn man’s veröffentlichen wollen würde.
Die Formulierung „es stinkt gewaltig in Venedig“ würde ich dagegen bedenkenlos unterschreiben.