Eigentlich wollte ich heute ausschlafen – die vergangenen Nächte waren wegen der Nordlichter eher kurz …
Doch ein Blick aus dem Fenster um 6 Uhr zerstört alle guten Vorsätze: Der Horizont ist blutrot, die Wolken schon leicht rosa angeleuchtet, der Sonnenaufgang verspricht, spektakulär zu werden.
Also schnell Thermohose und Polarparka über den Schlafanzug gezogen und hinaus aufs Außendeck. Danach ist an Schlaf natürlich nicht mehr zu denken. Expeditionsleiterin Anja hat es schon vor ein paar Tagen ganz treffend formuliert: „Schlafen kannst Du zu Hause wieder.“
Polarfuchs im Schnee
Der erste Tag mit wolkenverhangenem Himmel auf dieser Reise. Die Sea Spirit liegt vor Hoekla Havn auf der Dänemark-Insel im Storesbysund – dem angeblich größten und längsten Fjord-System der Welt.
Bei leichtem Schneetreiben landen wir mit den Zodiacs an. Neben vergleichsweise üppiger Vegetation und einiger kleiner Blüten im ersten Schnee des Jahres gibt es hier vor allem eine noch benutzte Jagdhütte zu besichtigen sowie historische Siedlungsreste der Thule-Kultur der Inuit.
Von einem Winterhaus der Thule ist kaum mehr übrig als ein Loch im Boden, aber beim Sommer-Lagerplatz sind noch die großen Steine zu sehen, die kreisförmig auf den rötlichen, rundlichen Felsen liegen und einst dazu dienten, die Zelte der Inuit am Boden zu fixieren.
Die große Attraktion des Vormittags ist aber ein junger Eisfuchs, der neugierig um die Touristen schleicht, immer wieder an einer anderen Stelle auftaucht und sich sogar am Rucksack einer der Eisbären-Wächter zu schaffen macht – obwohl der nur wenige Meter entfernt steht. Wirkliche Scheu zeigt der Fuchs nicht.
Nachdem der Eisfuchs immer wieder die Felsen umrundet und neugierig die Besucher auf seine Insel begutachtet hat, verschwindet er schließlich im dichter werdenden Schneetreiben.
Die Rote Insel
Beim Zusammentreffen des Roten Fjords und des Fönfjords liegt die Rote Insel. Für große Eisberge ist die Bucht hinter der Insel so etwas wie eine Falle. Die Strömung treibt sie in diese Sackgasse und so wirkt die Bucht fast wie ein – allerdings sehr malerischer – Schrottplatz für Eisberge. Die Insel liegt etwa 240 Kilometer entfernt vom Ausgang des Scoresbysund zur Dänemarkstraße.
Vom Zodiac aus bieten sich imposante Blicke auf die Eis-Riesen, der rote Felsen der Insel schafft einen farblich intensiven Kontrast. Oben am Felsen stehen die Passagiere der Plancius, die heute ebenfalls hier ist. Sie ist eines von nur zwei anderen Schiffen, die wir auf unserer Grönland-Reise sehen.
Auch geologisch ist die Rote Insel spannend. Denn durch Spalten im Fels hat sich von unten Magma fast senkrecht durch den Felsen gedrückt und ein grün-graues Gesteinsband hinterlassen, das an verfallenes Gemäuer erinnert.
Nach der Zodiac-Fahrt steigen wir die 150 Höhenmeter hinauf auf die Insel mit exzellentem Blick auf die Bucht mit vielen, riesigen Eisbergen. Beim Anstieg fotografieren wir noch die Herbstfarben der Tundra, beim Abstieg beginnt es zu schneien und in kürzester Zeit verwandelt sich die bunte Herbst- in eine schwarz-weiße Winterlandschaft.
Beider Rückfahrt zur Sea Spirit im Zodiac-Schlauchboot fliegt uns der Schnee waagrecht ins Gesicht – was für ein Kontrast zu den Anlandung noch ein paar Tage zuvor bei strahlendem Sonnenschein.
Wintereinbruch
Über Nacht wird es in Grönland Winter: Am Nachmittag hatte bereits zu schneien begonnen, ab Abend herrscht dichtes Schneetreiben und plötzlich ist der ganze Rote Fjord voll Eisschollen und teils riesigen Eisbergen.
Die Sea Spirit tastet sich mit Suchscheinwerfern voran, aber an ein Durchkommen ist in der Nacht nicht mehr zu denken. Der Kapitän beschließt daher, an einer halbwegs eisfreien Stelle stehen zu bleiben, und das erste Tageslicht am Morgen abzuwarten.
An der Bar vertreiben wir uns die Zeit heute wieder mit ein paar Drinks mit Gletscher-Eis, das wir bei der Zodiac-Fahrt vor den Eisbergen aus dem Wasser gefischt haben.
Am Morgen ist die Sea Spirit verschneit, die Crew ist mit Schneeschippen beschäftigt und die Gruppe von Thailändern an Bord ist ganz aus dem Häuschen – für viele von Ihnen ist es der erste Schnee ihres Lebens. Sie stehen schon im 6 Uhr morgens an der Reling und fotografieren sich gegenseitig im Schneetreiben und mit vorbeiziehenden Eisbergen im Hintergrund.
Die Fjord-Landschaft hat sich in eine neblige, verschneite Welt auch Eis und Schnee verwandelt. Der Schnee dämpft alle Geräusche und schafft eine herrlich stille, friedliche Atmosphäre. Auf der Brücke der Sea Spirit laufen Weihnachtslieder.