Spät ins Bett, früh wieder raus – auf einer Polar-Reise bleibt der Schlaf tendenziell auf der Strecke, denn selbst jetzt im Herbst geht die Sonne noch recht spät unter und früh wieder auf.
Wer sich um 6 Uhr morgens gegen den eisigen Wind stemmt, wird belohnt mit einem Sonnenaufgang, der die Schneefelder der Berge in ein intensives Rot-Violett taucht, die roten Felsen zwischen dem Schnee noch intensiver leuchten lässt.
Die klare, frische Luft macht schlagartig munter und bei einem heißen Tee im Club der Sea Spirit tauschen sich die Passagiere anschließend über die Schönheit der Landschaft aus, vergleichen mit Antarktis und Spitzbergen, zeigen sich gegenseitig ihre besten Fotos. Schnell entsteht an Bord so eine kleine Familie aus früh aufstehenden und abends lang wach bleibenden Fotografen.
Waltershausen-Gletscher
Zunächst sah es nicht gut auf die die geplante Zodiac-Fahrt entlang der Abbruchkante des Walterhausen-Gletschers, die immerhin elf Kilometer lang und 20 Meter hoch ist – für Grönland ist das ein mittelgroßer Gletscher. Eisiger, kräftiger Wind schien uns einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Doch kaum haben wir die Hoffnung aufgegeben, flaut der Wind ab und wir cruisen bei strahlendem Sonnenschein entlang der bizarren Eisformationen und um die vor dem Gletscher schwimmenden Eisberge.
Dann plötzlich große Aufregung im Funkgerät unserer Zodiac-Fahrerin Ina: Ein gewaltiges Stück Gletscher bricht ab. Expeditionsleiterin Anja sagt uns später, das sei eine der größten Gletscher-Kalbungen gewesen, die sie in den vergangenen 15 Jahren in Grönland gesehen hat. Uns ist der Blick aber durch einen Eisberg versperrt, wir spüren lediglich die Auswirkungen in Form eines über einer über einen Meter hohen Dünung.
Doch kaum eine halbe Stunde später wiederholt sich das Schauspiel und diesmal haben wir zwar keine Kamera zur Hand, sehen den Abbruch aber mit eigenen Augen. Gewaltige Eismassen gleiten wie in Zeitlupe in den Fjord, nur um kurz darauf mit ungeheurer Macht noch einmal nach oben zu schießen, bevor die im Fjord zu liegen kommen und wieder eine ordentliche Flutwelle auslösen.
Eleonora-Bucht und Teufelsschloss
In der Blomster-Bukta, unserem geplanten Anlandeplatz für den Nachmittag, ist die Brandung am Ufer zu stark. Aber fünf Meilen entfernt hatte Expeditionsleiterin Anja schon eine andere Bucht im Vorbeifahren entdeckt. Dort hat die Sea Spirit zwar noch nie eine Anlandung gemacht, aber schließlich ist es ja eine Expeditionsreise.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die Eleonora-Bucht, die ihren Namen von der deutschen Grönland-Expedition 1869 bekommen hat und tatsächlich der einzige Platz ist, den die Expedition damals mit einem weiblichen Namen bedacht hat.
Direkt gegenüber einer imposanten Felsformation namens Teufelsschloss gehen wir an Land und der Platz erweist sich als Glücksgriff. Den steilen Berghang hinauf kletternd entdecken wir die schon herbstlich gefärbte Tundra-Vegetation, finden den Schädelknochen eines Moschus-Ochsen und ein paar watteweiche Fellreste dieser Tiere. Die imposante Kulisse der umgebenden Berge ist ein erhabener Genuss.
Definitiv nichts für mich: Eine Kollegin aus Zürich und ein Kollege aus Koblenz gehen hier im rund 3 Grad kalten Wasser baden – freiwillig. Sogar Dima, dem russischen Zodiac-Fahrer und Biologen des Expeditions-Teams flößt das ein wenig Respekt ein. Danach geht’s sofort mit dem Zodiac zurück auf die Sea Spirit für eine mutmaßlich ausgiebige und heiße Dusche zum Aufwärmen.