Der erste Tag mit der Queen Mary 2 auf See: Es ist sonnig und warm, die See ist ruhig, aber der Wind bläst uns mit Stärke 4 entgegen. Die Passagiere richten sich schon jetzt ihre täglichen Routinen für die kommenden Tage ein – es ist interessant zu beobachten, wie sich ein kleiner, eigener Kosmos für unser „Crossing“ entfaltet.
Nachts haben wir die Uhren bereits eine Stunde zurückgestellt – wir gewinnen die kommenden Tage jede Nacht eine Stunde und in den zwei Nächte vor New York jeweils erneut. Entsprechend früh sind die Passagiere auf den Beinen …
Der eine oder andere hat schon seinen Lieblingsplatz in einer der Lounges gefunden und sich mit einem Buch häuslich eingerichtet; andere sind auf der breiten Promenade mit Teakholz-Belag zu ausgedehnten Morgenspaziergängen rund um das Schiff unterwegs; wieder andere genießen an der Reling den Blick aufs Meer und die aufgehende Sonne.
22 Hunde und ein Assistenzhund an Bord
Ungewöhnliche Geräusche kommen aus einem kleinen Aufbau am Heck auf Deck 12: Hundegebell. Die Queen Mary 2 nimmt nämlich auf Atlantik-Überquerungen nicht nur Menschen mit, sondern auch ihre vierbeinigen Begleiter, Hunde und Katzen.
Die Käfige sind auf dieser Reise ausgebucht, 22 Hunde aller Größen sind hier untergebracht. Irgendwo am Schiff darf ein Assistenzhund direkt bei Herrchen oder Frauchen wohnen. Die normalen, tierischen Passagiere haben eigene Betreuer, einen Indoor-Aufenthaltsraum, einen kleinen Auslauf im Freien auf Deck 12 und dort sogar einen exklusiven Laternenpfahl (für die britischen Hunde) und einen roten Feuerwehr-Hydranten (für die amerikanischen Hunde).
Morgens ist eine beliebte Zeit für die Hundebesitzer, ihre Lieblinge zu besuchen und ein wenig mit ihnen herumzutoben.
Lunch im Pub, Fitness-Studio, Spa, Gala-Abend
Der Tag geht rasch voran, die ersten Stunden verbringen wir mit dem Fotografieren aller Details am Schiff. Mittags essen wir im Golden Lion Pub: Fish & Chips, Chicken Tika Masala und dazu Probegläschen der drei Cunard-eigenen Biersorten: Pilsener, Red IPA und ein dunkles Stout, das beinahe wie Kaffee schmeckt – alle drei sehr feine Biere.
Auch das Essen überraschend positiv: Die Gerichte sind typisches Pub-Food, aber in kleine Portionen und sehr fein zubereitet, also keine Kalorienbomben, sondern eine schöne Alternative zum Buffet oder Hauptrestaurant. Das sehen auch viele andere Passagiere so, denn das Pub ist mittags richtig gut besucht.
Dennoch trainieren wir uns am Nachmittag vorsorglich ein paar Kalorien im Fitness-Studio ab und entspannen anschließend im Thermal-Bereich des Spa. Wir haben uns den Spa-Pass (120 Dollar für die komplette Reise gegönnt) – dazu mal an einem anderen Tag mehr Details.
Abends wird es formell: Der Kapitän bittet zum Cocktail-Empfang und das bedeutet auf der Queen Mary 2: Dinner Jacket, Smoking oder wenigstens dunkler Anzug. Ob man nun ein großer Fan solcher formeller Anlässe ist oder nicht: Die elegante Atmosphäre an diesem Abend ist ein besonderes Erlebnis.
Die Kabine: temporäres zu Hause für einige Tage
Auf einer Transatlantik-Reise erscheint mir die eigene Kabine wichtiger zu sein als auf einer Kreuzfahrt mit täglichen Hafenstopps. Sie wird für einige Tage zu einem Zuhause, zum Rückzugsort. Anders als bei meinen historischen Protagonisten gibt es auf der Queen Mary 2 keine unangenehmen Überraschungen in unsere Balkonkabine auf Deck 4.
Aber bevor wir einen genaueren Blick auf diese Kabine werfen, amüsieren wir uns doch ein wenig über die historischen Aufzeichnungen von Charles Dickens, Egon Erwin Kisch und Christian Fredericksen zu ihren Erlebnissen mit ihr Kabine an Bord.
Charles Dickens gibt sich auf seiner Seereise als notorischer Nörgler, aber bei seiner Beschreibung der Kabine verfällt er in einen wunderbar ironischen Stil, wohl weil er wirklich nicht fassen kann, was er da erlebt.
Trotz seiner Länge will ich das Dickens-Zitat nicht kürzen – es würde die fassungslose Faszination der Szene verloren gehen: „Ich werde nie das zu einem Viertel ernste und zu Dreiviertel amüsierte Erstaunen vergessen, mit dem ich am Morgen des 3. Januar 1842 die Tür zu einer Kabine an Bord des Dampfschiffs Britannia öffnete und meinen Kopf in den Raum steckte; es sollte nach Halifax und Boston fahren und beförderte die Post Ihrer Majestät. Dass die Kabine speziell für ‚Charles Dickens, Esquire, and Lady‘ vorbereitet worden war, wurde selbst meinem furchtsamen Verstand durch einen sehr kleinen, handgeschriebenen Zettel hinreichend klar gemacht, der auf einer sehr flachen Steppdecke befestigt war, die eine sehr dünne Matratze bedeckte, die wie ein chirurgisches Pflaster auf einem schwer zugänglichen Gestell lag. Aber dass das die Kabine war, über das ‚Charles Dickens, Esquire, and Lady‘ seit mindestens vier Monaten in täglich und nächtlich gesprochen hatten; dass dies durchaus die kleine, behagliche Kammer aus der Phantasie von ‚Charles Dickens, Esquire …‘ sein könnte, die ihm überzeugend vorausgesagt hatte, sie würde mindestens ein kleines Sofa enthalten und das seine Dame mit ihrem bescheidenen, aber großartigen Sinn für die begrenzten Dimensionen von Anfang nicht für möglich hielt, dass hier mehr als zwei riesige Reisekoffer in einer Ecke außer Sichtweite Platz finden würden (Reisekoffer, die nun nicht einmal mehr durch die Tür passten, nicht zu reden davon, sie zu verstauen, wie man eine Giraffe überreden oder zwingen könnte, in einen Blumentopf zu kriechen); dass diese völlig unpraktikable, hoffnungslose und zutiefst absurde Kiste den geringsten Bezug oder die geringste Verbindung zu den unschuldigen, hübschen, um nicht zu sagen wunderschönen kleinen Schränken des von Meisterhand ausgeführten, lithografischen Hochglanzplan hatte, der im Kontor des Reise-Agenten in der Londoner City hing; dass diese Kabine, kurz gesagt, nicht etwa nur eine angenehme Fiktion und ein fröhlicher Witz des Kapitäns sei, der erfunden und in die Tat umgesetzt wurde, um die eigentliche Kabine mehr hochschätzen zu können.“
Charles Dickens schreibt alles in einem endlos langen Satz durch, schafft es nicht einmal beim Schreiben, zwischendurch Luft zu holen, so unglaublich findet er das Gesehene offenbar. Weiter schreibt er deshalb: „Das waren Wahrheiten, die ich im Moment wirklich nicht in Betracht ziehen oder verstehen konnte. Und ich setzte mich auf eine Art Rosshaarplatte oder Sitzstange, von der es zwei in der Kabine gab; und sah, ohne jegliche Gefühlsregung in meinem Gesichtsausdruck, einige Freunde an, die mit uns an Bord gekommen waren, wie sich ihre Gesichter in alle möglichen Formationen verzerrten, während sie versuchten, sie durch die kleine Türöffnung zu quetschen.“
Auch Egon Erwin Kisch bringt ebenfalls keine rechte Begeisterung für seine Kabine auf: „Nachts lag man auf schmalem Bett, doch schützten zwei Bretter vor dem Herausfallen. Es war weniger ein Bett als ein Sarg, ein Armesündersarg, ein Nasenquetscher. Am Kopfende brachte der Steward ein Körbchen mit Papiereinlage an, die, wenn sie zum Brechen voll war, durch eine neue ersetzt wurde. Außerdem waren für vier Personen zwei Wassergläser zum Trinken und Gurgeln, ein Waschbecken und zwei Nachttöpfe vorhanden. Die Luft da unten war – ohne Übertreibung – demgemäß.“
Der dänische Auswanderer Christian Fredericksen nimmt die Dinge dagegen, wie sie kommen und gewinnt allem etwas Positives ab: „Ich habe eine Zweibett-Kabine bekommen und das war sehr schön. Ich teile sie mit einem jungen Schweden. Thine [seine Schwester] und Petrine [mutmaßlich eine Freundin der Familie] teilen sich eine Kabine mit drei schwedischen Mädchen. Wir sind mit diesem Arrangement sehr zufrieden; die Kabinen sind neu und sauber und wir haben noch nie etwas Besseres gesehen. Es wird einige Zeit dauern, bis man sich zurechtfindet.“
Unsere Balkonkabine auf der Queen Mary 2
Wir haben Glück – die Zeiten haben sich geändert und derart unfassbare Erlebnisse mit der Kabine wie bei Charles Dickens bleiben uns erspart. Und der Nachttopf von Egon Erwin Kisch ist auch längst einem voll ausgestatteten Badezimmer inklusiver Dusche und Toilette gewichen. Es war eben längst nicht alles in der „guten alten Zeit“ auch wirklich besser.
Die Einrichtung unsere Balkonkabine auf Deck 4 ist in freundlichen, hellen Farben gehalten, die Kabine wirkt insgesamt sehr stilvoll und elegant. Sie ist relativ groß und bietet viel Stauraum. Passend zur eher formellen Kleidung am Abend gibt es viel Schrankplatz zum Aufhängen von langen Kleidern und Hosen – leider aber nur an diebstahlsicheren Kleiderbügeln, die ein wenig unpraktisch sind.
Dazu gibt’s ein Sofa samt Couchtisch, eine Minibar und einen ordentlichen Schreib-/Frisiertisch sowie einen Wasserkocher für Tee und Kaffee. Steckdosen finden sich nur am Schreibtisch, dort aber sind es insgesamt vier mit amerikanischer und zwei mit britischer Steckernorm. Sehr angenehm ist der relativ breite Durchgang zwischen Wand und Bett.
Die Möbel und der Teppich sind nicht mehr ganz makellos (die letzte Renovierung ist drei Jahre her), aber ohne funktionelle Mängel, also völlig okay. Der Balkon, auf dem niedrigen Deck 4 mit Stahlbrüstung, hat ein paar Rostflecken, ist dafür aber recht groß und windgeschützt. Die Balkontür lässt sich in geöffnetem Zustand arretieren.
Das Badezimmer bietet viel Ablagefläche, die Dusche ist relativ groß, aber nur mit einem Vorhang abgetrennt, sodass man ein wenig vorsichtig sein muss, um das restliche Bad trocken zu halten. Praktisch ist die sehr lange Wäscheleine.
Abends liegt natürlich für jeden ein Stück Schokolade auf dem Bett: auf der Queen Mary 2 ist die edlerweise von Godiva …