Es ist der Tag der großen Gletscher auf unserer Expeditionskreuzfahrt mit der Hanseatic Spirit in Alaska. Und der erste Tag, der die ganze Faszination Alaskas auch bei Nebel und Regnen zeigt. Wir sehen mit dem Hubbard Glacier den größten Gezeitengletscher Nordamerikas und den Guyot Glacier im Tsaa Fjord. Zeit zum Staunen und Lernen.
Auf dem Weg durch die Yakuta Bay zum Hubbard Glacier und durch den Tsaa Fjord zum Guyot Glacier kann die Hanseatic Spirit eine ihrer Stärken ausspielen: Ihr verstärkter Rumpf mit Eisklasse PC6 erlaubt es, auch mal kleinere Eisbrocken zur Seite schieben und uns den Weg zum Gletscher zu bahnen. Wenn es da mal ordentlich am Bug rumpelt, trägt das Schiff keinen Schaden davon.
Den größeren Eisbergen muss freilich auch ein Schiff mit hoher Eisklasse ausweichen. Doch wir haben doppeltes Glück: Einerseits schwimmt vor dem Gletscher nur recht kleinteiliges Eis, andererseits sehen wir den Gletscher mehrfach kalben.
Allerdings muss man hellwach sein, wenn man dieses Abbrechen von größeren Eisbrocken an der Gletscherkante sehen und fotografieren will. Denn die Hanseatic Spirit liegt etwa 1,4 Kilometer entfernt von der Abbruchkante. Dadurch hört man das Knallen und Rumpeln des abbrechenden Eises erst etwa vier Sekunden zeitverzögert. Reagiert man erst auf den Schall, ist oft schon nichts mehr zu sehen.
Hubbard Glacier und die „Bucht der Enttäuschung“
Wir sind am größten Gezeitengletscher Nordamerikas angekommen, dem Hubbard Glacier: 122 Kilometer lang, über zehn Kilometer breit und 180 Meter hoch, wovon sich gut 100 Meter über dem Wasserspiegel befinden. Das Eis, das am Hubbard Glacier beim Kalben in die Disenchantment Bay stürzt, ist aus Schnee entstanden, der vor über 400 Jahren gefallen ist.
Durch die Yakuta Bay fahren wir in die Disenchantment Bay, an deren Ende der mächtige Hubbard Glacier in den Fjord fließt. Angesichts der beeindruckenden Landschaft fragt man sich allerdings, was die Namensgeber dazu bewogen hat, die Bay „Disenchantment“ – „Enttäuschung“ zu nennen.
Doch es gibt einen historischen und gut nachvollziehbaren Grund: Der in spanischen Diensten stehende, italienischer Entdecker Alessandro Malaspina (ein benachbarter Gletscher ist nach ihm benannt), war 1872 auf der Suche nach der Nordwest-Passage und hatte gehofft, die Zufahrt hier zu finden. Als er erkennen musste, dass es hier kein Weiterkommen gab, nannte der die Bucht „Puerto del Desengano“, Bucht der Enttäuschung. Bis zu Haenke Island, kurz vor der heutigen Abbruchkante des Hubbard Glacier war Malaspina damals vorgedrungen. Die Insel benannte er nach Sudetendeutschen Thaddäus Hänke, der als Botaniker auf dieser Expedition dabei war.
Anders als die Gletscher in direkter Nachbarschaft in der Icy Bay sowie der Sawyer Glacier und Dawes im Tracy Arm und Endicott Arm, die wir vor einigen Tagen gesehen haben, ist der Hubbard Glacier seit über 100 Jahren stabil und nimmt an Dicke sogar noch zu. Allerdings hat sich auch der Hubbard Glacier über Jahrhunderte hinweg zurückgezogen. Vor 200 Jahren reichte er noch bis zu Haenke Island und vor 700 Jahren füllte er die gesamte Yakuta Bay.
Die enormen Dimensionen des Hubbard Glacier erkennt man erst so richtig, wenn man einen Referenzpunkt hat. Insofern ist es praktisch, dass hinter der Hanseatic Spirit auch die 294 Meter lange Celebrity Summit – übrigens ohne Eisklasse erstaunlich nahe – an den Hubbard Glacier heranfährt. Vor der rund zehn Kilometer breiten und bis zu 100 Meter hohen Abbruchkante wirkt dann auch dieses relativ große Kreuzfahrtschiff eher wie eine Miniatur-Version ihrer selbst.
Zwischen Icy Bay und Yakuta Bay – in der Verlängerung dann die Disenchantment Bay mit dem Hubbard Glacier am Ende – liegt eine Landzunge mit dem Malaspina Glacier, dem größten Vorgebirgsgletscher Nordamerikas. Er ist auch einer der weltweit größten Gletscher außerhalb der polaren Eiskappen. In der Tlingit-Sprache heißt der Malaspina-Gletscher dann auch „Sít‘ Tlein“, was „großer Gletscher“ bedeutet. Allerdings sehen wir von diesem Gletscher nichts – es hat nämlich zu regnen begonnen und außer Wolken, Nebel und Regentropfen auf den Panoramafenstern der Observation Lounge der Hanseatic Spirit sehen wir für eine Weile gar nichts.
Icy Bay, Tsaa Fjord und der beeindruckende Guyot Glacier
Die Icy Bay entstand erst im Laufe der vergangenen 100 Jahre beim Rückzug der Gletscher Guyot, Yahtse und Tsaa. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Küstenlinie hier nahezu gerade, die mächtigen Gletscher flossen direkt in die Alaska Bay. Heute trifft man hier auf eine Bay mit mehreren Seitenarmen, 48 Kilometer lang.
Ein kleiner Seitenarm der Icy Bay ist der Tsaa Fjord mit dem Guyot Glacier. „Tsaa“ ist im örtlichen Tlingit-Dialekt das Wort für Robbe. Und tatsächlich sehen wir auf den Eisschollen, durch die sich das Schiff zum Gletscher hindurchtastet, die eine oder andere Robbe. Der schweizerisch-amerikanische Geologe und Geograph Arnold Henry Guyot ist der Namensgeber für den Guyot Glacier.
Beinahe trichterförmig ergießt sich dieser Gletscher in die Bucht, von den Felswänden links und rechts schießen mächtige Wasserfälle als dem Schmelzwasser des Gletschers die glatt geschliffenen Felswände hinunter.
Durch den Regen führen die Wasserfälle, vor allem gespeist aus Schmelzwasser des Gletscherfeldes, besonders viel Wasser und bieten ein grandioses Schauspiel.
Für mich persönlich ist es die spektakulärste Gletscherlandschaft, die ich bislang gesehen habe: Die Kombination aus Gletscher, Wasserfällen, glatt geschliffenen Felswänden und dem Farbenspiel auf bräunlichem Schmelzwasser und blauem Gletscher-Eis machen den Guyot Glacier zu etwas sehr Besonderem.
Mit größeren Kreuzfahrtschiffen kommt man in den Tsaa Fjord nicht hinein, wohl aber mit der kleinen Hanseatic Spirit.
Schlaumeier-Wissen: Namensgebung des Hubbard Glacier und der Yakuta Bay
Der Hubbard Glacier ist benannt nach Gardiner Hubbard, dem ersten Präsidenten der National Geographic Society sowie gemeinsam mit Graham Bell der Mitbegründer der Bell Telephone Company, später AT&T.
Die Yakuta Bay, die zum Hubbard Glacier führt, hatte im Laufe der Zeit erstaunlich viele Namen: James Cook nannte sie um 1778 herum „Bering Bay“, Jean-François de La Pérouse gab ihr 1786 den Namen „Baie de Monti“ zu Ehren eines seiner Offiziere. Ncoh im selben Jahr bekoam die Bucht von Captain Nathaniel Portlock (britischer Kapitän, Pelzhändler und Autor, zeitweise unter James Cook) dann dem Namen „Admiralty Bay“, oder auf Spanisch „Almirantazgo“. Alessandro Malaspina (italienischer Entdecker in Diensten der Spanier) und José de Bustamante y Guerra (spanischer Entdecker) wiederum bezeichneten die heutige Yakuta Bay bei ihrem Besuch 1791 als „Port Mulgrave“.
Der heutige Name, Yakuta Bay, stammt vom russischen Entdecker Yuri Lisyansky aus dem Jahr 1805, der sich dabei des Namens eines lokalen Tlingit-Stamms bediente.