Nuku Hiva – unsere erste Marquesas-Insel. Nach einem Seetag läuft die Aranui 5 in die Bucht von Taiohae ein. Nuku Hiva ist die Insel, auf der der Autor Herman Melville Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere Monate bei einem als Kannibalen betrachteten Eingeborenenstamm lebte und darüber das Buch „Taipi“ verfasste, das bis heute einen guten Einblick in die alte Kultur der Marquesas gibt.
Noch bevor die Aranui 5 anlegt, herrscht auf dem Frachtdeck schon reges Treiben. Zwei Motorboote werden vorbereitet und mit Hilfe des Krans zu Wasser gelassen. Die Fracht-Crew steht bereit, sofort nach dem Anlegen mit dem Ausladen zu beginnen. Die Arbeiten werden den ganzen Tag dauern, bis wir abends wieder ablegen.
Für die Passagiere heißt es heute: früh aufstehen. Denn der gemeinsame Landausflug beginnt schon im 7:15 Uhr: eine Tour mit Allrad-Fahrzeugen über die Insel. Alles, was auf Nuku Hiva Allradantrieb hat, scheint im Hafen versammelt zu sein. Die halbe Insel ist auf den Beinen, um uns zu chauffieren.
Wir fahren zunächst zur Kathedrale von Taiohae – der einzigen auf den Marquesas. Der heutige Bau stammt von 1973, aber am Zugang stehen noch die beiden Türme der ursprünglichen Kathedrale von 1864, deren Rest zerstört und durch den Neubau ersetzt wurde. Die alte Kathedrale war von einem Bischof gebaut worden, der die bis dahin übliche Unterdrückung der einheimischen Kultur ersetzte durch eine Koexistenz von traditioneller und katholischer Kultur.
In der Kathedrale kann man das an vielen Stellen sehen – so etwa bei der Madonna-mit-Kind-Statue, bei der das Jesuskind eine einheimische Brotfrucht in der Hand hält, statt wie sonst üblich eine Weltkugel mit Kreuz.
Über ziemlich gut ausgebaute, aber beeindruckend steile Straßen geht es anschließend die schroffen, aber dicht bewachsenen Berge hinauf und hinunter. Entlang der Straße begegnen uns immer wieder frei laufende Schweine und Hühner, an Pfosten angebundene Kühe und Pferde. Pferdefohlen scheinen sogar frei herum zu laufen.
Von den Bergrücken gibt es jeweils atemberaubende Ausblicke, zunächst über die Bucht von Taiohae, wo die Aranui 5 liegt. Dann geht es hinüber ins Taipival-Tal, wo einst Herman Melville bei dem mutmaßlichen Kannibalen-Stamm lebte.
Und wir fahren noch ein Tal weiter, nach Hatiheu. Dort gibt es einen historischen Tempel mit zahlreichen Felsgravierungen aus dem Alltagsleben der Ureinwohner, beispielsweise Fische, Schildkröten, aber auch abstraktere Zeichnungen und Menschenfiguren.
Empfangen werden wir am Tempel von einer Tanz-Gruppe, die unter einem 400 bis 500 Jahre alten Banjan-Baum mit beeindruckenden 42 Metern Stamm-Umfang traditionelle Tänze zeigt. Die Tänze sind übrigens nicht nur kriegerischer Art, sondern huldigen beispielsweise auch dem als Nahrung so wichtigen Schwein oder sie bitten die Götter um Regen.
Wir lernen einiges über die Opferkultur auf den Marquesas. Menschenopfer waren in dieser Kultur häufig. Allein im diesem Tal mit damals rund 10.000 Einwohnern wurden den Göttern jährlich bis zu 300 Menschen geopfert – aber nicht blutrünstig, wie man sich das vielleicht vorstellt, sondern relativ human per Genickbruch durch einem Schlag in den Nacken. Archäologen haben zwischen den Luftwurzeln des Banjan-Baums und nahegelegenen Tiki-Statuen Hunderte von Schädeln aus dieser Zeit gefunden.
Geopfert wurden oder gefangen genommene Feinde, aber auch eigene Leute und auch gelegentlich Meeresschildkröten, die für die marquesische Kultur als Botschafter zwischen Menschen und Göttern eine besondere religiöse Bedeutung hatten. Wer geopfert wurde, bestimmte der Priester, der zugleich auch Arzt war.
Nach der Besichtigung des Tempels laufen wir ein paar Hundert Meter weiter bis an den Strand von Hatiheu mit den schroffen Felsspitzen rund um die Bucht.
Bevor es zurück zum Schiff geht, machen wir unterwegs Halt in einem Restaurant, das auf dem Grund eines alten Tempels steht. Dort gibt es bei musikalischer Begleitung leckeres, traditionelles Essen von den Marquesas …
… in Kokosmilch und Limette marinierten, rohen Fisch, über viele Stunden hinweg langsam gegartes Schwein aus dem „Umu“-Erdofen, in Kokosmilch gegarte Ziege, dazu Manjok, Taro und Brotfrucht-Kroketten.