Die faszinierendsten Orte sind diejenigen, die einen überraschen – so wie heute Rigolet, unserem letzten Stopp in der Inuit-Region Nunatsiavut. Liebenswerte Menschen und eine fantastische Natur machen Rigolet für mich zu einem der schönsten Orte, die ich seit langer Zeit besucht habe.
Rigolet hat eine lange Geschichte, unter anderem auch als wichtiger Handelsplatz für die Hudson Bay Company seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Heute ist der Ort die südlichste Inuit-Siedlung der Welt und hat etwas mehr als 300 Einwohner.
Ein rund zehn Kilometer langer Holzsteg führt in der Bucht entlang des Ufers, hinauf zu einem Aussichtspunkt, über Hügel, die mit Blaubeeren und Krähenbeeren nahezu bedeckt sind und durch lichte Lärchenwälder. Kurz: An einem sonnigen Tag wie heute ist es hier so schön wie kaum irgendwo anders auf der Welt.
Das Moos im Wald ist so flauschig und dicht, dass man beim Laufen tief einsinkt. Zwischen den Bäumen schimmern die Sonnenstrahlen hindurch. Und Rigolet ist Bärenland. Vor allem Schwarzbären gibt es hier viele. Über den Weg gelaufen ist uns leider keiner.
Vormittags haben wir haben einen faszinierenden, jungen Guide: Der neunjährige Dean will uns eigentlich nur den Weg zu einem Aussichtspunkt zeigen, doch dann bleibt er fast zwei Stunden bei uns. Wir wandern mit ihm entlang des Holzstegs durch die Landschaft. Er erzählt vom Fischen und Fallen stellen – vor allem Hasen und Füchse.
Wie viele Bären er schon gesehen hat? Oh, viele. „Auch schon mal einen geschossen“, erwähnt er fast beiläufig. Für ihn ist das ganz normal. Gleichzeitig fällt mir auf, dass er auch ganz selbstverständlich und nebenbei alles einsammelt, was er in der Natur an Müll und Unrat findet – ein Stück losgerissene Dachpappe, eine Getränkedose, ein loses Stück Holz des Stegs.
Uns gibt das Gespräch mit Dean einen tiefen Einblick in die Lebensweise der Inuit hier in Rigolet. Wir sind bei ein paar Grad über Null dick eingepackt, Dean dagegen ist barfuß in Croqs unterwegs.
Am Nachmittag demonstrieren Schüler und Einwohner von Rigolet typische Sportarten der „Inuit Games“, zeigen einen Trommeltanz und laden zum Squaredance ein. Die Musik dazu ist ein wenig gewöhnungsbedürftiger. Sie klingt in unseren Ohren, als würden Geige und Gitarre zwei verschiedene Melodien gleichzeitig spielen.
Wir probieren Krähenbeeren- und Moltebeeren-Marmelade und Kartoffelplätzchen, lernen etwas über die Verwendung von Gräsern im Kunsthandwerk und Moosen und Flechten in der Küche. Und wir dürfen einmal in traditionelle Inuit-Kleidung aus Robbenfell schlüpfen.
Was mich aber den ganzen Tag in Bann hält, ist die wunderschöne Natur, die Herbstfarben, die Stille und die Geräusche der Vögel und der Meeres, die Sonne über der Bucht, in der die Fram vor Anker liegt. Es ist einer dieser Tage, an denen man sich wünscht, sie würden niemals enden.